Bessere Zeiten für Schwarzspechte

Der Umbau der Wälder kommt den Tieren sehr zugute.

von Carl-Albrecht von Treuenfels
9 Minuten
Der Wald besteht aus großen alten Bäumen.

Wenn ich heute meinen vor 36 Jahren verfassten Artikel über den Schwarzspecht lese, kann ich mit dessen gegenwärtigen Lebensumständen ganz zufrieden sein. Als der größte unserer heimischen Spechte 1981 vom damaligen DBV (Deutscher Bund für Vogelschutz, heute NABU, Naturschutzbund Deutschland) und vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) erstmals gemeinsam zum „Vogel des Jahres“ gekürt wurden, sah das noch anders aus.

Der imposante krähengroße Vogel hatte mit seiner an den Wald gebundenen Lebensweise stärker unter den vom Menschen ausgehenden Beeinträchtigungen zu leiden. In der Forstwirtschaft gab es zwar schon seit geraumer Zeit die Prinzipien der Nachhaltigkeit, doch waren sie vor allem am wirtschaftlichen Ertragsdenken und langfristiger Werterhaltung orientiert. Naturnahe Waldpflege, die neben der forstlichen Nutzung ein gleichwertiges Ziel für den Biotop Wald in seiner vielfältigen Ausformung ist, fand erst langsam immer stärkere Gewichtung bei den Waldnutzern, wobei die öffentliche Meinung und eine entsprechende Gesetzgebung halfen. Zertifizierungssysteme wie FSC und PEFC gaben der schonenderen Behandlung von Wäldern weitere Impulse.

Der Schwarzspecht hat in der jüngeren Vergangenheit davon in Mitteleuropa profitiert. Es werden mehr Altholzinseln ausgewiesen: geeignete Nistbäume können ihr natürliches Lebensalter erreichen und zu Totholz werden. Aktiver Ameisenschutz ist kein Fremdwort mehr, und es gibt Fördergelder für den Erhalt naturnaher Waldstrukturen. Bei den staatlichen Forstinstanzen und privaten Naturschutzorganisationen hat der naturnahe Wald einen höheren Stellenwert bekommen. Der Schwarzspecht und weitere Waldvogelarten haben inzwischen als „Vögel des Jahres“ für den Naturwald getrommelt und gesungen.

Das schlägt sich nicht zuletzt beim Bestand und der Verbreitung des Schwarzspechtes nieder. Laut dem 2014 von der Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und dem Dachverband Deutscher Avifaunisten herausgegebenen Atlas Deutscher Brutvogelarten zeichnet sich ein langfristiger prositiver Trend ab. Da es schwierig ist, einen genauen Brutbestand der Vögel mit ihren unterschiedlich großen Raumansprüchen zu beziffern, behelfen sich die Ornithologen mit Schätzungen. Danach soll es zwischen 31.000 und 49.000 Schwarzspechtreviere in Deutschland geben. Nicht zu übersehen ist aber, dass sich in den letzten Jahren auch einer der gefährlichsten Feinde der Spechte, der ursprünglich bei uns nicht heimische Nesträuber Waschbär, erheblich vermehrt hat.

Schwarzspecht-Jungvogel guckt aus Baumhöhle heraus.
Schwarzspecht-Jungvogel: Erstaunlich ist, daß die Höhlenkinder ohne jegliches Training einige hundert Meter weit fliegen können.

Der Schwarzspecht (1981)

Von Carl-Albrecht von Treuenfels

In der letzten Woche vor dem Ausfliegen hält einer der jungen Schwarzspechte tagsüber den Einschlupf zur Nisthöhle fast ständig besetzt. So hat er die Chance, als erster bedient zu werden, wenn einer der Altvögel Futter bringt und sich dabei mit seinen spitzen Kletterkrallen unter oder neben dem Baumloch einhakt, wobei lange Stützfedern des Schwanzes zusätzlich für Halt sorgen. Spätestens in diesem Augenblick, aber erscheint mindestens ein zweiter Kopf, und manchmal ist die Höhlenöffnung im Stamme einer Buche, Fichte oder Kiefer so groß, daß auch für einen dritten Jungvogel noch Platz zum Herausschauen ist.

