Fake News lassen sich prima monetarisieren

Das Regime der demokratischen Wahrheit, Teil 2. Von Michael Seemann

von Michael Seemann
10 Minuten
Bunte Schalter auf einer schwarzen Konsole

18. März 2017

„Demokratie“ war schon immer ein umstrittener Begriff – ein politischer Kampfbegriff – aber dabei immer positiv konnotiert. Jeder will Demokrat sein. Selbst die autoritärsten Systeme nannten sich mit Freude Demokratie. In seiner banalsten Deutung übersetzt man Demokratie schlicht mit Volksherrschaft und insofern man als Herrscher plausibel machen kann, dass das Volk schon auf der eigenen Seite ist, fällt es nicht schwer die Grenze zwischen Autokratie und Demokratie zu verwischen. Wenn im ersten Teil dieses Essays von „demokratischer Wahrheit“ die Rede war, dann nicht ohne einen augenzwinkernden Verweis auf diese Begriffsgeschichte.

Aber wesentlicher noch ist, dass dem Wahrheitsverständnis des amerikanischen Präsidenten Donald Trump tatsächlich die Funktionsweise von Demokratie zugrunde zu liegen scheint. Als Donald Trump von Bill O’Reilly auf Fox News gefragt wurde, warum er – ohne irgendwelche Hinweise darauf zu haben – an der These festhalte, dass es zu Wahlbetrug zugunsten Hillary Clintons gekommen sei, wies er darauf hin, dass es doch eine Menge Leute gebe, die so denken. Eine Menge Leute denken das, also ist es wahr. Die Menge an Leuten, nicht die Evidenz von Beweisen, bestimmen die Wahrheit. Deswegen ist die Veröffentlichung seiner Steuererklärung ebenfalls nicht notwendig. Wenn die Leute ihn auch ohne Veröffentlichung ins Weiße Haus gewählt haben, sei die Wahrheit doch bereits entschieden. Für Beweise interessieren sich nur Journalisten.

Trumps Auffassung nach wurden nicht nur eine Person und eine policy ins Weiße Haus gewählt, sondern eine Wahrheit. Die bislang gültige Wahrheit der Fakten, Experten, Beweise, Wissenschaft und Journalismus wurde abgewählt und eine andere Wahrheit – die demokratische Wahrheit, die Wahrheit des Volkes – hat Einzug gehalten.

Es ist nicht ganz leicht, dieser Argumentation zu widersprechen. Seine offensichtlichen Lügen und seine tiefsitzende Unehrlichkeit waren ja tatsächlich keine Hindernisse, ihn zu wählen und man könnte argumentieren, dass sie dadurch demokratisch legitimiert sind. Auch nach der Wahl zeigen die Umfragen, dass 49 Prozent der registrierten Wähler die Trump-Regierung vertrauenswürdig finden und nur 48 Prozent für nicht vertrauenswürdig. In derselben Umfrage wurden die Massenmedien dagegen nur zu 39 Prozent als vertrauenswürdig eingestuft, während 53 Prozent der Meinung waren, dass sie unglaubwürdig seien.

Wenn man dazu bedenkt, dass Steve Bannon die Presse als „Oppositionspartei“ bezeichnet, die die Wahl nun mal verloren habe und deswegen jetzt mal den Mund zu halten habe, wird diese Weltsicht noch klarer. Die demokratische Wahrheit des Volkes hat die Oligarchie (bestenfalls Meritokratie) des liberalen Medienmainstreams besiegt. Daraus folgt für Trump, dass er Wissenschaftler/innen und Journalist/innen den Mund verbieten kann, beziehungsweise dass diese einen illegitimen Machtanspruch formulieren, wenn sie ihm widersprechen. Er ist gewählt und nicht sie. Und wenn er die Wahrheit des Volkes repräsentiert, dann sind die, die diese trotz Wahl nicht anerkennen, folglich „Feinde des Volks“, „enemy of the people“.

Man kann diese Weltanschauung als rein strategisches Ablenkungsmanöver abtun oder sie als schlichten Größenwahn verbuchen. Dann fällt es leicht, entsprechende Parallelen in der Geschichte zu finden und man kann argumentieren, dass das alles einem Standardmuster innerhalb autoritärer Herrschaft folgt. Man kann aber auch einen anderen Weg gehen, die Idee der demokratischen Wahrheit als Ideologie ernst nehmen und fragen, woher sie kommt, wie sie entstehen konnte. Dies ist der Weg, den dieser Text gehen will.

Die Entfesselung der Öffentlichkeit

Meine These ist, dass die demokratische Wahrheit ihre Wurzeln in der Demokratisierung der Öffentlichkeit hat. So haben wir damals die Auswirkungen des Internets tatsächlich genannt: Demokratisierung. Das Internet habe die Öffentlichkeit demokratisiert, pflegte ich zum Beispiel zu sagen und ich meinte damit, dass auf einmal jeder und jede eine Stimme hat in dieser Welt. Dass es auf einmal niemanden mehr gab, der einen effektiv davon abhalten konnte, Öffentlichkeit zu generieren. Sprechen, ohne gefragt werden zu müssen.

Das war das, was mich am Internet faszinierte, weswegen ich 2005 Blogger wurde und warum mich die Fragen von Öffentlichkeit und Technologie nie losgelassen haben. Ganz offensichtlich war Brechts Radiotheorie wahr geworden. Bertolt Brecht hatte am Beispiel des Rundfunks davon geträumt, dass ein wahrhaftiges Volksmedium auch einen Rückkanal bräuchte. Darauf aufbauend entwickelte Hans Magnus Enzensberger eine marxistische Medientheorie, in der er zwischen repressivem und emanzipativem Mediengebrauch unterschied. Die Massenmedien, weil in den Händen weniger, waren demnach repressive Medien, während solche, deren Produktionsmittel gesellschaftlich erschlossen waren, als emanzipativ gelten könnten. In etwa das meinten wir, als wir von der Demokratisierung der Öffentlichkeit träumten.

Menschenmenge von oben
Die Demokratisierung der Öffentlichkeit durch das Internet ist ein enormes Sozialexperiment mit unvorhersehbaren Folgen.
Eine Grafik
Die Journalistin Claire Wardle hat dargestellt, dass dass der Begriff „Fake News“ viele Facetten hat.