„Wie viele Lerchen singen auf deinen Feldern?“

Beim Projekt F.R.A.N.Z. erkunden Landwirte und Naturschützer gemeinsam Wege, die Natur in der Agrarlandschaft wiederzubeleben

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
16 Minuten
Blühstreifen mit Mohn, Schafgarbe und Kornblumen auf dem Hof von Landwirt Jochen Hartmann in Rettmer bei Lüneburg

WENN man regelmäßig die Nachrichten zum Thema Landwirtschaft verfolgt, packt einen fast zwangsläufig die Schwermut angesichts des ständigen Wechsels von ökologischen Hiobsbotschaften, fruchtlosen Reformappellen und ungerührten Wir-machen-weiter-wie-bisher Statements.

Bayer kauft Monsanto. Die EU-Kommission vertagt die Entscheidung über ein Verbot der für viele Organismen hochgiftigen Neonikotinoide ein weiteres Mal. Die EU-Agrarminister erklären, am bisherigen Subventionssystem festhalten zu wollen. Frankreich meldet einen dramatischen Einbruch der Feldvogelbestände. Das sind nur einige Schlagzeilen der vergangenen Wochen.

Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer.

Vor einiger Zeit war ich auf dem Hof von Jochen Hartmann zu Gast. Hartmann, Landwirt in 19. Generation, bestellt 200 Hektar Acker- und Grünland in der Nähe von Lüneburg. Er hat einen Hofladen, in dem er sehr leckere Kartoffeln verkauft, außerdem Eier von „Wanderhühnern“, die in mobilen Ställen zum freien Auslauf auf die Felder gebracht werden.

Aber deshalb war ich nicht gekommen. Sondern weil Hartmanns Hof an dem Projekt F.R.A.N.Z teilnimmt. Die fünf Buchstaben stehen für den Slogan: „Für Ressourcen, Agrarwirtschaft und Naturschutz mit Zukunft“. Unter diesem Motto haben sich 2017 gut zwei Dutzend Institutionen zusammengetan, unter ihnen die Bundesministerien für Umwelt und Landwirtschaft, der Deutsche Bauernverband, die Michael-Otto-Stiftung für Umweltschutz, das Thünen-Institut, das unter anderem zu Landwirtschaft und Ernährung forscht, sowie mehrere Landesbauernverbände und deren Kulturlandschaftsstiftungen. Ziel des Projekts FRANZ, das auf zehn Jahre angelegt ist: Maßnahmen zu entwickeln, um die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft zu erhalten und zu erhöhen. Das Besondere daran: Es geht um die normale Durchschnitts-Agrarlandschaft. Das Projekt richtet sich also nicht an die Besitzer von Öko- oder Biobauernhöfen mit erhöhter Naturliebe, sondern explizit an Landwirte mit konventionellen Betrieben, die ihre Flächen intensiv bewirtschaften.

Lässt sich die konventionelle Landwirtschaft naturverträglicher gestalten?

Die zehn Demonstrationsbetriebe, die für FRANZ ausgewählt wurden, sind über ganz Deutschland verteilt und jeweils repräsentativ für ihre Region. Sie bilden, was Größe, Anbaukulturen und Ertrag angeht, fast die gesamte Bandbreite deutscher Agrarwirtschaft ab: Milchviehhalter und Fleischproduzenten sind ebenso vertreten wie Obst-, Wein- und Ackerbauern; Familienbetriebe mit 70 Hektar Land ebenso wie ehemalige LPGs mit 1700 Hektar Fläche.

Naturschutzmaßnahmen in der intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaft entwickeln: Das klingt zunächst wie der Versuch einer Quadratur des Kreises. Denn es ist ja vor allem die intensive Landwirtschaft, die Natur und Artenvielfalt in der offenen Landschaft so in Bedrängnis gebracht hat – durch intensiven Einsatz von Pestiziden und Dünger, die Pflanzen- und damit auch Insektenvielfalt zerstören, durch immer kürzere Bearbeitungsintervalle, die Vögeln kaum noch Zeit zum Brüten lassen, durch das „Ausräumen“ von Hecken, Brachen und anderen Habitaten zur Schaffung monotoner Riesenfelder. Kann man diese Form der Landwirtschaft naturverträglicher gestalten, ohne an ihren Methoden Grundsätzliches zu ändern?

