Im Turteln sind diese Tauben nicht zu toppen – doch ihre Lebensweise ist in Gefahr

Wissenswertes über den Vogel des Jahres 2020. Von C.A. von Treuenfels

von Carl-Albrecht von Treuenfels
6 Minuten
Ein Turteltaubenpaar.

Wenn Turteltauben turteln, schmelzen die Herzen von Vogelbeobachtern. Doch die Art ist stark bedroht. Sie gehört zu einer der größten Vogelfamilien namens Columbidae, ist eine von 309 wild lebenden Taubenarten weltweit und von vier Taubenarten, die in Deutschland vorkommen. Aus Sorge um ihr Überleben haben der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) die Turteltaube für 2020 zum „Vogel des Jahres“ ausgewählt.

Nach der häufigen Ringeltaube, der Hohltaube und der Türkentaube ist die Turteltaube die kleinste und seltenste bei uns lebende Art. Und sie ist ein echter Zugvogel, der den europäischen Winter in der afrikanischen Subsaharazone vom Senegal im Westen bis nach Äthiopien im Osten verbringt.

Ab Mitte April und im Mai kehrt Streptopelia turtur, vom großen schwedischen Naturforscher und zoologischen Systematiker Carl von Linné (1707 bis 1778) wegen ihres fast monoton „turr turr turr“ klingenden Rufes wissenschaftlich so benannt, in ihre europäischen, asiatischen und nordafrikanischen Brutgebiete zurück.

Anmutig und farbenprächtig

Doch es werden immer weniger, die ihr anspruchsloses Nest für die beiden weißen Eier in Bäumen und hohen Hecken bei uns und in den Nachbarländern bauen. Galt die Turteltaube noch bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts als häufiger Brutvogel vor allem in Mittel- und Süddeutschland, so brachen ihre Bestände bis heute rapide ein.

Der Atlas Deutscher Brutvogelarten gibt für die Jahre 2005 bis 2009 noch 25.000 bis 45.000 Paare an, der NABU beziffert den aktuellen Bestand mit 12.500 bis 22.000 Paare. Zum Vergleich: Ringeltauben werden mit rund drei Millionen, Hohltauben mit 49.000 bis 82.000 und die erst seit 70 Jahren zugezogenen Türkentauben mit 110.000 bis 200.000 Paaren angegeben.

Seit 1980 haben die Turteltauben nach jüngsten Angaben der Vogelschützer um knapp 90 Prozent abgenommen. Auf der Roten Liste der bedrohten Vogelarten in Deutschland wurde sie 2015 als „stark gefährdet“ in die Kategorie 2 hochgestuft. Aus Großbritannien, wo das Beobachten und Monitoring von Vögeln eine lange Tradition hat, wird ein Rückgang von 93 Prozent zwischen 1970 und 2010 gemeldet.

Die anmutigen Turteltauben zeichnen sich durch eine schöne Gefiederfärbung aus. Zwar können sie nicht mit vielen in den Tropen lebenden farbenprächtigen Arten mithalten, doch in Europa sind sie die buntesten: mit ihren dunkel gemusterten bräunlich gefärbten Flügeldecken, der rosa gefärbten Kehle und Brust, einem schwarzweißen Ring an beiden Seiten des schlanken Halses, blaugrauen Federpartien am Kopf, vor dem Flügelbug und am helleren Bauch, dem von einem weißen Saum begrenzten dunklen Stoß, also Schwanz und schließlich den roten Beinen und Füßen und dem leuchtend roten Ring um die gelbschwarzen Augen sorgen sie für eine ganz besondere Erscheinung.

Am liebsten mögen die Tauben Auwälder

Ihr Verhalten ist nicht weniger extravagant. Während der Balz nach der Ankunft aus dem Winterquartier tänzeln die beiden gleich gefärbten Männchen und Weibchen auf einem Ast umeinander, strecken und recken sich dabei und berühren sich gegenseitig zärtlich am Hals und mit den grauen Schnäbeln. Der Tauber steigt von Zeit zu Zeit zu einem Schauflug mehrere Meter in die Höhe, lässt sich in die Tiefe fallen und landet wie ein geöffneter Fallschirm bei seinem Weibchen.

Dort geht das Turteln, nicht selten mit geschlossenen Augen und unter sanftem Gesang, weiter. Viele Paare bleiben ihr Leben lang beisammen. Wenn sie Glück haben und nicht wie mehr als die Hälfte der Jungvögel bereits im ersten Lebensjahr sterben, können sie bis über 20 Jahre alt werden.

