Jägerlatein und eine Ente

Vogeljagd 2: Mit umstrittenen Zahlen zieht der NABU Kritik anderer Vogelschützer auf sich.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
13 Minuten
ein paar Enten in einem Sumpf [AI]

Zu Abermillionen werden Vögel jedes Jahr gefangen und getötet, legal wie illegal. Das geschieht nicht nur auf dem Zugweg und nicht allein in südlichen Ländern. Erstmals versucht eine neue Untersuchung von BirdLife International – der weltweiten Dachorganisation nationaler Vogelschutzverbände – das Ausmaß der illegalen Verfolgung von Vögeln auch in Zentral- und Nordeuropa zu erkunden. Ein gleichermaßen verdienstvolles wie schwieriges Unterfangen, denn es fehlen oft grundlegende Daten.

In Deutschland führt die Veröffentlichung der Untersuchung nun zu einem Konflikt zwischen den maßgeblichen Vogel- und Naturschutzverbänden. Im Zentrum der Kritik steht der NABU, der den Deutschland-Teil der Studie verfasst hat. Andere Verbände halten dessen Aussagen zum Ausmaß der illegalen Tötung einiger Wasservogelarten für stark überzogen und wissenschaftlich nicht haltbar. Es wird befürchtet, die Behauptungen des NABU könnten instrumentalisiert werden, um die Position des Vogelschutzes in der Auseinandersetzung mit der Jagd zu diskreditieren und vom eigentlichen Problem, der massenhaften Vogelverfolgung auch in Deutschland, abzulenken.

„Die Flugbegleiter“ veröffentlichen deshalb heute gleich zwei Beiträge von Thomas Krumenacker. In diesem Beitrag geht es um die Kritik an den NABU-Schätzungen. Zusätzlich erscheint der Beitrag „Feuer frei“ über illegale Vogeljagd.

DIE KNÄKENTE IST ein seltener Vogel in Deutschland. Weit weniger als 2000 Paare brüten hierzulande. Und wenn das schöne Tier auch andernorts noch häufig ist – in Russland und Weißrussland leben noch zehntausende Paare –, so ist doch die Anwesenheit eines Brutpaares Knäkenten in einem Gebiet oft etwas ganz Besonderes für Naturschützer und Vogelbeobachter. Deshalb dürften sie schockiert über die Zahlen sein, die der NABU, mit mehr als 620.000 Mitgliedern Deutschlands größte Naturschutzorganisation, nun als Teil einer Studie von BirdLife International, der Dachorganisation internationaler Vogelschutzverbände, zur illegalen Tötung von Vögeln für Deutschland vorgelegt hat.

Der NABU schätzt, dass hierzulande in jedem Jahr mindestens 3000, vielleicht sogar 6000 der streng geschützten Knäkenten durch das Feuer aus Jägerflinten sterben. Insgesamt werden jedes Jahr in Deutschland nach NABU-Schätzungen „bis zu“ 146.000 Vögel illegal getötet, der Löwenanteil verschiedene Enten- und Gänsearten. „Bei den deutschen Zahlen entfallen allein 50.000 bis 100.000 auf bei der Jagd versehentlich abgeschossene geschützte Wasservogelarten“, sagt Studienautor und NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann.

Laut NABU-Schätzung sterben in jedem Jahr bis zu 10.000 Schellenten (hier ein Weibchen mit Jungvögeln), weil Jäger sie illegal abschießen.
Laut NABU-Schätzung sterben in jedem Jahr bis zu 10.000 Schellenten (hier ein Weibchen mit Jungvögeln), weil Jäger sie illegal abschießen.

Nicht nur für die Knäkente, auch für andere Wasservögel hat der NABU erstmals etwas versucht, was andere Fachleute sich bislang aus Mangel an Daten nicht getraut haben: eine konkrete Schätzung, wie viele Angehörige welcher Entenart in jedem Jahr von Jägern illegal erschossen werden. Das Ergebnis sind schockierend hohe Zahlen für streng geschützte Arten: Bis zu 16.000 Löffelenten, 10.000 Schellenten und sogar bis zu 22.000 Schnatterenten sterben nach NABU-Schätzungen jedes Jahr im Kugelhagel der Jäger.