Mitarbeiter des Projekts FRANZ haben sich vor einem der zehn teilnehmenden Betriebe versammelt, dem Bauernhof der Familie Hartmann in Rettmer bei Lüneburg. Dort werden vor allem Kartoffeln und Getreide angebaut.
Der Hof der Familie Hartmann in Rettmer bei Lüneburg besteht bereits in der 19. Generation. Er gehört zu den zehn über ganz Deutschland verteilten Betrieben, die für das Projekt F.R.A.N.Z. ausgewählt wurden

Das habe ich nicht nur Jochen Hartmann gefragt, sondern auch zwei Mitarbeiter von FRANZ. Philipp Hunke vom Michael-Otto-Institut im NABU beobachtet die Entwicklung der Vogel-, Amphibien- und Feldhasenbestände auf den Versuchsflächen. (Kollegen von ihm kümmern sich um Bienen, Tagfalter und Pflanzen). Björn Rohloff von der Stiftung Kulturlandpflege Niedersachsen erkundet gemeinsam mit dem Landwirt, wie sich die Naturschutzmaßnahmen am besten in die Betriebsabläufe des Hofes integrieren lassen.

Denn darin, so erfuhr ich, liegt die eigentliche Herausforderung des Projekts.

Nach mehrstündigem Gespräch unter der großen Hoflinde, und einer Exkursion über die Feldflur, war ich um eine grundsätzliche Erkenntnis reicher: Immer mehr Landwirte haben ein ernsthaftes Interesse daran, die Natur auf ihren Flächen besser als bisher zu schützen und zu fördern. Doch es gibt ein großes Problem: Sie wissen oft nicht, wie sie das anstellen sollen. Oder trauen sich nicht, es überhaupt zu versuchen – aus Angst vor Ertragseinbußen oder bürokratischen Scherereien. Die ersten Erfahrungen von FRANZ zeigen: Wer an diesem Zustand etwas ändern will, braucht einen langen Atem.

Sind Lerchenfenster wirklich hilfreich?

Naturschutz in der Agrarlandschaft kämpft mit einem Dilemma: Was der Natur nützt, etwa weniger Dünger, mehr Brachen, mehr Raum für Hecken und blühende Ackerraine, verursacht dem Landwirt in der Regel zunächst einmal Kosten – in Form verminderter Ernteerträge und höherem Aufwand bei der Feldbestellung. Diese Kosten lassen sich im Prinzip natürlich ausgleichen, etwa im Rahmen von Agrarumweltmaßnahmen (AUM), die von den Bundesländern finanziert werden. Aber das lohnt sich wiederum nur, wenn die Natur davon am Ende auch messbar und dauerhaft profitiert. Und wenn die Investitionen in mehr Vielfalt sich am Ende auch wirtschaftlich auszahlen – etwa in Form geringerer Kosten für Dünger und Pestizide. Genau das ist jedoch bei vielen Maßnahmen noch nicht systematisch untersucht worden.

Inmitten eines Zuckerrübenfelds liegt ein rund 20 Quadratmeter großes Feldlerchenfenster, das nur mit lückigem Gras bewachsen ist. Darauf können Feldlerchen landen, um im Feld daneben ihr Nest zu bauen
Feldlerchenfenster in einem Zuckerrübenfeld auf einem der zehn Demonstrationsbetriebe des Projekts F.R.A.N.Z. in Rheinhessen

Etwa bei den „Lerchenfenstern“, einem Standardbaustein des Agrarvogelschutzes. Das sind etwa 20 Quadratmeter große Flächen, die beim Einsäen von Getreide ausgespart werden, damit Feldlerchen und andere bodenbrütende Vögel darauf landen und nach Futter suchen können.