Die meisten indes verlieren viel früher ihr Leben. Die Liste der Ursachen ist lang: Den Tieren fehlt es als Folge intensiver Landwirtschaft und Lebensraumzerstörung in ihren Brut- und Überwinterungsgebieten ebenso wie entlang der Zugstrecken an Nahrung; sie werden illegal abgeschossen und in Netzen und mit Leimruten gefangen. Auch intensive legale Bejagung rund ums Mittelmeer, auf dem Zug und im Winterquartier sorgen für hohe Verluste.

Die Turteltaube sitzt in einem Gebüsch.
Ihr Gurren gab der Turteltaube den Namen – und schenkte der deutschen Sprache ein schönes Verb.

Wo es genügend geeignete Nahrung gibt, kommt es sogar zu Schachtelbruten. Während das Weibchen auf dem zweiten Gelege sitzt, füttert das Männchen die beiden vorher geschlüpften Küken. Auch nach deren Ausfliegen werden sie noch eine Zeit lang versorgt, bis sie selbständig nach Nahrung suchen können.

Trotz der immer schwierigeren Ernährungssituation, der für viele Turteltauben zum Hungertod führt, werden die Tiere in den süd- und osteuropäischen Ländern weiterhin ganz legal gnadenlos bejagt. In Spanien, Griechenland, Italien, Portugal und Bulgarien gehen die Streckenzahlen bei der Herbstjagd in die Hunderttausende. Auf den Mittelmeerinseln Zypern und Malta ist der Blutzoll ebenfalls hoch. Auf Malta war bis vor kurzem sogar die Frühjahrsjagd erlaubt, zur Zeit gibt es ein Moratorium. Doch wegen des immer noch erlaubten Abschusses von den ebenfalls aus Afrika nach Europa zurückziehenden Wachteln holen Jäger gerne auch mal angeblich versehentlich Turteltauben vom Himmel.

Politischer Druck ist nötig

Neben der immer noch erlaubten Jagd in vielen Ländern fordern illegale Abschüsse und unerlaubte, aber oft nicht verfolgte Fänge in Netzen weitere große Verluste. Auf 600.000 gesetzeswidrig getötete Turteltauben jährlich schätzen seriöse Vogelschützer aus mehreren Ländern allein diese Verlustrate. In Ländern der Europäischen Union werden mindestens 1,4 Millionen Turteltauben pro Jahr legal geschossen – eine unfassbare Zahl, die die Art nach Meinung vieler Wissenschaftler nicht mehr verkraftet.

Seit einigen Jahren baut sich europaweit immer stärkerer Widerstand von Naturschützern gegen die Jagd rund ums Mittelmeer auf. Die europäische Sektion der Vogelschutzorganisation Birdlife International, der auch der NABU als Mitglied angehört, wirbt mit einer Aufklärungskampagne namens „Flight for Survival“ für das Überleben der Turteltaube.

In verschiedenen Forschungsprogrammen in mehreren Ländern werden besenderte Turteltauben über Satellitenortung rund ums Jahr verfolgt, um mehr über ihr Verhalten in den Brutgebieten und auf dem Zug, ihre Habitatauswahl und den Einfluss der Verfolgung durch den Menschen herauszufinden. Neben der wissenschaftlichen Arbeit erzeugen die Vogelschützer politischen Druck, um die Bejagung zu reduzieren oder abzuschaffen. Damit wären der EU-Vogelschutzrichtlinie und der international gültigen Bonner Konvention zur Erhaltung wandernder wildlebender Tierarten zur besseren Durchsetzung verholfen.

Die ersten Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich und Spanien sind eingeleitet. Aber es gibt auch ganz praktische Ansätze, um unserer Turteltaube, von der es außerhalb Europas drei weitere Unterarten gibt, zu helfen. So hat der LBV gemeinsam mit der Landesanstalt für Garten- und Weinbau eine Saatmischung für den ebenfalls hochgradig gefährdeten Ortolan, eine Ammernart, entwickelt, die auch der Turteltaube zugute kommt. Dadurch wird unterstrichen, wie wichtig eine Veränderung der EU-Landwirtschaftspolitik hin zu mehr Förderung ökologischer Feldbewirtschaftung und von dem Naturschutz vorbehaltenen Flächen ist.