Wie Hechte sich paaren, Libellen Eier ablegen und Wasseramseln Köder benutzen

TV-Tipp: „Der unsichtbare Fluss – unter Wasser zwischen Schwarzwald und Vogesen“. Claudia Ruby sprach mit dem Filmemacher Serge Dumont

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
7 Minuten
Ein Taucher im Fluß

Serge Dumont ist Professor für Biologie an der Universität Straßburg – und verbringt einen guten Teil seiner Zeit unter Wasser. Meist hat er die Kamera dabei und macht einzigartige Aufnahmen von Fischen, Vögeln und Insekten. Claudia Ruby sprach mit ihm über seinen neuesten Film. Der „Unsichtbare Fluss“, der nun bei ARTE läuft, erzählt die Geschichte des größten Grundwasserreservoirs Europas. Zwischen Schwarzwald und Vogesen sind Feuchtgebiete von besonderer Schönheit entstanden. Zusammen mit Co-Autor Frank Nischk erzählt Dumont von Hecht und Döbel, von Großen Brachvögeln und Haubentauchern, von Libellen und Wasserläufern. Mit seiner Kamera kommt Dumont den Tieren so nahe, als ob er selber ein Fisch wäre.

Claudia Ruby: Herr Dumont, was war der Grund, diesen Film zu machen?

Serge Dumont: Es gab bisher keinen Film über das Grundwasser. Nur wenige wissen, was Grundwasser eigentlich bedeutet. Das wollte ich ändern. Ich möchte informieren und aufklären. Und dabei sollte es auch um die Probleme gehen: um Verschmutzung und das Trockenfallen im Sommer zum Beispiel. Allerdings wollte ich das aus einer bestimmten Perspektive erzählen: Ein ausgetrockneter Fluss sieht für uns aus wie ein Weg. Das berührt uns nicht sonderlich. Im Film sehen wir, was Trockenheit für das Leben im Fluss bedeutet. Wir sehen im Zeitraffer, wie der Wasserspiegel fällt. Das berührt die Zuschauer, der Tod von Fischen und wirbellosen Tieren macht betroffen. Das sind sehr starke Bilder, und sie zeigen, was wirklich passiert.

Wie haben Sie es geschafft, dass die Tiere nicht flüchten, wenn Sie mit Kamera und Tauchgerät in ihrer Nähe auftauchen?

Zum Tauchen benutze ich einen sogenannten Rebreather, ein spezielles Atemgerät, das leise ist und keine Blasen macht. Dann bewege ich mich langsam und nehme mir einfach Zeit. Ich bin so viel unter Wasser, dass sich die Tiere an meine Anwesenheit gewöhnen. Ich bedränge die Fische nicht und verfolge sie nie. Sie entscheiden, ob sie kommen und mich akzeptieren. Ich tauche immer allein. Und dann gibt es noch einige kleine Geheimnisse, die ich für mich behalte.

Wie lange waren Sie für diesen Film unter Wasser?

Vor über zehn Jahren habe ich zum ersten Mal über dieses Projekt nachgedacht. Die ältesten Bilder stammen aus dem Jahr 2012. Ich habe extrem viel Zeit damit verbracht zu filmen, das waren etwa 500 Tauchgänge. Allein 40 Tauchgänge hat es gebraucht, die Fortpflanzung der Hechte zu filmen. Wenn man den entscheidenden Moment nicht verpassen will, muss man jeden Tag ins Wasser, manchmal sogar zwei oder drei Mal am Tag.

Taucher mit Kamera in einem Fischschwarm.
Fast jeden Tag ist Serge Dumont mit seiner Kamera unter Wasser.

Was darf nicht schiefgehen?

Entscheidend ist, dass das Wasser klar bleibt. Das ist extrem schwierig, besonders bei geringer Tiefe, wenn der Boden matschig ist. Sie dürfen sich dann vor dem Fisch nicht bewegen. Das braucht einen perfekten Gleichgewichtssinn. Und diese Kontrolle haben Sie nur, wenn Sie jeden Tag tauchen. Ich merke das immer sofort, wenn ich mal seltener im Wasser bin.

Oft sehen wir im Film auch eine Idylle, eine intakte, artenreiche Landschaft – aber das ist nur ein Teil der Realität.

Ja, die Umwelt und viele Tierarten sind bedroht – und meistens ist der Mensch die Ursache. Wir verlieren Biodiversität, indem wir die Natur bekämpfen, zum Beispiel durch den Einsatz von Pestiziden. Wir müssen wieder lernen, mit der Natur zu arbeiten, nicht gegen sie – sonst ziehen am Ende wir den Kürzeren. Unsere Vorfahren wussten noch, wie man das Hochwasser nutzt, um damit die Wiesen zu düngen. Heute bauen wir Deiche und Dämme, um Überflutungen zu verhindern. Wir verwenden chemische Düngemittel und verschmutzen die Flüsse, so dass das Wasser nicht mehr trinkbar ist. Diese Art zu wirtschaften kommt am Ende sehr teuer, aber das wird nicht berücksichtigt. Arten verschwinden vor allem, weil wir ihre Lebensräume zerstören.

Eigentlich wissen wir das alles – und trotzdem gelingt es uns kaum, etwas daran zu ändern.