Feldlerchenfenster sind auch bei Landwirten beliebt, weil sie leicht anzulegen sind und kaum mehr als ein paar Prozent Ertragseinbußen verursachen. Was sie den Lerchen auf Dauer bringen, ist allerdings ungewiss. Ein bundesweites Projekt „1000 Fenster für die Feldlerche“, 2009 von NABU in Kooperation mit dem Deutschen Bauernverband initiiert, lieferte keine eindeutigen Ergebnisse, weil es auf eine Brutsaison begrenzt blieb. Den bundesweiten Rückgang der Feldlerchenbestände hat es nicht messbar begrenzt.

Auf Hartmanns Hof wird die Wirkung von Lerchenfenstern nun erstmals langfristig untersucht, anhand einer Variante, die der Landwirt und FRANZ-Mitarbeiter Philipp Hunke gemeinsam entwickelt haben. Hartmann stellte nämlich fest, dass er beim Einsäen manchmal vergisst, rechtzeitig die Drillmaschine zu stoppen, was die Zahl der freibleibenden Flächen natürlich reduziert. Deshalb wurde entschieden, statt vieler kleiner lieber vier rund 1600 Quadratmeter große Fenster anzulegen und diese zusätzlich mit Erbsen zu bepflanzen. Die mögen Lerchen gern, wie Studien gezeigt haben, und Hunke hat bei ersten Begehungen festgestellt, dass auch andere Feldvögel wie Hänflinge wortwörtlich darauf fliegen.

Eine Feldlerche sitzt auf einem Zaunpfahl.
Feldlerchen gehören (noch) zu den häufigsten Vögeln der Agrarlandschaft. Sie nisten auf Wiesen und in Getreidefeldern, die nicht zu dicht bewachsen sind und nicht zu oft bearbeitet werden

Außer Lerchenfenstern testen die FRANZ-Mitarbeiter auch Blühstreifen. Sie sind der zweite wichtige Baustein des Naturschutzes in der Agrarlandschaft, und zugleich der komplizierteste. Denn „Blühstreifen“ ist der Obergriff für ein ganzes Sortiment botanischer Gestaltungselemente. Es gibt ein-, zwei- und mehrjährige Blühstreifen sowie Brachstreifen, auf denen nur wächst, was sich von selbst dort aussamt. Es gibt Saatgutmischungen, die ausschließlich wild wachsende Arten enthalten wie auch solche mit bienenfreundlichen Kulturpflanzen. Einige sind speziell auf die Bedürfnisse von Rebhühnern zugeschnitten, andere erfreuen vor allem bestäubende Insekten. Die Bedürfnisse der verschiedenen Tierarten sind nicht immer deckungsgleich. Manchmal kabbeln sich die fürs Vogelmonitoring zuständigen FRANZ-Mitarbeiter ein bisschen mit den Insektenexperten, weil die einen möglichst früh im Jahr einsäen wollen, damit die Vögel während der Brutzeit ungestört sind, während die anderen mit der Bearbeitung lieber ein paar Wochen später beginnen, damit auch im September noch etwas blüht.

Ein rund zwölf Meter breiter Blühstreifen, hauptsächlich blau mit Phacelia und Kornblumen, grenzt an ein Feld mit erntereifem Weizen
Blühstreifen auf dem Hof von Jochen Hartmann in Rettmer bei Lüneburg – unter anderem mit „Bienenfreund“ und Kornblumen

Zudem hat der Kollege eine Erfahrung gemacht, die auch Hartmann vertraut ist: Bei Detailfragen zum Thema Naturschutz zucken die Vertreter der Landwirtschaftkammer in der Regel die Achseln, weil ihre Expertise sich überwiegend auf die Gebiete Agrartechnik und Betriebswirtschaft beschränkt.