Selten dauert es länger als eine Minute, bis das Männchen oder das Weibchen ihre Gaben verteilt haben: Blitzschnell schieben sie den Schnabel tief in einen nach dem anderen der aufgesperrten Rachen hinein und drücken mit der Hilfe ihrer langen Zunge die Beute noch tiefer hinab: in erster Linie Ameisen, Borken- und Bockkäfer sowie deren Larven und Puppen; doch auch Larven von Holzwespen und anderen Käfern, ferner Raupen, Spinnen und kleine Schnecken. Begleitet wird das Füttern der drei bis vier Jungen von lauten Bettelrufen, die erst verstummen, wenn der Altspecht abstreicht und dabei sein durchdringendes „Krrü …krrü … krrü“, den charakteristischen Flugruf, ertönen läßt,

Ein Wald mit alten Bäumen.
Mindestens hundert Jahre alt muß eine Buche, eine Kiefer oder eine Fichte sein, bevor sie sich für eine Höhle des Schwarzspechtes eignet.

Mindestens hundert Jahre alt muß eine Buche, eine Kiefer oder eine Fichte sein, bevor sie sich für eine Höhle des Schwarzspechtes eignet. Bäume im Alter von 120 bis 250 Jahren sind den „Baumkrähen“ am liebsten. Die Forstwirtschaft von heute jedoch sieht in der Regel kürzere Umtriebszeiten vor; in vielen Gegenden haben schnellwüchsige Nadelhölzer, die bereits mit 70 oder 80 Jahren hiebreif sind, das langsamer heranreifende Laubholz verdrängt. Rotbuchen werden heute oft schon nach 120 Jahren gefällt.

Das Alter der Bäume und die Zusammensetzung ihrer Arten im Wald sind noch aus einem anderen Grund wichtig: Allein in lichten Altholzbeständen, in denen es genügend Bodenflora mit dem entsprechenden Insektenleben gibt, in denen auch einmal ein faulender Stamm oder Stubben stehen bleibt, findet der Schwarzspecht sein Auskommen, Während es ihm zum Brüten in zehn bis fünfzehn Meter Höhe manchmal gar nicht hoch genug sein kann, sucht er seine Nahrung zu einem Gutteil am Boden oder nur wenig darüber.

Das Revier ist bis zu 400 Hektar groß

Wenn die Naturschutzverbände gerade im Hinblick auf den Schwarzspecht die Forstwirtschaft auffordern, einzeln Baumbestände in den Wäldern alt werden zu lassen, so wollen sie damit zugleich anderen Vögeln und Säugetieren helfen. Der Schwarzspecht nämlich ist häufig Quartiermeister für andere: Hohltaube, Rauhfußkauz, Blauracke, Dohle, Schellente und Zwergsäger, Fledermaus, Siebenschläfer, Baummarder sind neben vielen Insekten einige von denjenigen Arten, die gern seine Höhlen beziehen. Heutzutage, da mancher Förster in falschverstandener Ordnungs- und Sauberkeitsliebe jeden aufgefaßten Baum beseitigen läßt (mit einer Motorsäge erfordert das – anders als früher – ja auch keinen großen Arbeitsaufwand), gibt es für sie alle, die sich selbst keine Behausung bauen können, meistens gar keine andere Möglichkeit, als von der Tätigkeit der Spechte zu profitieren.

Forstleute, die mit der Lebensweise des Schwarzspechtes vertraut sind, wissen, daß sie sich selbst keinen Gefallen tun, wenn sie einen Baum, der eine der gezimmerten Höhlen hat, fällen. Denn die Vögel sind bequem: sie beziehen ihre verschiedenen Wohnungen gern mehrere Jahre im Wechsel immer wieder aufs neue. Fällt eine aus, so zimmern sie sich eine hinzu – vielleicht in einem gesunden Baum.

Mehrere Forstverwaltungen in den Bundesländern, allen voran die hessische, sind seit Jahren dabei, sogenannte Altholzinseln auszuweisen. In Laubwald oder Mischwald von meistens einigen Hektar Größe sollen die Bäume das maximale Alter, in dem sie noch zu nutzen sein werden, erreichen. Der Bestand wird erst dann gefällt, wenn in der Nähe andere Bäume ein für den Schwarzspecht akzeptables Alter erreicht haben. Da der große Vogel mit dem eichelhäherähnlichen Flug ein Revier von mindestens 300 bis 400 Hektar beansprucht und während der Aufzucht der Jungen Futterflüge von mehreren Kilometern nicht scheut, ist für ihn ein abwechslungsreich gegliedertes Waldgebiet von Vorteil. Nicht selten halten sich die Spechte in der Nähe des Waldrandes auf. So gern sie in Buchen brüten, so wichtig sind für sie auch Nadelhölzer als Nahrungslieferanten.

