Schlafkur im Home-Office

Menschen ticken verschieden und schlafen meist zu wenig. Im Corona-Shutdown ändert sich das. Darin steckt eine große Chance.

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Ein Mann sitzt zurückgelehnt am Schreibtisch und schläft tief und fest.

Wegen der Corona-Pandemie arbeiten oder lernen wir so viel zu Hause wie noch nie. Viele klagen darüber. Doch Homeoffice und Homeschooling haben auch eine gute Seite: Wir schlafen mehr, machen häufiger Pausen und gehen öfters ans Tageslicht. Das hilft der Gesundheit, Kreativität und Leistungsfähigkeit.

Thomas Wehr gibt sich überzeugt: „Keiner weiß mehr, wie es ist, hellwach zu sein“, urteilt der Biopsychologe und Schlafforscher von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH, als er im Jahr 1992 eine bis heute vielzitierte Studie vorstellt. Die meisten Menschen würden in unserer Gesellschaft chronisch zu wenig schlafen. Sie häuften deshalb ein mehr oder weniger starkes Schlafdefizit an und existierten tagsüber in einer Art Dämmerzustand. Das Schlimmste daran aber sei: Weil sich alle daran gewohnt hätten, verwechselten sie diesen Zustand mit dem richtigen Wachsein.

Schlafmangel ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen

Wehrs Studie, in der Testpersonen eine regelrechte Schlafkur machten und über mehrere Wochen hinweg nichts anderes tun mussten, als so viel wie irgend möglich zu schlafen, war klein und wurde kritisch beäugt. Mittlerweile aber haben zahlreiche andere Wissenschaftler*innen die Erkenntnisse mit einer Reihe zuverlässiger Experimente und Umfragen bestätigt. Die Schlafforschung ist sich längst einig: Schlafmangel ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Und weil Schlaf so unerhört wichtig ist, bleibt das nicht ohne Folgen: Das allgemeine Schlafdefizit belastet die öffentliche Gesundheit, die Wirtschaft, die gesamtgesellschaftliche Leistungsbilanz. Und es kostet sehr viel Geld – laut einer Schätzung der Rand-Corporation alleine in Deutschland 60 Milliarden US-Dollar pro Jahr. In Japan sind es knapp 140 Milliarden, in den USA sogar 411 Milliarden.

„Schlaf ist kein Luxus, er ist essenziell für Körper und Geist“ (Eva Winnebeck)

„Schlaf ist kein Luxus, er ist essenziell für Körper und Geist“ schreibt die Schlaf- und Chronobiologin Eva Winnebeck von der Ludwig Maximilians-Universität München (LMU) in einem Gastkommentar für die Süddeutsche Zeitung. In der Corona-Krise sei ausreichender und erholsamer Schlaf besonders wichtig, weiß Winnebeck: Er sorge für ein gut funktionierendes Immunsystem, senke so die Krankheitsanfälligkeit und unterstütze die Wirkung der Impfungen. Winnebecks LMU-Kollege Till Reonneberg forderte nicht ohne Grund bereits im Jahr 2013 im Fachblatt Nature ein globales „humanes Schlaf-Projekt“, das man ähnlich ernst nehmen sollte wie in den 1990er Jahren das erstmalige Lesen einer menschlichen DNA, das humane Genom-Projekt.

Es ist deshalb auch eine gute Nachricht, dass so viele von uns und unseren Kindern wegen der Corona-Pandemie zu Hause arbeiten oder lernen müssen. Insgesamt finden die Menschen unter diesen Bedingungen nämlich mehr Schlaf. Sie stellen den Wecker auf eine spätere Uhrzeit oder schalten ihn sogar ganz ab. Ihr Schlaf-Wach-Rhythmus passt folglich genauer zu ihren individuellen, weitgehend genetisch fixierten biologischen Vorgaben.

Im Home-Office folgen wir weniger sklavisch den gängigen Arbeitszeiten

Im Home-Office sind wir flexibler. Unsere Schlafzeit überlappt sich oft viel deutlicher mit jenem Fenster, das die Natur für uns persönlich mit unseren individuellen biologischen Eigenschaften dafür vorgegeben hat. Anders als sonst müssen wir weniger sklavisch den festgelegten Arbeitszeiten folgen. Diese sind für den Durchschnitt gemacht. Oder noch schlimmer: Hierzulande passen sie viel zu oft zu der vergleichsweise kleinen Gruppe der so genannten Lerchen oder Frühaufsteher. Bleiben sie zu Hause, arbeiten und lernen viele Menschen hingegen schlicht zu einer Uhrzeit, zu der sie besonders wach sind: Lerchen und Lerchenhafte beginnen schon frühmorgens. Durchschnittstypen, Eulen und Eulenhafte legen mehr oder weniger spät los. (Sind Sie Eule oder Lerche? Machen Sie hier den persönlichen Chronotyp-Test.)

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