Die Landwirte selbst können in den wenigsten Fällen auf eigenes Wissen zurückgreifen. Denn die Themen Biodiversität und Naturschutz finden auch in ihrer Ausbildung schlicht nicht statt. „Ich konnte das erst kaum glauben“, sagt Philipp Hunke, „aber die Leiter der FRANZ-Versuchsbetriebe sagen es alle, und es wurde mir auf Nachfrage auch von mehreren Universitäten bestätigt.“

So wundert es nicht, dass viele Bauern bis heute für die Natur nur tun, was im Rahmen der „Greening“-Auflagen der Europäischen Union gefordert wird. Diese wurden im Rahmen der letzten EU-Agrarreform 2015 erlassen mit dem Ziel, auch auf intensiv bewirtschafteten Flächen mehr Artenvielfalt zu ermöglichen. Gebracht haben die Auflagen bislang wenig. Die meisten Bauern erfüllen sie mit der am leichtesten umzusetzenden Maßnahme: durch das Ausbringen sogenannter Zwischenkulturen, wie etwa Ölrettich, der vor der Aussaat der Hauptkultur im Frühjahr mit Glyphosat wieder abgespritzt wird. Für den Boden soll das gut sein, aber Insekten und Vögeln haben überhaupt nichts davon. Weswegen die Bestände der Feld- und Wiesenarten, nicht überraschend, auch in den vergangenen Jahren weiter zurückgegangen sind.

Ein Blühstreifen inmitten eines Ackers. Links und rechts davon wurde schon abgemäht. Im Vordergrund wurde schon gepflügt.
Ein Blühstreifen, der mitten durch den Acker verläuft – für einen Landwirt, der darauf bedacht ist, jeden Quadratmeter seines Bodens optimal zu nutzen, eine extrem gewöhnungsbedürftige Maßnahme. Für Ackerflora, Insekten und Vögel ist sie aber Gold wert.

Je länger ich mit Landwirten wie Jochen Hartmann und den Natur- und Agrarexperten von FRANZ diskutierte, desto nachdrücklicher drängte sich jene Grundsatzfrage auf, die auch der Ausgangspunkt meiner Recherche war. Die Frage nämlich, ob sich die Natur in der Agrarlandschaft überhaupt nachhaltig schützen lässt, ohne das EU-weit geltende System der Agrarsubventionen grundlegend zu ändern. Ein System, das durch flächengebundene Direktzahlungen vor allem den Besitz von Land belohnt, ohne Rücksicht darauf, wie es bewirtschaftet wird. Die Agrarpolitik der EU fördert Großbetriebe, die auf Megaställe und maschinengerechte Monokulturen setzen und immer mehr kleinere Familienbetriebe zum Aufgeben zwingen. Sie nötigt dazu, das Letzte aus den Böden herauszuholen, auch wenn Bienen, Lerchen und Feldhasen dabei auf der Strecke bleiben.

Naturschutzförderung kann auch den Falschen helfen

Die Versuche, dieses System zu „begrünen“, sind auch deshalb bislang so erfolglos geblieben, weil viele Agrarumweltmaßnahmen wenig mehr als Schadensbegrenzung sind und Auflagen zugunsten des Naturschutzes häufig die Falschen treffen. Das Lieblingsbeispiel von Jochen Hartmann ist das 2013 erlassene Umbruchverbot für Dauergrünland. Ökologisch ist es sinnvoll, weil Wiesen und Weiden zu den wichtigsten Habitaten für alle Arten der Agrarlandschaft gehören, und weil die Grünlandfläche seit Anfang der 1990er Jahre ständig zurückgegangen ist – vor allem durch die Förderung des Anbaus von Energiepflanzen im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.

Von dieser Förderung profitieren vorwiegend jene Landwirte, die auf guten Böden hohe Erträge erzielen und ihr Grünland meist schon vor Jahren in Ackerland umgewandelt haben. Naturschutzauflagen wie das Umbruchverbot treffen dagegen meist solche Betriebe, die schon deshalb naturnah wirtschaften, weil ihre Böden mager oder so feucht sind, dass sie sich vor allem für extensive Weidewirtschaft eignen. Sie erzielen auch beim Verpachten ihrer Flächen niedrigere Einnahmen, weil Grünland zwar ökologisch als kostbar gilt, sein Verkehrswert jedoch in der Regel höchstens halb so hoch ist wie der von Ackerland. Fördermittel im Rahmen von Agrarumweltprogrammen gleichen oft nicht aus, was die Landwirten an Einkommen erzielen könnten, würden sie ihre artenreichen Wiesen in intensiv gedüngte und gespritzte Ackerkulturen zur Erzeugung von Viehfutter oder Biogas verwandeln.