Sollten diese Angaben zutreffen, hätte der NABU einen Ökoskandal ersten Ranges aufgedeckt. Denn den gesetzlich verankerten Schutz von Wasservögeln gäbe es dann de facto nicht. Dass erhebliche Mängel in der Kontrolle der Jagd existieren, ist ohnehin schon ein politischer Skandal. Mit den NABU-Erkenntnissen ergäbe sich aber eine neue Dimension ungeahnter Umweltkriminalität: Für einige Arten wie die Knäkente oder die Schellente wären sogar Auswirkungen auf die Populationen zu befürchten, und das, weil sie in einem Land massenhaft getötet würden, das sich zu ihrem Schutz verpflichtet hat.

Doch um die Zahlen gibt es Streit. Nachdem zuerst Jagdverbände die Studie als unhaltbar angegriffen haben, werden nun aber auch aus dem Lager führender Vogelschutz- und Ornithologieverbände massive Zweifel an den NABU-Berechnungen geäußert. Von „wenig plausibel“ bis „Unsinn“ reicht die Spanne der Kommentare. Die Verärgerung der anderen Verbände über den NABU ist groß. In ihrem Dachverband, dem Deutschen Rat für Vogelschutz (DRV), ist ein offener Streit entbrannt.

Von der fast überall in Deutschland streng geschützten Schnatterente werden sogar bis zu  22.000 Individuen in jedem Jahr illegal getötet, glaubt man den vom NABU in einer internationalen Studie veröffentlichten Zahlen.
Von der fast überall in Deutschland streng geschützten Schnatterente werden sogar bis zu 22.000 Individuen in jedem Jahr illegal getötet, glaubt man den vom NABU in einer internationalen Studie veröffentlichten Zahlen.

Viele darin vertretene Vogelschützer befürchten, dass die Daten des NABU von Jägerseite instrumentalisiert werden könnten, um die gesamte Kritik an der Jagdpraxis in Deutschland als unglaubwürdig abzuwehren und den guten Ruf des Vogelschutzes zu untergraben. Sie sehen die Glaubwürdigkeit und die Qualität des Vogelschutzes durch die Verbreitung unseriöser Fakten beschädigt und wollen keinesfalls in Mithaftung für die Studie des NABU genommen werden. Noch heikler wird es für den Dachverband, weil der Verfasser der Studie, NABU-Vogelschutzexperte Lachmann, zugleich Vizepräsident des DRV ist.

Wo liegt das Problem? Eine Aufstellung, welche Enten- oder Gänsearten hierzulande in welcher Zahl getötet werden, ist deshalb so schwierig, weil in den Jagdstatistiken der meisten Bundesländer Entenvögel ebenso wie Gänse und Tauben nicht bis auf Artniveau hinab aufgeschlüsselt werden müssen. In der Statistik finden sich lediglich Angaben zu „Wildenten“, „Wildgänsen“ und „Wildtauben“. Das ist ein skandalöser Missstand, denn dadurch wird schon im Ansatz Transparenz darüber verhindert, welche Vogelarten in welchem Umfang erschossen werden. Die Aufdeckung von Fällen der Tötung geschützter Arten wird so erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Verantwortlich für den Datenmangel sind nicht die Vogelschützer, sondern die Jäger, die sich gegen eine stärkere Kontrolle wehren, und eine staatliche Jagdaufsicht, die sie unterstützt.

Staatsanwaltschaft stellt Verfahren regelmäßig ein

„Die Kategorisierung nur als Gänse oder Enten öffnet der Ballerei Tür und Tor, der rechtliche Schutzmantel ist extrem durchlässig“, sagt ein im Artenschutz überaus erfahrener Ex-Staatsanwalt. Entsprechend gebe es kaum Verfahren, geschweige denn Verurteilungen wegen Artenschutzvergehen bei der Enten- und Gänsejagd. „Sollte es überhaupt einmal zur Anklage kommen, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren fast immer ein“, berichtet der langjährige Artenschutzermittler. Entsprechend wenig Informationen über illegalen Abschuss von Enten oder Gänsen liegen den Umweltbehörden vor.

