Große Wasserkraftwerke: Nachhaltigkeit fragwürdig

Studie beleuchtet Staudammprojekte in Südamerika, Afrika und Südostasien

vom Recherche-Kollektiv Flussreporter:
7 Minuten
Ein Stausee in Vordergrund und sein Stauwerk erstrecken sich unter leicht bewölktem blauen Himmel.

Große Wasserkraftprojekte in Entwicklungsländern bringen Nachteile für Menschen, Natur und Klima mit sich. So, wie sie dort geplant und betrieben werden, seien Wasserkraftwerke nicht nachhaltig, schreiben US-amerikanische Forscherinnen und Forscher in einer Studie.

Bei einer Erhebung aus dem Jahr 2014 waren weltweit 3700 neue Wasserkraftwerke in Bau oder Planung. Die meisten Projekte laufen in Asien, Südamerika und Afrika. In Europa steht dem Balkan mit seinen vielen wilden und nahezu unberührten Flüssen geradezu ein Wasserkraft-Bauboom bevor.

Währenddessen werden andernorts – in den USA und Teilen Europas – viele Stauanlagen abgerissen, weil sie zu alt und unwirtschaftlich sind und ökologische Schäden verursachen. 546 Wasserkraftwerke fanden allein zwischen 2006 und 2014 in den USA ihr Ende durch Sprengstoff und Bagger. In Frankreich, wo bereits viele Staudämme abgerissen wurden, werden derzeit Wasserkraftwerke an der Sélune rückgebaut, die in der Normandie in der Nähe des Mont Saint Michel in den Ärmelkanal mündet.

Wasserkraft ist die wichtigste Quelle für Strom aus erneuerbarer Energie. Sie liefert 71 Prozent der erneuerbaren Energie weltweit. Das ist einer der zahlreichen Fakten, die Professor Emilio Moran und sein Team von der Michigan State University für ihre Nachhaltigkeitsstudie im renommierten Wissenschaftsjournal „Proceedings of the National Acadamy of Sciences“ zusammengetragen haben. Bislang würden 22 Prozent des Potentials der Wasserkraft für die regenerative Energiegewinnung ausgeschöpft.

Das Autorenteam betrachtet in seiner Studie eine lange Liste von Problemen von Wasserkraftwerken in Entwicklungsländern.

Das Team hat vor allem Projekte in Südamerika im Amazonasbecken, in Afrika am Kongo und am Mekong in Südostasien unter die Lupe genommen.

In den Stauseen der Wasserkraftwerke können große Mengen von Methan entstehen, das als Treibhausgas wirkt. Fische können nicht mehr wandern. Oft müssen Wälder für die Stauseen weichen. Artenvielfalt im Wasser und an Land schwindet.

Staudämme beeinträchtigen das Leben der Menschen in den Gegenden, wo sie gebaut werden. Schätzungsweise 40 bis 80 Millionen Menschen mussten wegen des Baus von Staudämmen umgesiedelt werden, zitiert das Autorenteam aus einschlägigen Studien. Oftmals würden Betroffene bei der Umsiedlung über den Tisch gezogen und bekämen zum Beispiel für das Land, das sie aufgeben, weniger als es wert ist.

Bei dem Versprechen, dass die Wasserkraftwerke billige Energie liefern, würden all die Menschen nicht berücksichtigt, die nachher 20 Jahre an den Folgen zu leiden hätten, sagt Professor Emilio Moran von der Michigan State University, Hauptautor der Studie.

147 neue Wasserkraftwerke sind im Amazonas-Becken geplant. Im Amazonas und seinen Zuflüssen lebt die größte Vielfalt an Fischarten weltweit. Sie gehören außerdem zu den Gewässern mit den größten Mengen an Fisch. Große Artenvielfalt und Fischreichtum zeichnen auch die Flusssysteme des Kongo in Afrika und des Mekong in Südostasien aus. Investoren planen im Mekongbecken mehr als 130 Staudammprojekte, 11 Dämme sind am Mekong selbst in Bau. Für die Ernährung der Menschen an den Flüssen sind die Fische wichtig. Doch deren Bestände werden abnehmen, wenn die Staudämme ihre Lebensräume zerschneiden. Am Belo-Monte-Staudamm im Amazonas-Nebenfluss Rio Xingo verendeten im Jahr 2016 mehr als 16 Tonnen Fisch, weil die Tiere den Damm bei ihrer Wanderung nicht überwinden konnten. Am Mekong beziffern Experten den Schaden, der Flussanrainern durch den Staudammbau entsteht, mit zwei Milliarden US Dollar – allein, weil diese weniger Fische fangen. Weltweit haben Wasserkraft-Staudämme die Existenzgrundlage von 476 Millionen Menschen, die flussabwärts von diesen Bauwerken leben, verschlechtert.