Ein Kiebitz (Vogel).
Der Kiebitz gehört zu den Vogelarten, die bei der ökologischen Begleitforschung von FRANZ besonders im Fokus stehen. Seine Bestände haben vor allem durch den Verlust von feuchtem Grünland stark abgenommen.

An den agrarpolitischen Vorgaben, die zu solchen Schieflagen führen, wird auch FRANZ kaum Grundlegendes ändern können. Immerhin könnten die Erkenntnisse aus dem Projekt dazu führen, dass öffentlich finanzierte Agrarumweltmaßnahmen effektiver, zielgenauer und angemessener honoriert werden, und dass im Rahmen des Greenings nur noch gefördert wird, was der Natur wirklich dient. Was aber werden diese Veränderungen insgesamt bringen? Wird es reichen, ein paar mehr Blühstreifen und Lerchenfenster anzulegen, damit sich die sinkenden Bestandskurven von Pflanzen-, Insekten- und Vogelarten der Agrarlandschaft wieder umkehren? Wird es der Natur nützen, wenn man ihr ein paar mehr liebevoll gestaltete Refugien schafft, aber auf dem großen Rest der Fläche so weiter wirtschaftet wie bisher?

Es gibt renommierte Naturschützer, die dies entschieden verneinen. „Es bringt nichts, ein paar hübsche Vögel zu retten – nötig ist ein grundlegender Systemwechsel“, sagt etwa Martin Flade, einer der profiliertesten Ornithologen Deutschlands und langjähriger Leiter des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin in Brandenburg. Aus seiner Sicht sind Initiativen wie FRANZ „Agrarkosmetik“, weil sie die tiefgreifenden Probleme und Folgeschäden moderner Intensivlandwirtschaft außer Acht lassen: etwa die Belastung von Böden und Grundwasser durch Stickstofffrachten und Pestizide und die Missstände in der Tierhaltung.

Aufnahme von jungen Maisstauden auf einem Acker. Auf dem Boden kann man auch die weißen Körner des Düngers erkennen.
Maisstauden bis zum Horizont, intensiv gedüngt und gespritzt – in solchen „Landschaften“ können weder Insekten noch Vögel auf Dauer überleben. Umso wichtiger ist es, dass Landwirte ihnen wieder Refugien schaffen.

Flade wie auch viele Vertreter von Naturschutzverbänden plädieren stattdessen für eine konsequente Förderung des biologischen Landbaus und für eine grundlegende Änderung des Subventionssystems: Die Fördermilliarden sollten künftig nicht mehr nach Fläche verteilt, sondern an öffentliche Leistungen gebunden werden. Dazu zählen der Schutz von Natur und Artenvielfalt, aber auch der Erhalt von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft, deren Zahl allein seit Anfang der 1990er Jahre um die Hälfte gesunken ist.

Die Mitarbeiter von FRANZ kennen diese Einwände natürlich, und sie haben darauf eine sehr pragmatische Antwort. Diese lautet, sinngemäß zusammengefasst, so:

Natürlich wäre eine grundlegende Reform der Agrarpolitik aus Naturschutzsicht wünschenswert, ebenso eine konsequente Ausweitung des Bioanbaus. Aber ob und wann die vielbeschworene Agrarwende kommen wird, ist ungewiss. Und selbst wenn der Anteil des Ökolandbaus von jetzt 7,5 auf 20 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche erhöht würde, wie es die Bundesregierung im Rahmen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie vorsieht: Es blieben immer noch 80 Prozent übrig, die weiterhin konventionell bewirtschaftet würden. Wer der bedrohten Natur in der Agrarlandschaft wirksam helfen will, muss auf diesen Flächen ansetzen, und das möglichst schnell, im Rahmen des bestehenden Systems. Denn viele Tier- und Pflanzenarten haben schlicht nicht mehr die Zeit, auf eine grundlegende Änderung der Politik zu warten.

