Rechtspopulisten im EU-Parlament wollen das Verbot von Bleimunition für die Wasservogeljagd kippen – was machen die Konservativen?

Erneute Unsicherheit bei dem Versuch, Millionen Vögel vor der oft tödlichen Vergiftung zu bewahren

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
7 Minuten
Eine Gruppe aus einem halben Dutzend Krickenten fliegt vor blauem Himmel von links nach rechts.

Das sicher geglaubte Verbot von Bleischrot bei der Jagd in Feuchtgebieten steht wieder auf der Kippe. Rechtspopulisten und Neofaschisten wollen mit einer Abstimmung im Europaparlament erzwingen, dass die entsprechende EU-Verordnung, durch die in jedem Jahr Millionen Vögel vor einem qualvollen Tod bewahrt würden, nicht in Kraft treten kann. Sie machen sich dabei wissenschaftlich widerlegte Scheinargumente zu eigen, mit denen auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner operiert hat. Eine Entscheidung fällt in der kommenden Woche. Eine Schlüsselrolle haben dabei nun nach Angaben von Umweltverbänden die EU-Parlamentarier von CDU und CSU.

Inmitten zahlreicher Entscheidungen, die aus Sicht von Naturschützern katastrophal für die Biodiversität sind, erschien es wie ein Lichtblick: Nach jahrelangem Ringen und unzähligen Manövern einer einflussreichen Blei-Lobby beschlossen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Sommer, die Verwendung von Bleischrot bei der Jagd in Feuchtgebieten zu verbieten.

Überraschend wieder auf der Tagesordnung

Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hatte zuletzt ihren Widerstand gegen die von der EU-Kommission eingebrachte Neuregelung aufgegeben, nachdem erhebliche Zugeständnisse zugunsten der Blei-Lobby vereinbart worden waren.

Das Ende der oft tödlichen Vergiftung von EU-weit rund 1,5 Millionen Vögeln in jedem Jahr schien damit besiegelt. Das galt umso mehr, nachdem vor kurzem auch noch der Versuch von Abgeordneten aus dem Lager der Europäischen Volkspartei gescheitert war, die Verordnung über ein Veto des Umweltausschusses des Europaparlaments (EP) zu stoppen. Zur EVP-Fraktion gehören auch die EU-Parlamentarier von CDU/CSU.

Doch am Mittwochabend setzte das Parlamentspräsidium in Brüssel überraschend einen von den Abgeordneten aus dem Rechtsaußen-Spektrum eingebrachten Antrag auf die Tagesordnung. Damit wollen die Initiatoren aus den Reihen der Fraktionen „Identität und Demokratie“ (unter anderem AfD, Lega und die Le-Pen-Partei Rassemblement National) und „Europäische Konservative und Reformer“ (unter anderem die polnische PiS) die Europäische Kommission dazu zwingen, das Bleiverbot zurückzuziehen und durch eine so stark verwässerte Neufassung zu ersetzen, dass es praktisch wirkungslos wäre.

Rund 5000 Tonnen Blei landen jedes Jahr in Gewässern

Wie gefährlich Blei ist, haben Gutachter im Zuge der mehr als fünf Jahre währenden Beratungen über ein Bleischrotverbot immer wieder hervorgehoben. Die Weltgesundheitsorganisation WHO führt das Schwermetall auf seiner Top-10-Liste der für Menschen gefährlichsten Stoffe. Aus den 600 bis 700 Millionen Schrotpatronen, die nach Berechnungen der Europäischen Chemikalienagentur ECHA Jahr für Jahr aus den Flinten europäischer Jäger abgefeuert werden, landen rund 5000 Tonnen hochgiftigen Bleis in Gewässern und Feuchtwiesen.

Enten, Gänse, Schwäne, Schnepfen und Rallen picken die winzigen Bleikügelchen aus der Schrotmunition aus dem flachen Wasser der Uferbereiche oder vom Boden dann auf, weil sie sie für Nahrung oder kleine Steinchen halten, die sie für die Verdauung brauchen.

