Berliner Geschichten
Bis Sommerende bietet das Forum Willy Brandt Berlin gratis Sonderführungen durch die eindrückliche Dioramenwelt von "Geteilte Stadt"

Ein Beitrag aus dem Projekt „Gesichter aus Deutschland"
„Schau mal, da ist ja ein Loch in der Deutschlandfahne!“, platzt der Zehnjährige hinein ins andächtige Dunkel des Ausstellungssaals. Sieben Schaukästen mit Straßenszenen in Miniaturformat stehen dort, zirka einen auf einen halben Meter in der Grundfläche, seitlich und oben verglast. „Was macht das Loch in der Fahne?“ Für die Antwort braucht der Vater eine geschlagene Minute – bis er das Detail aufgespürt hat. Denn die Flagge mitten im Diorama misst nur einen auf zwei Zentimeter, das kreisförmige Loch in der Mitte wenige Millimeter. „Ach so, ja, das ist kein Defekt“, erklärt der Vater die Szene (letztes Bild der Fotostrecke). „Die Menschen, die da nach der Maueröffnung von Ost nach West ziehen, wollten eine bundesdeutsche und keine DDR-Fahne; Hammer, Zirkel und Ähren haben die aus der Mitte einfach rausgeschnitten.“
Geschichtsunterricht vor dem Glaskasten
Solche Details, von Erwachsenen gerne übersehen, machen die „Geteilte Stadt“ für Kinder erst richtig spannend. Und fördern Nachfragen und Dialog. Unglaublich, fast unheimlich authentisch wirken die Szenen aus Berlin, die im Forum Willy Brandt Berlin zu sehen sind (Infos unten). In den Dioramen steht, pars pro toto, eine einzige Straßenkreuzung. Die Komposition, komponiert aus Checkpoint Charlie, Bernauer Straße und anderen Mauer-relevanten Gegenden, existiert zwar in genau dieser Konstellation nirgendwo – sinngemäß aber schon. Die Schaukästen zeigen mehr als ein halbes Jahrhundert „Berlin“: Weltkriegsruinen, Besatzungszeit, jede Menge DDR und natürlich den Mauerdurchbruch (inklusive der legendären Spechte – Mitte der Fotostrecke).
Anschaulicher lässt sich Kindern Geschichte kaum vermitteln. Und auch Erwachsenen jeden Alters gehen angesichts der zahllosen Straßen- und Häuserdetails die Augen über. Mit solchen Effekten haben Frederik und Gerrit Braun, Ausstellungsmacher und Gründer-Zwillinge des „Miniaturwunderland Hamburg“, langjährige Erfahrung. Sie bieten in Zeiten, in denen sich bildungspolitisch so viel um Digitalisierung dreht, eine eindrückliche analoge Abwechslung – mit hohem Lerneffekt.
Ob die sieben Dioramen, die in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg entwickelt wurden, danach im Miniaturwunderland oder anderswo zu sehen sein werden, war bei Redaktionsschluss offen.
Martin C Roos









Dieser Beitrag erschien in leicht abgewandelter Form erstmals, als die "Geteilte Stadt" vor gut einem Jahr im www.willy-brandt.de/Haus-Luebeck zu sehen war. Der Beitrag gehört zum Projekt „Wie geht’s Deutschland 30 Jahre nach dem Mauerfall?“, für das der Autor per Rad durch alle 16 Bundesländer fuhr. Projekt durch Abo unterstützen – keine "Gesichter" verpassen und in den Newsletter eintragen.
Geteilte Stadt – Info zur Ausstellung
Die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung zeigt die Sonderausstellung „Geteilte Stadt. 1945 – 1989" im Forum Willy Brandt Berlin in Kooperation mit dem Miniatur Wunderland Hamburg. Die Öffnungszeiten sind Freitag bis Sonntag, 12 bis 17 Uhr. Sonderführungen gibt es im Juli und August 2020 jeweils am Sonntag um 15:30 Uhr (Dauer 45 Minuten). Der Eintritt ist frei, aber eine Anmeldung erforderlich.

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