In Brandenburg beispielsweise, einem sehr wichtigen Land für Gänse und Enten und damit für die Jagd auf sie, ist in den vergangenen Jahrzehnten keine einzige Ente oder Gans wegen Fehlabschusses bei der zuständigen Stelle im Landesumweltamt gelandet. Vogelschützer verlangen deshalb seit Langem eine Gesetzesänderung, die sicherstellt, dass jeder geschossene Vogel mit Artzugehörigkeit in die Statistik eingeht. Die Forderung deckt sich mit einer Vorgabe der Europäischen Kommission, nach der im nächsten Bericht der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie 2019 artgenaue Angaben gemacht werden müssen. Wie Deutschland diese Pflicht erfüllen will, ist angesichts der in den allermeisten Ländern nur in Kategorien erhobenen Jagdstrecken rätselhaft.

eine Herde Vögel, die am Himmel fliegt [AI]
Die anmutigen Weißwangengänse überwintern vor allem an der deutschen Nordseeküste. Viele von ihnen werden nach NABU-Einschätzung illegal abgeschossen.

Trotz dieser extrem schwierigen Ausgangslage hat der NABU im Zuge des europaweiten BirdLife-Reports nicht nur eine Mengenschätzung illegal getöteter Wasservögel vorgenommen, er hat diese auch konkret auf einzelne geschützte Arten heruntergebrochen, ein Unterfangen, dass vielen Experten als noch schwieriger wenn nicht unmöglich gilt. Wie soll es trotzdem gelungen sein? Studienautor Lachmann hat mit „Die Flugbegleiter“ ausführlich über seine Methoden gesprochen. Die wichtigste Grundlage für seine Berechnung bildet danach die von ihm gesetzte Annahme, dass die illegale Tötung in einer Größenordnung von 10 bis 20 Prozent der legalen Jagdstrecke stattfindet.

Bei rund 400.000 pro Jahr legal erschossenen Enten wären das also bis zu 80.000 illegal getötete Vögel. Diese Annahme wiederum stützt er auf Umfragen unter Kollegen („Expertenschätzungen“) sowie weitere Indizien, etwa Schussverletzungen bei lebend gefangenen Gänsen (bei denen aber unklar ist, ob sie diese in Deutschland erlitten haben). Vor allem aber bezieht sich Lachmann in seinen Methodenauskünften an BirdLife, die den Flugbegleitern vorliegen, auf eine dort nicht näher benannte „Jäger-Untersuchung“ aus Baden-Württemberg. Diese habe ermittelt, dass 17 Prozent aller während der Studie erlegten Enten geschützten Arten angehörten und entweder mit jagdbaren Arten verwechselt oder unbeabsichtigt Opfer („By-Kill“) des Jagdbetriebs (oft mit streuender Munition) geworden seien.

Die „Jäger-Studie“ beschreibt nur eine lokale Situation

„Wir gehen davon aus, dass dies für ganz Deutschland Gültigkeit hat“, schreibt Lachmann in seiner Begründung. „Abgeleitet von den 17 Prozent dieser Untersuchung wurden als minimaler Schätzwert 10 Prozent und als maximaler Schätzwert 20 Prozent der Summe aller legal in Deutschland geschossenen Enten und Gänse als illegal erlegt angenommen“, erläutert er im Gespräch. Und wie wurde das heikle und naturschutzpolitisch überaus bedeutsame Problem gelöst, einzuschätzen, welche Art in welcher Zahl betroffen ist? Die Verteilung auf die einzelnen Arten habe er auf Grundlage dieser Gesamtschätzung der illegal getöteten Tiere „im Prinzip auf Basis der Häufigkeit“ und unter Berücksichtigung der Anwesenheit der geschützten Arten während der Jagdmonate, der Jagdbarkeit der einzelnen Arten in den einzelnen Bundesländer sowie von Verwechslungsmöglichkeiten mit jagdbaren Arten vorgenommen, erläutert Lachmann.

Doch können auf Basis einer einzelnen Studie überhaupt derartig weitreichende Annahmen zum Ausmaß der Vogelwilderei für ganz Deutschland abgeleitet werden? Und dazu noch en passant Feststellungen darüber getroffen werden, wie oft es Knäkente, Schnatterente, Löffelente und ähnliche Arten trifft? Falls das überhaupt möglich ist, müsste diese Untersuchung es zweifellos in sich haben.