Zwei Rebhühner sitzen auf einer Grasfläche und sondieren wachsam ihre Umgebung
Rebhühner sind aus der Agrarlandschaft fast verschwunden. Können sie auch auf konventionell bewirtschafteten Flächen eine neue Heimat finden?

Die FRANZ-Mitarbeiter können auf ein Vorbild verweisen, das die Wirksamkeit von „Agrarkosmetik“ schon jetzt eindrucksvoll belegt: die „Hope Farm“, einen 181 Hektar großen konventionellen Ackerbaubetrieb, den die britische Vogelschutzorganisation RSPB im Jahr 2000 erworben hat. Sie erprobt dort, unter wissenschaftlicher Aufsicht, diverse Maßnahmen zum Schutz von Vögeln und Insekten – und das mit messbarem Erfolg: Dank Blühstreifen, Lerchenfenstern und schonend beschnittener Hecken hat sich die Zahl der auf Hope Farm nistenden Lerchen, Hänflinge, Goldammern und anderer Feldvögel seit 2000 mehr als verdoppelt. Rebhuhn und Kiebitz sind sogar neu zugewandert. Darüber hinaus erreichen Zahl und Artenvielfalt der Schmetterlinge jedes Jahr neue Rekorde. Die „Hoffnungsfarm“ ist dabei auch ökonomisch profitabel geblieben – nicht nur dank staatlicher Fördermaßnahmen, sondern auch, weil durch vielfältigere Fruchtfolgen und den Anbau robusterer Getreidesorten Kosten für Dünger und Pestizide gespart werden konnten. Und das bei gleichbleibend intensiver, konventioneller Bewirtschaftung.

„Diese Zottelwicke hier, oder was das ist!“

Die Modellfarm der RSPB hat nur ein Manko: Sie ist, alles in allem, ein Modell geblieben, international beachtet und bewundert, aber kaum nachgeahmt. Das hat einen strukturellen, man könnte auch sagen, zwischenmenschlichen Grund, wie mir Björn Rohloff erklärte: Die meisten Landwirte haben eine Grundskepsis gegenüber Ratschlägen, die von fachfremden Personen und Organisationen an sie herangetragen werden. Sie halten sich lieber an Empfehlungen von Berufskollegen. Gerade Natur- und Vogelschützer sind aus Sicht vieler Bauern aber der Inbegriff von Fachfremdheit. Da hilft auch nicht, wenn ihre Ideen, neutral betrachtet, plausibel und praxisnah sind.

Die Initiatoren von FRANZ haben aus dieser Erfahrung gelernt und dafür gesorgt, dass bei ihrem Projekt Naturschützer, Wissenschaftler und Landwirte von Anfang an gemeinsame Sache machen, in ständigem Austausch miteinander nach den besten Lösungen suchen. Daher die große Zahl der beteiligten Organisationen, einschließlich Bauernverbänden und Kulturlandstiftungen, daher der Entschluss, nicht nur einen, sondern zehn übers Land verteilte Demonstrationsbetriebe in das Projekt einzubeziehen.

Am Ende, so die Hoffnung aller Beteiligten, wird FRANZ nicht nur eine Handvoll lebendigerer, artenreicher Bauernhöfe geschaffen haben, sondern dazu beitragen, dass die Natur in der gesamten Agrarlandschaft einen neuen Aufschwung erlebt. Das wird vor allem dann gelingen, wenn die gewonnenen Erfahrungen und konkreten Praktiken sich möglichst breit herumsprechen, vor allem unter Landwirten. Die sich ja, anders als Wissenschaftler und Naturschützer, weniger auf Fachtagungen, Kongressen oder im Internet treffen, als vielmehr in informellen Runden. Abends im Dorfgasthof etwa, wo man sich, zwischen zwei Doppelkopfrunden, über die Entwicklung der Weizenpreise austauscht, die Tücken der neuen Gülleverordnung und die Frage, wie schnell sich die Anschaffung eines neuen Mähvorsatzes amortisiert.