Wir müssen Lebensräume wiederherstellen und die Art der Landwirtschaft verändern. Zum Beispiel Bio-Produkte anbauen und regional vermarkten. Zwischen den Feldern brauchen wir Hecken und Bäume, für Insekten und Vögel ist das ganz entscheidend. Zu viele Flüsse werden kanalisiert und aufgestaut. Im Film zeigen wir, wie wichtig es ist, den Flüssen das Wasser und die Freiheit zurückzugeben.

„Der Unsichtbare Fluss“ ist ein Film über das Grundwasser – also Wasser, was man normalerweise nicht sieht. Im Rheintal tritt es immer wieder an die Oberfläche. Was ist das Besonders an diesem Wasser?

Wenn man abtaucht, bemerkt man sofort die Kälte. Flüsse, die vom Grundwasser gespeist sind, bleiben das ganze Jahr über kalt. Es ist immer die Kälte, die mich irgendwann aus dem Wasser treibt. Denn wenn ich zittere, kann ich nicht mehr filmen. Die Flüsse sind oft im Wald versteckt. Man muss viel laufen, um sie zu erreichen. Deshalb ist es unmöglich, einen dickeren Tauchanzug anzuziehen. Unter Wasser ist es dann sehr ruhig, auch wenn es regnet oder stürmt. Sobald Sie unter Wasser sind, ist es ruhig. Ich liebe dieses Gefühl, das Wasser wird zum Kokon.

Ein Lebensraum, den kaum jemand kennt…

Auch das Licht ist außergewöhnlich, die Bäume werfen Schatten auf das Wasser. Es entsteht eine ganz besondere Atmosphäre. Die Wurzeln von Eschen und Erlen bieten vielen Arten Schutz. In den Höhlen am Ufern leben Forellen und Hechte. Auch Döbel gibt es im Fluss. Bäume, die in das Wasser fallen, sind wichtig für das Leben im Gewässer. Leider werden sie oft herausgezogen. Das Grün der Wasserpflanzen und das Blau des Wassers ergibt eine perfekte Kombination. Es ist ein Wunder, ein Aufruf zum Respekt!

Serge Dumont bereitet eine Drohne für Luftaufnahmen vor.
„Der Unsichtbare Fluss“ zeigt das Leben über und unter Wasser

Sie zeigen das Leben im und am Fluss – was mich extrem überrascht hat: Die Wasseramsel nutzt Köcherfliegenlarven, um damit Fische zu fangen.

Ja, es war überraschend zu sehen, wie Wasseramseln Köcherfliegenlarven als eine Art Werkzeug gebrauchen. Beim Filmen haben wir lange Brennweiten und Zeitlupe genutzt. Denn nur wenn wir das Verhalten in Zeitlupe betrachten, können wir wirklich beobachten, was passiert.

Gibt es sonst noch etwas, was Sie nicht erwartet hätten?

Die Eiablage der Libellen hat mich wirklich überrascht, das hatte ich nicht erwartet. Es hat sehr lange gedauert, die gesamte Sequenz zu filmen, insgesamt drei Sommer. Meine Lieblingsszene aber sind die Hechte kurz vor der Paarung. Die räuberischen Fische werden auf einmal ganz zärtlich. Im Salzwasser geht es oft gewalttätig zu. Bei Haien zum Beispiel beißen die männlichen Tiere die Weibchen und verletzen sie. Im Süßwasser, beim Hecht, läuft alles sehr zart ab. Die Weibchen sind viel größer, und beim Liebesspiel müssen die kleinen Männchen aufpassen, dass sie nicht zusammengedrückt werden!

Die Paarung der Hechte ist ein Höhepunkt im Film – so etwas habe ich zuvor noch nicht gesehen…

Wir hatten gar nicht geplant, das zu filmen. Eines Tages bin ich zufällig darauf gestoßen, als ich Unterwasser einen Sonnenaufgang filmen wollte. Das ist die erste Szene des Films. Als ich dann all die Hechte sah, wusste ich, was kommen würde. Von da an bin ich jeden Tag mit ihnen getaucht. Und als ich Frank die Bilder schickte, sagte er sofort, dass wir unbedingt die Paarung filmen müssten. Das hat mich motiviert, noch häufiger zu tauchen. Es ist extrem schwer, genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Unter Wasser ist das fast unmöglich, aber wenn es dann gelingt, erinnern wir uns ein ganzes Leben daran! Es sind einzigartige Momente, und dafür mache ich das alles.

Nach so vielen Jahren und Tauchgängen: Gibt es für Sie im Oberrheintal noch etwas zu entdecken?

Es gibt immer etwas zu entdecken. Ich liebe diese Flüsse, sie laden meine Batterien auf. Erst letzten Samstag bin ich wieder getaucht, zur Zeit der Hechtpaarung. Aber dieses Jahr habe ich keine großen Weibchen gesehen, letztes Jahr hatten wir unsere Chance. Und ich denke tatsächlich über einen neuen Film nach. Unter Wasser komme ich auf die besten Ideen.

TV-Tipp

Der „Unsichtbare Fluss“ läuft am 11. April um 18:35 Uhr auf Arte und ist anschließend bis zum 20. Mai in der Mediathek zu sehen.

Regie und Kamera: Serge Dumont; Buch: Serge Dumont, Frank Nischk; Schnitt: Isabelle Albert; Redaktion: Martin Schneider, Claudia Schwab (SWR), Klaus Kunde-Neimöth (WDR). Eine Koproduktion von Längengrad Filmproduktion und Seppia.

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