Die Flugbegleiter haben die besagte „Jäger-Studie“ ausfindig gemacht und mit ihrem Verfasser, sozusagen dem unfreiwilligen „Kronzeugen“ des NABU, gesprochen. Peter Linderoth ist Forscher an der staatlichen Wildforschungsstelle Baden-Württemberg (WFS). Er legt Wert darauf, dass das WFS eine staatliche Stelle sei und von einer „Jäger-Studie“ mithin nicht die Rede sein könne.

Eine Gruppe Spießenten fliegen vor einem Leuchtturm.
Zugvögel unternehmen enorme Anstrengungen zum Überleben, denen wir mit Respekt begegnen sollten. Spießenten aus den russischen Tundren machen Rast im nordfriesischen Wattenmeer, aber auch im Binnenland, um Kraft für den Weiterzug nach Afrika zu tanken.

Ohne Linderoth zu nahe zu treten, kann man sagen, dass seine durch den NABU nun zu Prominenz gekommene Untersuchung einen eher begrenzten Charakter hat. Das soll sie auch, wie der Autor im Gespräch erläutert. Es sei dabei nämlich um eine ganz spezifische Situation an einem bestimmten Gewässer, dem Naturschutzgebiet Rohrsee im Kreis Ravensburg, gegangen. Dort rasteten im Untersuchungszeitraum von 2000 bis 2002 bis zu 1000 geschützte Schnatterenten und nur rund 100 der sonst viel häufigeren Stockenten. Eine atypische Situation für Gewässer, die keinesfalls irgendwelche Ableitungen für alle anderen Gewässer in Deutschland zulasse, unterstreicht Linderoth.

Er untersuchte den Einfluss von insgesamt drei Entenjagden auf die Wasservögel am Rohrsee. Akribisch führte er Buch über die Aktivitäten der Waidmänner: Er zählte die Zahl der Jäger bei den drei Jagden („9 bis 29“), die Zahl der Schüsse, die sie insgesamt abfeuerten („101 Schuss“) und die Zahl der getöteten Enten: „13 Wasservögel wurden erlegt. Darunter befanden sich auch zwei Schnatterenten, die in Deutschland keine Jagdzeit haben (Schonzeitvergehen)“, heißt es in seiner Studie. Auch eine illegal geschossene Reiherente führt er an. Knäkenten wurden im Rahmen der Studie nicht beobachtet.

Geringe Fallzahl, große Folgerung

Diese Untersuchung mit 13 – darunter drei illegal – getöteten Enten in zwei Jahren bildet also die wichtigste Grundlage für die Annahme des NABU, dass bundesweit in jedem Jahr bis zu 80.000 Enten illegal getötet werden? Eine Studie, in der keine einzige Knäkente erwähnt ist, wird, wenn auch indirekt, maßgeblich dazu herangezogen, eine Schätzung von 3000 bis 6000 illegal getöteten Knäkenten pro Jahr in Deutschland abzugeben? NABU-Vogelschutzexperte Lachmann bestätigt dies. Zugleich betont er, er habe mit seiner Schätzung keine empirische Studie vorlegen wollen. Vielmehr sei die Studie, ebenso wie die Expertenbefragungen und die Indizien aus dem Gänsebeschuss herangezogen worden, um eine „informierte Schätzung“ zu Ausmaß und Artzusammensetzung der illegalen Wasservogelverfolgung zu bekommen.

Studienautor Linderoth dagegen nennt es eine „Riesensauerei“ und „höchst unseriös“, seine Untersuchung als Beleg für nicht nachvollziehbare Positionen heranzuziehen. Umso ärgerlicher sei dies, weil er im Vorfeld der BirdLife/NABU-Veröffentlichung über eine Stellungnahme an den Jagdverband dem NABU klar seine Meinung habe ausrichten lassen. Den Flugbegleitern liegt diese Warnung vor. Darin schreibt Linderoth: „Die Schätzung der Fehlabschüsse durch den NABU ist unseriös. Es ist unerfreulich, dass die WFS auch noch als Quelle dafür herhalten muss. Ebenso könnte man die Halbierung des Wasservogelbestands am Rohrsee und den Rückgang des Schnatterentenbestands um 500 % – 1000 % (mit Jagd Anfang 2000er max. 500–1000, heute noch max. 100) auf die Einstellung der Jagd an diesem Gewässer zurückführen und behaupten, dass die Bejagung sehr förderlich für die Größe des Rastbestands wäre. Aber das tun wir natürlich nicht.“

