Schmelzverstärkung durch Bioalbedo

Folge der Klimaerwärmung: Mikroorganismen mindern die Rückstrahlkraft auf Gletschern.

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Das krümelige Schwarze auf dem Eis besteht nicht nur aus Staub und Felsabrieb, sondern auch aus stoffwechselaktiven Mikroorganismen.

Projekt „Black.Ice“ – Interview mit Ökologin Birgit Sattler, Uni Innsbruck, anlässlich der internationalen Medien-Initiative „CoveringClimateNow“.

Martin C Roos: Frau Dr. Sattler, in Zeiten fortschreitenden Gletscherschwunds gilt der Begriff „Albedo“ – ein Maß der Energierückstrahlung – als durchaus bekannt. Aber in Ihrem aktuellen Forschungsprojekt „Black.Ice“ geht es nun speziell um „Bioalbedo“. Was steckt dahinter?

PD Dr. Birgit Sattler: Bioalbedo, darunter verstehen wir den Anteil der reduzierten Rückstrahlkraft, der auf Mikroorganismen zurückzuführen ist. Inzwischen weiß man, dass auf Gletschern Algen, Bakterien, Pilze, Hefen und sogar Viren siedeln. Speziell Algen schützen sich vor einem Übermaß an ultravioletter Strahlung, indem sie dunkle Pigmente bilden. Das Dunkle aber wirkt sich speziell auf Wärme-Rückstrahlung negativ aus: Dunkle Gletscher absorbieren und schmelzen mehr.

MCR: Wenn Sie von Algenwachstum im Schnee reden, meinen Sie da nicht den sogenannten Blutschnee, der pigmentbedingt nicht schwarz, sondern rot ist?

Sattler: Es stimmt, Schneealgen mindern mit den roten Schutzpigmenten ebenfalls die Rückstrahlkraft. Daneben gibt es die sogenannten Eisalgen, allen voran der Gattung Ancylonema und Mesotaenium. Wissenschaftlich detailliert beschrieben werden die grauschwarzen, unauffälligen Eisalgen erst seit rund acht Jahren, sie kommen außer in den Alpen zum Beispiel auch in der Arktis vor.

Was macht das Besondere dieser Algen und anderer Mikroorganismen auf den Gletschern aus?

Sie bilden eine rege mikrobielle Gemeinschaft auf dem Eis, was wir als Kryobiom bezeichnen. Dieses Kryobiom beteiligt sich maßgeblich am Kohlenstoffkreislauf in eher nährstoffarmen Eis-Ökosystemen. Kohlenstoff ist für uns Ökologen sozusagen die Währung für Nährstoff-Umsatz.

Kryobiom als Zeiger des Klimawandels

Heißt das, Eisalgen und Konsorten fixieren auch Kohlendioxid und tragen dazu bei, eine Klimaerwärmung abzupuffern?

Das Ausmaß ist noch unklar, von gänzlichem Abpuffern kann jedoch nicht die Rede sein. Aber wir haben in Kryobiom-reichen Eisvertiefungen während der Schmelzphasen Stoffwechselraten gemessen, die an diejenigen normaler Böden unserer Breiten heranreichen. Derzeit betrachten wir das Kryobiom vor allem als Zeiger des Klimawandels und Gletscherschwunds: Bildet sich auf dem Eis klimabedingt mehr Wasser, florieren die Organismen besser und stellen mehr Nährstoffe zur Verfügung.

„Florieren auf Eis“ – wie machen das die Mikroorganismen?

Sie verfügen über verschiedene Formen von Gefrierschutz-Proteinen. Deswegen sind sie auch für die Biotech-Industrie interessant, sei es für medizinische, kosmetische oder lebensmitteltechnologische Anwendungen.

Wie wirkt sich ein florierendes Kryobiom auf angrenzende Lebensräume aus?

Gebiete unterhalb der Gletscher profitieren während der wärmeren Monate: Mit dem Schmelzwasser gelangen jede Menge Nährstoffe in Vorgletscherseen und Gletscherbäche; in der Arktis werden Unmengen an Stoffen in die Fjorde gespült.

Was passiert mit den vom „Schwarzeis“ abgespülten Nährstoffen?

In den Bächen zum Beispiel ernähren sich davon Mikroben, Pilze, Vielzeller, Insektenlarven und vieles mehr.


„Weißeis“ wünschen sich ja Betreiber von Gletscherskigebieten lieber als „Schwarzeis“ und setzen daher immer häufiger aufs Abdecken.…

….richtig, dazu forschen wir bereits seit rund zehn Jahren: Zusammen mit Glaziologen schauen wir darauf, wie sich das Abdecken mit industriellen Vliesen auswirkt und welche Materialien am besten das Eis konservieren.

Wie sieht es mit ökologischer Bedenklichkeit aus?

Bedenklich sind die am besten funktionierenden Vliese, weil es für deren Produktion Schmiermittel braucht. Die gelangen nach dem Auflegen unter Regeneinfluss ins darunterliegende Kryobiom und hemmen es anfangs in seinem Wachstum. Weil das Mittel – es handelt sich um eine komplexe chemische Verbindung – relativ rasch im Wasser verdünnt wird, erholt sich das Kryobiom aber recht schnell.

Die Vliese an sich sind auf dem Eis unbedenklich?

Das Material schon. Allerdings schlagen sich durch das Abdecken zunächst weniger der sogenannten Bio-Aerosole nieder: Neue Organismen aus der Luft gelangen erst mit dem Niederschlag allmählich durch die Vliese – werden also später auf dem Eis sesshaft.

Was Sie über die Gletscher-Vliese sagen, klingt eher nach einer marginalen, indirekten Bedenklichkeit. Gibt es auch direkte Bedenken?

Wir haben den Verdacht, dass sich Mikroplastik durch Windabrieb in die umliegenden Gletscher- und Nichtgletscher-Flächen verteilt. Das haben wir ganz am Ende unseres Vorgängerprojekts Cover.Up bemerkt. An diesem brisanten Thema wollen wir jetzt weiterforschen.

Dieses Interview erschien im September 2019 zeitgleich im Alpenvereinsjahrbuch „BERG2020“.

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