Weil Blei sich als Schwermetall über lange Zeiträume nicht abbaut, kommt es über die Jahre zu hohen Konzentrationen in Gebieten, in denen regelmäßig gejagt wird. Flachwasserzonen in einigen europäischen Regionen gleichen oft mehr Sondermülldeponien als intakten Öko-Systemen. Bis zu 400 Schrotkörner fanden Wissenschaftler in seichten Uferbereichen einiger Gewässer pro Quadratmeter.

Bereits einzelne Bleikörnchen können nach Untersuchungen spanischer Wissenschaftler bei Enten zu einem qualvollen Tod führen, dem häufig ein wochenlanger Kampf gegen das Gift im Körper der Tiere vorausgeht. Krämpfe, Lähmungen, Erbrechen, Flugunfähigkeit und schließlich der Tod: So beschreiben Wissenschaftler die Folgen von Bleischrot für Vögel. Den Daten der ECHA zufolge erleiden in jedem Jahr mehr als 1,5 Millionen Vögel an Ufern von Teichen, Seen und Feuchtgebieten dieses Schicksal.

Die Rechtsextremen übernehmen widerlegte Argumente

Zur Begründung ihres Versuchs, das Inkrafttreten des Verbots zu blockieren, greifen die Initiatoren des EU-Antrags auf die Argumentation zurück, mit der der europäische Jäger-Dachverband FACE seit Jahren versucht, das Bleiverbot zu verschleppen. Sie werfen der Kommission vor, ihre Kompetenz mit dem Verbot zu überschreiten, dem Verbot einen viel zu weiten Begriff von Feuchtgebieten zugrunde zu legen und Jäger, die Bleimunition mit sich führen, der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen.

Außerdem sei ein Bleiverbot Tierquälerei, weil bleifreie Schrote eine geringere Tötungswirkung aufwiesen als die schwermetallhaltigen Geschosse. Dieses „erhöhte Tierleid“ sei „mit der Kunst und Praxis der Jagd unvereinbar“, heißt es beispielsweise im Antrag aus der ID-Fraktion.

„Für den Schutz der Umwelt, der Wildtiere und des Menschen ist es unbedingt notwendig die beschlossenen Restriktionen bei der Verwendung von bleihaltiger Jagdmunition umzusetzen und den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die erheblichen Schadwirkungen von Blei Rechnung zu tragen.“ (Oliver Krone, Toxikologe)

Alle nun neuerlich vorgebrachten Punkte waren während der mehrjährigen Beratungen des Verbots – einer sogenannten Restriktion nach der Chemikalienverordnung REACH – immer wieder diskutiert und in zahlreichen Gutachten untersucht worden.

Am Ende hatten alle maßgeblich Beteiligten von der Kommission und der Europäischen Chemikalienagentur ECHA über die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten bis hin zum EU-Umweltausschuss einhellig befunden, dass die Einwände nicht stichhaltig seien. „Gründlicher konnte man nicht arbeiten“, sagt ein Beteiligter an dem insgesamt über fünf Jahre laufenden Bewertungs- und Entscheidungsprozess.

Das bekräftigt im Gespräch mit den Flugbegleitern auch Oliver Krone vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. Krone forscht seit Jahren zu den Auswirkungen von Blei auf Wildtiere. „Für den Schutz der Umwelt, der Wildtiere und des Menschen ist es unbedingt notwendig die beschlossenen Restriktionen bei der Verwendung von bleihaltiger Jagdmunition umzusetzen und den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die erheblichen Schadwirkungen von Blei Rechnung zu tragen“, sagt Krone.

Das Bild zeigt einen Jäger im Schilf im Abendlicht, der mit einem Schrotgewehr in Richtung Himmel zielt.
Die Jagd mit bleihaltiger Schrotmunition belastet die Umwelt und viele Tierarten – doch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner unterläuft die Pflicht zum bleifreien Ersatz ausgerechnet mit Hinweis auf den Tierschutz.

