Warum Spätsommerkinder schlanker sind

Die Jahreszeit, zu der wir gezeugt wurden, hat einen Einfluss auf unseren Stoffwechsel. Schuld daran ist die Epigenetik.

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Vor dem Hintergrund des Bodensees steht auf einer Wiese die ästhetische Statue einer dicken Frau.

Menschen sind verschieden, nicht nur äußerlich, sondern auch im tiefsten Innern – etwa in der Art und Weise, wie ihr Stoffwechsel mit Energie umgeht. Manche, die beständig ein paar Pfund zu viel auf die Waage bringen, wissen ein Lied davon zu singen: Sie treiben Sport, sie achten auf eine ausgewogene Ernährung, und dennoch genügt ein üppiges Abendessen oder ein großes Stück Sahnetorte, um tags darauf erneut zugenommen zu haben. Neidisch blicken solche „guten Futterverwerter“ auf die „Spargel-Fraktion“ im Bekanntenkreis. Wer dieser angehört, isst oft hemmungslos, verhält sich zudem nicht selten unsportlich, und bleibt dennoch gertenschlank.

Es scheint, als würde die Energie aus der Nahrung um manche Menschen einen weiten Bogen machen, während das Fettgewebe der anderen begierig jede aufgenommene Kalorie umwandelt und körpergewichtsfördernd abspeichert. Tatsächlich ist der Stoffwechsel von Menschen sehr individuell. Die einen haben ein sehr viel höheres Risiko, übergewichtig zu werden als die anderen. Verantwortlich dafür ist ein hochkomplexes Gemisch aus genetischen und umweltbedingten Faktoren sowie der Art und Weise, wie wir in unserer frühen Kindheit geprägt wurden.

Doch, als wäre das nicht schon kompliziert genug, kommt nun ein neuer, überraschender Faktor hinzu: Auch die Jahreszeit, zu der uns unsere Eltern einst zeugten, scheint den Stoffwechsel zu beeinflussen. Zwei jüngst publizierten Studien zufolge prägen sowohl die Umgebungstemperatur in den Tagen oder Wochen vor der Empfängnis als auch die Art der Nahrung in den allerersten Tagen danach den späteren Stoffwechsel eines Menschen. Und beides sind Faktoren, die – je nach geographischer Lage – systematisch im Jahresverlauf schwanken können.

Forscher um den Chemiker Christian Wolfrum vom Departement Gesundheitswissenschaften der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich fanden heraus, dass unter Schweizern, die in den Monaten Juli bis November geboren sind, jene mit einem hohen Anteil an so genanntem aktiven braunen Fettgewebe besonders häufig sind. (Nature Medicine 2018, doi: 10.1038/s41591–018–0102-y). Der Unterschied ist zwar nur gering, aber statistisch eindeutig.

Mikroskopische Aufnahme von Fettgewebe. Das so genannte braune Fettgewebe erscheint wegen einer Anfärbung rosa.
Braunes Fettgewebe gefärbt mit Hämatoxylin/Eosin. Säugetiere besitzen zwei Sorten von Fettgewebe: weißes und braunes. Das weiße dient als Energiespeicher und macht Menschen übergewichtig, wenn es überhand nimmt. Das braune verbrennt dagegen Fette, um Wärme zu erzeugen und beugt damit Übergewicht vor. Neugeborene haben viel braunes Fett. Es existiert neueren Studien zufolge aber auch bei Erwachsenen – und zwar umso zahlreicher, je schlanker sie sind. Im Jahr 2011 identifizierten Forscher aus den USA und Singapur zwei Mikro-RNAs (193b und 365), deren Auftreten die Differenzierung geeigneter Vorläuferzellen in braunes Fettgewebe steuern. Sind diese Mikro-RNAs zahlreich in den Zellen vorhanden, bildet sich braunes Fett, werden die Mikro-RNAs unterdrückt, entstehen Muskelzellen. Die Forscher hoffen auf einen neuen, effektiven Ansatzpunkt im Kampf gegen Übergewicht und verwandte Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes oder das metabolische Syndrom.

In den Spermien jener Tiere, die aus der Kälte kamen, war das Epigenom systematisch verändert.

Vielleicht sollten Männer mit Kinderwunsch bei kühlen Außentemperaturen viel nach draußen gehen und dabei keine zu engen und zu dicken Hosen anziehen.

Matt Silver und Kollegen widmen sich der direkten Beobachtung eines Phänomens, an dessen Existenz die Wissenschaft vor zwei oder drei Jahrzehnten noch nicht einmal im Traum gedacht hat.

Querschnitt durch einen sehr gut erhaltenen, extrem jungen menschlichen Embryo während einer Eileiterschwangerschaft.
Querschnitt durch einen sehr gut erhaltenen, extrem jungen menschlichen Embryo während einer Eileiterschwangerschaft. Das Alter wird auf 16,5 bis 19 Tage nach der Empfängnis bzw. dem Follikelsprung geschätzt. Die Phase des größten epigenetischen Umbaus, die in den Tagen nach der Zeugung geschieht, ist hier bereits abgeschlossen.

„Vielleicht können wir mit Interventionen bei den Eltern vor der Empfängnis das Krankheitsrisiko ihrer Kinder und womöglich sogar weiterer zukünftiger Generationen senken.“ (Andrew Prentice)