Lachmann bestätigt, die Bedenken vom Jagdverband übermittelt bekommen zu haben. Die Kritik an seiner Methode versteht er aber nicht. „Zugegeben, das ‚n’ ist gering“, räumt er mit Blick auf die Datengrundlage ein (n = 13 Vögel, davon drei illegal getötet). Bei seinen Zahlen handele es sich aber nicht um eine Hochrechnung, sondern um Schätzung“, wiederholt er. Lachmann lässt durchblicken, dass er mit den Vorgaben von BirdLife nicht glücklich ist, nicht nur das Ausmaß, sondern auch die Artzusammensetzung zu spezifizieren. Im Gespräch mit den Flugbegleitern sagt er sogar mit Blick auf die internationalen Vorgaben, er sei von BirdLife „sozusagen dazu gezwungen worden“. Immerhin: Mit der Studie gebe es nun in ganz Europa miteinander vergleichbare Schätzungen mit dokumentierten Methoden. „Damit ist das Ergebnis nachvollziehbar und kann beim Vorliegen neuer Informationen verbessert werden.“ Eine Grundlage sei jedenfalls geschaffen.

Nicht alle Entenarten sind so leicht zu bestimmen wie die Reiherente – hier ein Männchen.
Nicht alle Entenarten sind so leicht zu bestimmen wie die Reiherente – hier ein Männchen.

Nicht so gelassen wie Lachmann sehen das viele seiner Kollegen in den wichtigen Vogelschutzverbänden, die über Wochen versucht haben, die Zahlen des NABU nachzuvollziehen. Denn in Internetforen lassen sich Jäger die Gelegenheit zum schnellen Punkt nicht nehmen: „Mit Wissenschaft hat das nichts zu tun“, attestiert ein Leser im Jägerforum eher sachlich. Derber formuliert ein anderer: „Bevor man aus einem Furz eine 1000 kg-Bombe macht, sollte man mal das Gehirn einschalten.“

Mit Namen zitieren lassen will sich niemand, wohl auch, um eine offene Konfrontation mit dem weitaus größten Naturschutzverband im Land zu vermeiden. Im Gespräch zeigen sich aber etliche Vertreter der im Deutschen Rat für Vogelschutz zusammengeschlossenen wichtigsten Vogelschutz- und Forschungsverbände bestürzt. Ihre Reaktionen lassen sich etwa so zusammenfassen: Die Datengrundlage sei für so weit reichende Schlussfolgerungen, die auch noch international publiziert würden, schlichtweg unbrauchbar. Der NABU riskiere, dass das hohe Ansehen, welches das Vogelmonitoring als wichtige Grundlage des Vogelschutzes in Deutschland genieße, gründlich in Verruf gerate. Und das spiele den Jägern in die Hände. Immer wieder wird aber auch die Wertschätzung für die bisherige Arbeit Lachmanns betont. Es sei schade, dass sich nun ausgerechnet jemand durch einen solchen Fehler angreifbar mache, der in der Vergangenheit mit einem höheren Risiko als andere für die Sache des Vogelschutzes in der Öffentlichkeit eingetreten sei, heißt es beispielsweise von einem bedeutenden Verbandsvertreter. Schaden sei durch das Bekanntwerden der Debatte aber dennoch zu befürchten. „Denn so differenziert wie wir, diskutiert die andere Seite nicht.“

Zweifel an den fachlichen Ergebnissen

In der Tat weist der Deutsche Jagdverband auf seiner Homepage bereits pauschal jedwede Kritik an den Praktiken seiner Mitglieder unter Hinweis auf die „dramatisierten“ NABU-Zahlen zurück. NABU-Präsident Olaf Tschimpke steht dagegen ziemlich allein mit seiner Einschätzung, die Studie biete eine erste „wissenschaftliche Grundlage zum Ausmaß der illegalen Verfolgung von Vögeln“.