Klare Beweislage der Wissenschaft

Die in Reihen der Munitionsindustrie und auch von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner immer wieder vorgebrachte These einer geringeren Tötungswirkung bleifreier Munition hatten acht teils umfangreiche Studien während des Verbotsverfahrens widerlegt. Klöckner konnte dagegen nur mit einem Schießtest in einer Jagdzeitschrift als Beleg für ihre Haltung aufwarten, den sie lange als „wissenschaftliche Studie“ bezeichnete, ohne sie zu benennen.

Zuletzt hatten sich aus Sorge um ein Scheitern des Bleiverbots auch weltweit führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die Debatte eingeschaltet und die Behauptung in einem offenen Brief in das Reich der Mythen verwiesen. Darin forderten 75 Expertinnen und Experten aus 18 Ländern die europäischen Staaten auf, das Bleiverbot zu beschließen.

„Fast scheint es, als werde nun versucht, einen anerkannterweise wissenschaftlich gerechtfertigten Prozeß mit juristischen Mittel zu verlangsamen und gegebenenfalls auszuhöhlen." (Ballistikexperte Carl Gremse)

Der führende Ballistik Experte Carl Gremse von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde hat das Aufprallverhalten von Munition lange erforscht. Er gilt als europaweit führender Experte auf seinem Gebiet. Für die neuerliche Diskussion über längst abschließend untersuchte Sachverhalte hat Gremse wenig Verständnis.

„Der überaus gründliche und langwierige Entscheidungsprozess hat klar herausgestellt, dass es gute Gründe für ein Bleiverbot gibt, denen keine wissenschaftlich haltbaren Argumente entgegenstehen“, betont er im Gespräch mit „Die Flugbegleiter“. „Fast scheint es, als werde nun versucht, einen anerkannterweise wissenschaftlich gerechtfertigten Prozeß mit juristischen Mittel zu verlangsamen und gegebenenfalls auszuhöhlen“, sagt Gremse.

Umweltverbände: Schlüsselrolle für CDU/CSU-Parlamentarier

„Für die Natur in Europa steht am kommenden Dienstag viel auf dem Spiel“, sagt Ariel Brunner, der für den Dachverband der Vogelschutzorganisationen BirdLife International seit langem für ein Bleiverbot kämpft. Er sieht die Christdemokraten, in deren Reihen die Jagdlobby erheblichen Einfluss genießt, in einer Schlüsselrolle.

Eine besondere Verantwortung komme den deutschen CDU- und CSU-Abgeordneten als stärkster Gruppe innerhalb der EVP-Fraktion zu. „Ob sie gemeinsame Sache mit den Rechtsextremen gegen Europa und gegen die Wissenschaft machen oder ob sie sich auf die Seite des gesunden Menschenverstandes und des Natur- und Verbraucherschutzes stellen, wird entscheidend sein“, glaubt Brunner.

Auch Peer Cyriacks, stellvertretender Bereichsleiter Naturschutz bei der Deutschen Umwelthilfe appelliert an die Europaparlamentarier. „Die Abgeordneten müssen nun klare Kante zeigen gegen Munitionsindustrie und Rechtsnationale in Europa“, fordert er. Millionen Wildtiere könnten am Dienstag gerettet werden. "Wissenschaftliche Argumente gegen ein Verbot giftiger Bleimunition gibt es schon lange nicht mehr.“


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Korrektur: In einer früheren Version dieses Beitrags fehlte in diesem Satz das Wort „nicht“ am Ende: „Rechtspopulisten und Neofaschisten wollen mit einer Abstimmung im Europaparlament erzwingen, dass die entsprechende EU-Verordnung, durch die in jedem Jahr Millionen Vögel vor einem qualvollen Tod bewahrt würden, nicht in Kraft treten kann.“ Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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