Der Ornithologe, der zum Heiligen wird

Im Kino: Regisseur João Pedro Rodrigue über erstaunliche Wandlungen eines Vogelbeobachters. Von Cord Riechelmann

von Cord Riechelmann
7 Minuten
Einer der Hauptdarsteller ist fast nackt und an einen Baum gefesselt.

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Man darf bei diesem Film auf keinen Fall zu spät kommen. Denn wenn man einen Beleg für die Überlegenheit der Kunst gegenüber dem Dokumentarfilm heutigen Typs sucht, gerade wenn es um Tierbeobachtungen geht, wird man ihn in den ersten Minuten dieses Films finden. Man sieht ein schwimmendes Nest mit hellen Eiern, das sich ganz ruhig den leichten Wellenbewegungen des Wassers anpasst. Das Nest ist zwischen Wasserpflanzen aus den Halmen von Wasserpflanzen gewebt. Es hebt und fällt mit der Wasseroberfläche an und ab. Dazu hört man ein leichtes, leises Schwappen oder Schwuppen, so als wäre der Unterschied zwischen a und u in diesen Worten die ganze Welt in diesem Moment.

Dann kommt zuerst ein Haubentaucher ins Bild geschwommen und dann noch ein zweiter. Man sieht den einen, wie er sich langsam mit Kopf und Körper voran aus dem Wasser auf die Eier im Nest zubewegt und sich leicht schüttelnd darauf setzt, mit den ganz hinten am Körper ansetzenden Beinen zuletzt. Im Verlauf dieser ersten Minuten schwimmt das Haubentaucherpaar einmal kurz zusammen, verfällt dabei in nur unvollständig angedeutete Verhaltensmuster ihres sonst ausgedehnten Balzrituals – so als ob sie sich nur versichern wollten, dass sie es jederzeit auch wieder richtig vorführen könnten.

Die Tiere werden nicht in Musik ertränkt

Und, das ist der wirkliche Hammer, der diese Minuten so unvergesslich und exemplarisch macht: Was hört man dazu? Keine Musik! Man hört nur den Wind, das Wasser und die wie geschreddert tönenden Duettrufe der Haubentaucher, aber auch die nur dezent im Hintergrund. Das ändert sich auch nicht, als ein Schwarzstorch ins Bild fliegt, auf einem Felsen landet und ins Schnabelklappern übergeht. Es folgt wieder: keine Musik. Man fasst es einfach nicht, merkt aber überdeutlich, wie falsch man vom andauernden Tierfilmgucken in den sogenannten öffentlich-rechtlichen Sendern konditioniert worden ist.

Tierbildern kann man kaum noch zusehen, ohne im nächsten Moment mit Schrecken zu befürchten, dass die Bewegungen und das Verhalten der Tiere in Musik ertränkt wird, in Allerweltsorchestertönen, die den Darstellern jede Eigenheit und jede Spezifität nehmen. Obwohl im Kino sitzend, möchte man nach den ersten Minuten von „Der Ornithologe“ zurückspulen, aus ihnen einen Loop anfertigen und diesen allen Redakteurinnen und Redakteuren von allen Sendeanstalten dieser Erde stundenlang vorspielen und dazu den Hinweis einblenden: so geht man mit seinen tierischen Darstellern um, man lässt sie und ihre Umgebung in Originaltönen zu Wort kommen, ohne sie durch Musik zu entmündigen.

Gruppe von Menschen steht im Wald mit Pferden.
Aus einem Vogeltrip wird eine abenteuerliche Reise mit überraschenden Begegnungen.
Der Regisseur steht an einem Berg und schaut unten ins Tal herunter, in dem Wasser ist.
Am Abgrund: Regisseur João Pedro Rodrigues führt seine Hauptfigur durch eine surreale Welt.

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