Wer hat nun recht? Übertreibt der NABU oder ist die Kritik an seinen Methoden kleinlich? Die Flugbegleiter haben den Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) um eine Bewertung der Methodik und der Schlussfolgerungen des NABU gebeten. Der DDA ist so etwas wie das Statistikamt der deutschen Ornithologie und er koordiniert das Vogelmonitoring in Deutschland. Sein Urteil ist gewichtig und deutlich: „Die Studie ist als Berechnungsgrundlage für die Ermittlung des Umfangs der illegalen Entnahme von Wasservögeln in Deutschland ungeeignet. Zur Abschätzung der tatsächlichen Größenordnung des ‚By-Kills’ fehlt unseres Wissens in Deutschland leider bisher jegliche belastbare Grundlage“, sagt DDA-Geschäftsführer Christoph Sudfeldt.

Zur NABU-Schätzung von bis zu 6.000 jährlich getöteten Knäkenten vermerkt der DDA: „Der Großteil der Knäkenten verlässt Deutschland bereits Ende August/Anfang September und zieht nach Westafrika. Die meisten Vögel haben Deutschland also zu Beginn der Jagdsaison auf Enten bereits verlassen. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl illegaler Abschüsse deutlich unter der vom NABU geschätzten Größenordnung liegt.“ Auch das generelle Fazit des DDA lässt es an Klarheit nicht mangeln: „Der Vergleich von illegalen Abschusszahlen (NABU-Schätzung) und den im Rahmen unseres Monitorings ermittelten maximalen Rastbestandszahlen in Deutschland für die in der Studie explizit aufgeführten Entenarten (Schnatterente, Löffelente, Schellente, Knäkente) lässt Zweifel an einigen fachlichen Ergebnissen der Studie aufkommen.“

Arktische Gänse machen in unseren Regionen Stopp auf ihrem Zug in die Winterquartiere. In milden Wintern bleiben sie ganz hier. Viele von ihnen werden – zumeist legal – getötet.
Arktische Gänse machen in unseren Regionen Stopp auf ihrem Zug in die Winterquartiere. In milden Wintern bleiben sie ganz hier. Viele von ihnen werden – zumeist legal – getötet.

Auch der DRV geht vorsichtig auf Distanz. „In der Tat wäre es wünschenswert, diese Daten so zu aktualisieren, dass Plausibilitätsprobleme in Bezug auf die vorliegenden Abschusszahlen zu den Enten bereinigt werden können“, erklärt der Vogelschutz-Dachverband in einer Stellungnahme für die Flugbegleiter. Zwischen den Zeilen wird aber auch hier die Furcht vor einer Rufschädigung durch die NABU-Veröffentlichung deutlich. Der DRV werde sich „im Bedarfsfall auch dafür einsetzen, dass die Diskussion um diese ggf. nicht einfach nachzuvollziehenden Zahlen nicht dazu führt, dass die ganz überwiegend qualitativ hochwertigen ornithologischen Daten aus den unterschiedlichen Zählprogrammen in Deutschland generell in Frage gestellt werden.“

So einig sich die Vogelschutzverbände in der Kritik an den Behauptungen des NABU sind, so sehr legen sie alle Wert darauf festzuhalten, dass das Problem der illegalen Tötung von Vögeln gravierend und real sei – auch wenn es sich mit den NABU-Methoden nicht wirklich quantifizieren lasse.

DDA-Geschäftsführer Sudfeldt betont, die für die Jagdstatistiken zuständigen Behörden und die Jagdverbände müssten im Zentrum der Kritik stehen und könnten sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen. Es gebe keinen Anlass, mit den Schwächen der Studie nun von eigenen Versäumnissen abzulenken. „Wir wären auf solche Schätzungen nicht angewiesen, wenn für die Jagd verantwortliche Verbände und Ministerien ihre Hausaufgaben gemacht hätten und die seit Jahrzehnten geforderte, nach Arten aufgeschlüsselte Erfassung der Jagdstrecken, die auch unabsichtliche Abschüsse geschützter Arten dokumentiert, in allen Bundesländern vorlegen würden“, sagt Sudfeldt.

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