Dekolonisierte Kunstgeschichte?

Eindrücke von der Tagung zur Bremer Ausstellung „Der blinde Fleck“

4 Minuten
Eine Maske in einer Vitrine.

Schiffsmodelle aus einer anderen Zeit schwebten unter der Decke des Bremer Rathauses. Sie könnten „Hoffnung“ oder „Zuversicht“ heißen. Was es einst mit dem umtriebigen Seehandel auf sich hatte, beschäftigte nun die Kulturwissenschaften. Es ging um nichts weniger als die Demontage des eurozentrischen Blicks und das Offenlegen des Rassismus, der in die deutsche Kultur eingeschrieben war und vielleicht noch ist. Das ist das Fazit des Symposions „Kolonialismus im Museum – Konflikte, Potentiale, Öffentlichkeiten“, deren Abschlussveranstaltung im oberen Rathaussaal der Bremer Bürgerschaft stattfand. Eines der Schiffsmodelle war neu hinzugekommen. Es war beladen mit gefüllten Jutesäcken, geschmückt mit filigranen, golden schimmernden Bordüren, von den Masten hingen die Segel zerlumpt herab, die Galionsfigur: ein gefesselter Sklave.

Gebaut hat es der schottische Künstler Hewe Locke als Teil der Ausstellung „Der blinde Fleck“ der Kunsthalle Bremen. Sie ist das erste Kunstmuseum in Deutschland, das ernst gemacht hat mit der Forderung nach einem Blickwechsel, nach einer kritischen Revision der Sammlung unter dem Aspekt des Kolonialismus. Finanziert über das Fellow me-Programm der Bundeskulturstiftung kämmte die Kulturwissenschaftlerin Julia Binter die Sammlung der Moderne des Museums gegen den Strich. Aus der Perspektive der postkolonialen Theorie erforschte sie die Geschichte des Hauses, dessen Gründung sich der schöngeistigen Ambitionen in Übersee erfolgreicher Kaufleute verdankte. Sie habe versucht, Theorie in Praxis zu überführen, eröffnete Binter ihren Vortrag, aber dies sei schwieriger gewesen als gedacht. Schon das Vokabular der postcolonial studies sei ein anderes als das der Kolleg*innen im Museum.

Großes Schiffsmodell hängt von der Decke eines prachtvoll ausgestatteten, holzgetäfelten Saal.
Das Schiffsmodell des schottischen Künstlers Hewe Locke ist vier Meter lang. (v.l.n.r. Bürgermeister Carsten Sieling, Julia Binter, Hew Locke und Prof. Dr. Christoph Grunenberg (Direktor der Kunsthalle).
Eine Wand mit Plakaten, davor kleine afrikanische Skulpturen auf Sockeln.
Blick in die postkoloniale Ausstellung „Der blinde Fleck“ in Bremen.