Warum meiden spanische Geier Portugal?

Forscher zeigen: Es gibt eine unsichtbare, menschengemachte Grenze für die Aasfresser

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
7 Minuten
Zwei Gänsegeier fliegen knapp über dem Boden.

Als Eneko Arrondo zum ersten Mal diese Karte der iberischen Halbinsel betrachtete, wunderte er sich. Der spanische Vogelschützer hatte die Flugrouten von Gänsegeiern darin eingetragen. Er und seine Kollegen hatten den Tieren zuvor GPS-Sender umgeschnallt. Rote und blaue Flächen malten die Vögel mit ihren Flügen auf die Landkarte. Das Erstaunliche: Bis auf ein paar vereinzelte Punkte blieben sie zuverlässig in spanischem Luftraum.

Besonders deutlich ist das Phänomen im Westen der Extremadura zu erkennen, da wo die Grenze bei der Stadt Alcántara einen scharfen Knick nach Westen macht, gut 50 Kilometer dem Fluss Tajo – oder Tejo auf Portugiesisch – folgt, und dann wieder Richtung Süden über die Sierra de San Pedro abknickt. Diesen Winkel haben die Tiere fast komplett abgesucht, aber die Grenze so gut wie gar nicht passiert. Im Schnitt flogen die Tiere gerade einmal rund zehn Kilometer nach Portugal hinein, schreibt Eneko Arrondo in seiner Studie im Fachmagazin Biological Conservation.

Weder Futterangebot noch Landschaft konnten das Verhalten erklären

Verständlicherweise haben sich Eneko Arrondo und seine Kolleginnen und Kollegen Gedanken darüber gemacht, wie sie dieses Phänomen erklären könnten. Denn politische Grenzen sind den Vögeln ja nicht bekannt. „Als erstes dachten wir, in Portugal gibt es vielleicht weniger Viehherden“, erinnert sich der Forscher von der Biologischen Station Doñana in Sevilla. Das hätte bedeutet, dass es auch weniger Kadaver gibt, von denen sich die Tiere ernähren.

Aber es stellte sich heraus, dass die Zahlen ziemlich ähnlich sind. Dann verglichen die Forscher die Landschaft beiderseits der Grenze, die fast durchgängig durch Flusstäler verläuft. An manchen Stellen haben die Flüsse Steilwände gegraben, in denen Geier beste Brutbedingungen finden. Vor allem aber gibt es Weiden, Äcker, vereinzelte Stein- und Korkeichenhaine. Die Spanier nennen diese savannenartige Landschaft dehesa, die Portugiesen montado, doch diese Worte unterscheiden sich stärker als das, was sie beschreiben. „Die Landschaft ist fast identisch“, sagt Eneko Arrondo. Traditionell bewirtschafteten die Menschen die Hügel und Täler mit Schafs- oder Schweineherden und mit Getreidefeldern.

Wie also kommt es, dass die Geier hier eine unsichtbare Wand wahrnehmen? Wenn sie mit diesen Vermutungen falsch lagen, blieb ihnen nur noch eine Lösung für das Phänomen.

Zwei Karten der Iberischen Halbinsel. Auf der linken sind mit Rot und Blau Flugrouten eingezeichnet, auf der rechten mit Grün. Auf beiden Karten ist zu erkennen, dass die Tiere Portugal so gut wie vollständig meiden.
Die beiden Karten zeigen, wo die Gänsegeier (links) und die Mönchsgeier sich im Beobachtungszeitraum aufgehalten haben. Rot sind die Flugwege der Gänsegeier, die die Forscher im Guadalquivir-Tal im Süden Spaniens mit Sendern versehen haben, blau die Routen der Tiere aus dem Ebro-Tal im Norden.
Ein Mann mit einem Kapuzenpulli hält einen Geier um den Hals gefasst.
Eneko Arrondo von der Biologischen Station Doñana in Sevilla hat einen Gänsegeier gefangen, um ihm einen GPS-Sender anzulegen, mit dem die Vogelforscher seine Flüge nachvollziehen können.
Zwei Geier gehen mit gespreizten Flügeln und geöffnetem Schnabel aufeinander los.
Ein Mönchsgeier (links) und ein Gänsegeier streiten sich in der spanischen Extremadura um ein totes Schaf.
Ein Mönchsgeier geht mit weit gespreizten Flügeln über den Boden.
Im Verhältnis zur Spannweite ist der Körper eines Mönchsgeiers ein bisschen kurz geraten. Beim Gehen sehen sie weitaus weniger elegant aus als im Flug – hier in der Extremadura in Spanien..