Sind Insektizide schuld am Schwund vieler Zugvogelarten?

Insektengifte aus der Landwirtschaft machen nicht an den Grenzen von Naturschutzgebieten halt, wie eine neue Studie zeigt. Wie gefährlich das für Vögel ist, haben kanadische Forscherinnen belegt.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
5 Minuten
Pestizideinsatz auf einem Sojafeld (Symboldbild)

Die Belastung mit Insektengiften aus der Landwirtschaft macht nicht vor Naturschutzgebieten halt und bedroht deren Funktionsfähigkeit als Überlebensräume für Tiere und Pflanzen. Das ist das Ergebnis einer neuen Insektenstudie aus Deutschland. Die in den „Scientific Reports" veröffentlichte Untersuchung weist nach, dass Insekten in Naturschutzgebieten mit durchschnittlich 16 verschiedenen Pestiziden kontaminiert sind, oft sind es noch deutlich mehr. In mehr als zwei Drittel der Gebieten wurde auch ein inzwischen verbotener Wirkstoff aus der Klasse der Neonikotinoide gefunden. Das ist besonders alarmierend, weil diese Insektizid-Gruppe besonders verheerende Auswirkungen auf das Nervensystem vieler Organismen hat, wie Forschungen aus Nordamerika zeigen.


Neonicotinoide Hebeln Zugvogel-Genetik aus

Timing ist alles für Zugvögel. Ihr Jahreszyklus aus Brut, Wegzug, Überwinterung und Heimzug ist eng getaktet. Die einzelnen Etappen sind fein aufeinander abgestimmt. Besonders wichtig ist die rechtzeitige Ankunft am Brutort im Frühjahr. Diejenigen Vögel, die zeitig dort eintreffen, können die besten Reviere besetzen und haben größere Chancen, bei der Partnerwahl zum Zuge zu kommen, Damit bieten sich ihnen die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Fortpflanzung – dem wichtigsten Ziel im Vogelleben. Wer zu spät kommt, geht dagegen häufig leer aus.

Doch woran liegt es, dass sich der Rhythmus des Vogelzugs vor allem bei den über die Langstrecke ziehenden Arten immer häufiger verschiebt? Dass der Klimawandel und die damit einhergehenden ökologischen Veränderungen eine wichtige Rolle spielen, ist durch zahlreiche Forschungsarbeiten belegt. Kanadische Wissenschaftlerinnen melden sich jetzt mit einer Aufsehen erregenden These zu Wort, die darüber noch weit hinausgeht.

Sie vermuten Insektizide, genauer die schon in der Debatte über das Insektensterben heftig umstrittenen Neonicotinoide, hinter der Zugverspätung und letztlich dem Bestandseinbruch vieler Arten. Die Agrarchemikalien töteten die Zugvögel bei Kontakt während der Rast auf Feldern und Äckern zwar nicht unmittelbar. Die Wirkstoffe brächten aber durch Störungen des Stoffwechsels den Ablauf des Vogelzugs mit weitreichenden Folgen durcheinander, lautet die These ihrer in Science erschienenen Untersuchung.

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Das Team um die Toxikologin Margaret Eng von der Universität Saskatchewan untersuchte konkret die Wirkung von Imidacloprid auf Vögel. Das ist eines der weltweit am häufigsten in der Landwirtschaft eingesetzten Insektizide. Die Forscherinnen fingen dazu während des Frühjahrszuges an einem Rastplatz in Ontario einige Dutzend Dachsammern (Zonotrichia leucophrys) ein – sperlingsgroße Singvögel und typische Bewohner der Agrarlandschaft. Den Vögeln wurden in zwei Gruppen unterschiedliche, aber in beiden Fällen relativ geringe Einmal-Dosen Imidacloprid verabreicht.

Eine Dachsammer, ein kleiner Singvogel, der an die Grauammer erinnert, sitzt auf dem Boden
Die Dachsammer (Zonotrichia leucophrys) war bei der Studie das Untersuchungsobjekt. Die Art brütet im Sommer im Norden und an der Westküste Kanadas sowie in Alaska. Sie überwintert in mittleren und südlichen Breiten des Kontinents.
Bei der Studie ging es um eine Singvogelart. Doch auch viele andere Vogelarten ziehen im Herbst und Frühjahr. Sie müssen sich jeweils vor dem Abflug große Mengen Fettreserven anfressen, um die Strapazen zu überstehen und fit anzukommen. Weitere Studien mit einer größeren Zahl von Arten und Individuen werden zeigen müssen, ob die Effekte auf die untersuchte Dachsammer beschränkt sind oder ob sie viele Arten betreffen.
Bei der Studie ging es um eine Singvogelart. Doch auch viele andere Vogelarten ziehen im Herbst und Frühjahr. Sie müssen sich jeweils vor dem Abflug große Mengen Fettreserven anfressen, um die Strapazen zu überstehen und fit anzukommen. Weitere Studien mit einer größeren Zahl von Arten und Individuen werden zeigen müssen, ob die Effekte auf die untersuchte Dachsammer beschränkt sind oder ob sie viele Arten betreffen.