Dämme stauen weniger Wasser als erwartet

Oft verkalkulieren sich Kraftwerksplaner, wenn sie die erhoffte Leistung der Anlagen errechnen. Da wird zum Beispiel nicht berücksichtigt, dass sich hinter den Mauern weniger Wasser staut als erwartet: Im Staubecken sammelt sich Sediment aus den Zuflüssen, das dem Wasser Stauraum nimmt. Infolge des Klimawandels fällt weniger Niederschlag; das bedeutet weniger Wasser für die Kraftwerke. Für den Belo-Monte-Damm zum Beispiel, der seit 2016 fertig ist, zeichnet sich ab, dass er weniger als die Hälfte der geplanten Mindestleistung liefert.

Staudämme haben eine begrenzte Lebensdauer. In Brasilien etwa ist diese auf 30 Jahre ausgelegt; mit Nachrüstungen und Sanierungen können sie auch länger in Betrieb bleiben. Mit zunehmendem Alter werden sie anfällig für Störungen und Unfälle bis hin zum Dammbruch. In den USA beispielsweise versagten 1994 im Bundesstaat Georgia 230 Dämme, nachdem sie den Starkregen eines einzigen Tropensturms nicht mehr standhalten konnten. 2016 mussten in Kalifornien 190 000 Menschen ihre Häuser verlassen, weil die Überlaufrinne des Oroville-Damms brach. Erst im August 2018 brach ein Damm in Laos. Viele Menschen starben, Tausende flohen vor den Fluten.

Dämme werden alt

In den USA sind viele Dämme aus der Spitzenzeit des Staudammbaus zwischen 1930 und 1950 in die Jahre gekommen. Seit 2006 werden dort pro Jahr 60 Anlagen abgerissen. Bei kleinen Dämmen kann eine Instandsetzung drei mal so teuer werden wie der Rückbau. Sedimente, die sich an den Stauwerken ablagern und das Fassungsvermögen vermindern, werden in der Betriebszeit eines Dammes oft schneller zum Problem als die Verschlechterung der Bausubstanz. Heute wird bei der Planung von Stauseen die Sedimentablagerung von 100 Jahren einbezogen. Doch der Sedimenteintrag kann schon alleine dadurch zunehmen, dass im Einzugsgebiet eines Sees neue Straßen gebaut werden. Dazu kommt das Risiko von extremen Wetterlagen infolge des Klimawandels. In den Tropen würden jetzt die Fehler aus anderen Weltregionen wiederholt, nämlich den Sedimenteintrag falsch einzuschätzen, schreibt das Autorenteam. Bei neuen Dämmen am Amazonas-Nebenfluss Rio Madeira sind schon nach fünf Jahren Schwimmbagger in Einsatz. Sie holen Sedimente in Mengen aus den Staubecken, mit denen die Planer nicht gerechnet hatten. Dämme werden früher oder später unwirtschaftlich. Doch „die Kosten für die Beseitigung der Dämme 30, 40 oder 50 Jahre später bleiben bei den Kalkulationen für die Planung immer außen vor“, sagt Emilio Moran. Dies und geringere Erträge infolge des Klimawandels und größere Anhäufung von Sedimenten bewirken, dass sie auf lange Sicht nicht nachhaltig seien.

Menschen in der Nachbarschaft der Anlagen profitieren oft nicht von ihnen.

Für die Kommunen sei die Bauzeit eine große Belastung, sagt Emilio Moran. Wenn die Bautrupps kommen, hat er bei Bauprojekten in Amazonien beobachtet, „verdoppelt sich die Einwohnerzahl, aber für zusätzliche Schulen oder Polizisten gibt es meist kein Geld.“ Vor dem Bau würden den Menschen am Ort Arbeitsplätze versprochen, „doch für die Arbeit rücken Spezialisten an, die nach fünf Jahren weiterziehen zur nächsten Baustelle.“