Landwirt Jochen Hartmann (rechts) und Björn Rohloff beraten gemeinsam mit der Biologin Laura Sutcliffe.
Was soll uns hier blühen? Landwirt Jochen Hartmann (rechts) und Björn Rohloff beraten gemeinsam mit der Biologin Laura Sutcliffe von der Universität Göttingen, welche naturnahen Pflanzungen am Rand des Ackers angelegt werden sollen

„Wenn sie sich dann irgendwann auch noch erzählen, wie viele Feldlerchen gerade auf ihren Flächen brüten, und wie toll sich die Hasenbestände bei ihnen entwickelt haben – das wäre super“, sagt Philipp Hunke. „Dann hätte unser Projekt seinen Zweck erfüllt.“

Der Landwirt Jochen Hartmann jedenfalls muss nicht mehr begeistert werden für das Thema Biodiversität. Klar, sagt er, es sei auch ein Reizwort für seine Branche, „wir kriegen ja ganz schön Feuer ab in den Medien zurzeit, wegen Nitratbelastung und Artenschwund und so, das nervt schon ein bisschen. Aber wir wissen auch, dass wir was tun müssen. Nicht nur aus Imagegründen.“ Er zum Beispiel hoffe, dass das Mehr an Vielfalt auf seinen Flächen auch seinem Boden guttue. Dass die Blühstreifen-geförderten Nützlinge die Ackerkrume beleben und belüften, damit sie nach starken Regenfällen nicht so schnell verkrustet; dass die neu angelegten Gehölzstreifen den Wind bremsen und die Verdunstung mildern, so dass er in trockenen Sommern nicht so viel beregnen muss.

Ganz abgesehen davon: Biodiversität sei einfach schön, ein Gewinn an Lebensqualität. „Was da auf einmal blüht an Stellen, die ich früher immer sauber gehalten habe – das ist schon spannend. Ich brauch jetzt oft länger bei der Arbeit, weil ich mir das alles in Ruhe angucke. Diese Zottelwicke hier, oder was das ist! Hab ich noch nie gesehen.“

Demnächst, sagt Hartmann, werde er Philipp Hunke mal einen ganzen Tag lang begleiten bei seinen Rundgängen auf den Versuchsflächen. Um endlich zu lernen, wie die Vögel alle heißen.

Die Frage, wie Landwirtschaft wieder vogel- und naturfreundlicher werden kann, beschäftigt mich seit vielen Jahren. Das liegt auch daran, dass ich einen Großteil unserer heimischen Vögel zuerst auf den Wiesen und Äckern am Niederrhein kennengelernt habe. Damals, in den 1960er/70er Jahren, gab es dort noch Braunkehlchen, Feldlerchen, Kiebitze satt, sogar Ortolane waren nicht ungewöhnlich. Weil mir diese Vögel so vertraut sind, empfinde ich ihren dramatischen Rückgang als besonders schmerzlich. Und verfolge mit ebenso viel Interesse wie Hoffnung jeden Versuch, ihnen wieder mehr Lebensraum zu verschaffen. Vom FRANZ-Projekt erfuhr ich zum ersten Mal von einem seiner Initiatoren, Hermann Hötker. Er leitet das Michael-Otto-Institut des NABU in Bergenhusen. (Ich habe ihn und mehrere seiner Mitarbeiter für mein Buch Federnlesen – vom Glück, Vögel zu beobachten interviewt). Einige Monate nach dem offiziellen Start von FRANZ habe ich einen halben Tag auf dem im Text erwähnten Versuchsbetrieb verbracht, ausführlich mit dessen Inhaber und mehreren Projektmitarbeitern gesprochen sowie einige Testflächen besichtigt.