Ein Schwarzspecht sitzt an einem Baum, gleich wird sein Ruf within ertönen – zumindest lässt das Bild dies erahnen.
Schwarzspechte sind unsere größten heimischen Spechte und werden deshalb auch „Baumkrähen“ genannt.

Manchmal schon Ende März liegen die drei bis vier Eier in der Nisthöhle. Nach einer nur zwölftägigen Brut schlüpfen die Jungen in einem reichlich unterentwickelten Zustand, so daß sie mindestens noch eine Woche lang von den Eltern ununterbrochen und eine weitere Woche nachts gehudert, also gewärmt, werden müssen. Erst im Alter von fünf Tagen öffnen sich die Ohren, und nach knapp zwei Wochen sind die Augen voll einsatzfähig. Während der ersten Lebenstage müssen die Altvögel ihre Jungen am Schnabelwulst berühren, um sie auf Futter aufmerksam zu machen. Rund vier Wochen dauert es, bis die jungen Spechte flügge sind.

Mancher Habicht hat schon eine ganze Schwarzspechtfamilie ausgerottet

Erstaunlich ist, daß die Höhlenkinder ohne jegliches Training auf Anhieb einige hundert Meter weit fliegen können. Das Klettern haben sie an der Innenwand der Höhle schon lange vorher geübt. Manchmal kann ihnen die früh erlernte Fähigkeit, sich im senkrecht abfallenden Stammholz festzukrallen, das Leben retten. Wenn starker Regen bei ungünstigem Wind so fällt, daß der Höhlenboden sich mit Wasser füllt, ist das die einzige Chance. Um ein Eindringen von Wasser möglichst auszuschließen, legen alle Spechte ihre Höhlen vorwiegend an der geneigten Seite eines leicht schief stehenden Baumes an; sie erschweren damit auch kletternden Feinden das Eindringen.

Selbst der Unkundige erfährt schnell, ob ein Wald von einem Schwarzspecht bewohnt ist. Besonders vom März bis in den Juli hinein sind die Vögel häufig weithin zu vernehmen. Neben den schon erwähnten Flugrufen lassen sie ein langgezogenes klagend anmutendes „Kijäh“ hören oder eine zehn- bis zwanzigteilige Reihe von „Kwih“-Lauten, Während des Anfliegens zur Ablösung beim Brüten oder zum Füttern klingt es doch wieder anders. Seiner Größe entsprechend kann der Schwarzspecht, dessen Schulterfedern und Handschwingen übrigens häufig mehr braun als schwarz schimmern, mit dem Schnabel besonders laute Trommelwirbel erzeugen. Mit 38 bis 43 Schlägen je Wirbel übertreffen sie auch in der Dauer die ihrer kleineren Verwandten. Das Trommeln spielt eine besondere Rolle während der Balz, ist aber außerhalb der Paarungszeit gleichfalls zu hören.

Jungen Schwarzspechten droht nicht nur die Gefahr des Ertrinkens oder des Erfrierens bei früher Brut; sie haben auch den Baummarder zu fürchten, und während der ersten Tage nach dem Verlassen des Nestes können sie leicht die Beute von Greifvögeln werden. Mancher Habicht hat schon eine ganze Schwarzspechtfamilie ausgerottet, denn auch die Altvögel sind vor ihm nicht sicher: Vor allem während der Balz, beim Höhlenbau und beim Füttern der Jungen lassen sie ihre Scheu mitunter außer acht.

So mußte das auf dem Foto abgebildete Weibchen (gleich groß wie das Männchen, aber am kleineren roten Fleck auf dem Kopf zu erkennen) seine drei Jungen in der letzten Woche vor dem Ausfliegen allein füttern, weil ein Habicht das Männchen wenige Meter vom Brütbaum entfernt geschlagen und gerupft hatte. Als sich der Habicht zwei Tage später auf eine für ihn äußerst ungewöhnliche Art (auf dem Erdboden zu Fuß!) an den Stamm des Nistbaumes heranpirschte (wohl wissend, daß der in etwa acht Meter Höhe fütternde Specht nur nach oben und zur Seite sichert), um ihn wohl von unten anzugreifen, war zum Glück für die Spechtfamilie der Fotograf im Versteck zur Stelle…