Europa vorerst ohne unabhängigen Zugang zum All

Europa hat ein Raketenproblem: Der zweite Flug der neuen Vega C schlug im Dezember fehl und ein konkreter Starttermin für die Ariane 6 ist immer noch nicht in Sicht. Organisatorische Fehler und die Abhängigkeit von russischen Raketen sorgen vorerst für Schwierigkeiten beim Zugang zum Weltraum.

vom Recherche-Kollektiv Die Weltraumreporter:
3 Minuten
Die Rakete steht aufrecht in einem hohen Gebäude mit geöffneten Schiebetüren, mehrere Plattformen für Mechaniker umgeben sie. Das Gebäude ist von vier Türmen umgeben, darüber spannt sich ein leicht bewölkter Himmel.

Am 21. Dezember 2022 hebt die Vega C vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guyana ab – es ist der zweite Flug dieser neuen Rakete. Zwei Minuten und 24 Sekunden lang ist alles normal, die Steuerung verläuft ruhig. Aber dann lässt der Druck im Triebwerk nach, die Vega C steigt nicht mehr, sondern beginnt zu sinken und muss wenige Minuten später notgesprengt werden. Die zwei französischen Pléjades-Satelliten zur Erdbeobachtung an Bord der Rakete werden zerstört. Alle geplanten Starts der Vega C sind vorerst ausgesetzt. Und Europa besitzt nun, außer der betagten Ariane 5, die nur noch zweimal starten soll, keine eigene flugfähige Rakete mehr.

„Das zurückliegende Jahr 2022 hatte eigentlich gut begonnen“, sagt Stefano Bianchi, der bei der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) für die Flugprogramme zuständig ist. Zwar war schon damals offenkundig, dass die neue Rakete Ariane 6, die als Arbeitspferd für schwere Lasten vorgesehen ist, hoffnungslos verzögert war. Aber damals glaubte man noch, dass die russische Sojus-Rakete den Engpass teilweise überbrücken könnte. Jetzt, ein knappes Jahr nachdem Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, ist die Lage deutlich kritischer. Wegen gegenseitiger Sanktionen starten russische Raketen nicht mehr aus Kourou.

„Wir werden demnächst keinen eigenen Zugang zum Weltraum haben, nachdem die Ariane 5 im Juni den letzten Flug gemacht haben wird“, sagt der Generaldirektor der ESA, Josef Aschbacher. „Die Frage ist natürlich, wann kommt Vega C wieder zurück zum Start?“

Fehlstart der Vega-Rakete: Untersuchung läuft

Eine unabhängige Untersuchungskommission fahndet derzeit nach der Ursache des Fehlstarts im Dezember. Abhängig von ihren Ergebnissen könnte die Rakete auch für längere Zeit ausfallen. Weil es in den letzten vier Jahren bereits der dritte Fehlstart einer Vega-Rakete ist, sind auch organisatorische Mängel bei der Herstellung nicht ausgeschlossen. Daniel Neuenschwander, Direktor für Weltraumtransport bei der ESA, sieht aber auch eine positive Seite: „Die Erststufe der Vega C namens P120 hat tadellos funktioniert, und ich denke, das ist von herausragender Bedeutung für die Ariane 6“, sagte er auf einer Pressekonferenz der ESA am 23. Januar 2023.

Diese Erststufe werde nämlich auch in der Ariane 6 zum Einsatz kommen – und scheint kein Problem zu machen. Dennoch stehen umfangreiche Tests aus, die noch mehrere Monate dauern werden. Dabei werden die neuen Triebwerke der Ariane 6 am Boden mit wachsender Laufzeit gezündet. Nur wenn dabei keine Überraschungen auftauchen, kann die Ariane 6 noch vor Jahresende abheben. Vor allem aber – das betont auch Stefano Bianchi – sollte dieser Start dringend ein Erfolg werden. „Es ist kritisch“, sagt er. „Aber wir tun alles, um dieses Ziel zu erreichen.“

Hoffnung auf neue Kleinraketen aus Europa

Mittelfristig könnten auch kleinere kommerzielle Raketen eingesetzt werden, die derzeit von mehreren Unternehmen in Europa entwickelt werden und die allesamt noch dieses Jahr ihren Erststart absolvieren sollen. Zu den Unternehmen gehören Isar Aerospace in Ottobrunn und die Rocket Factory Augsburg. Die Nutzlast dieser Raketen liegt zwar nur bei rund einer Tonne; zumindest ein kleinerer Teil der geplanten ESA-Satelliten könnte damit aber in den Orbit gelangen.

Josef Aschbacher möchte die Entwicklung der Kleinraketen jetzt beschleunigen. Er wolle zwischen den Anbietern ein Rennen eröffnen, damit deren Raketen schnell auf die Startrampe kommen. Das soll mit zugesicherten Startverträgen für zukünftige ESA-Missionen gelingen: „Mein Plan ist, diese Verträge schon vor dem Erststart abzuschließen, um den Anbietern auch die Sicherheit zu geben, dass wir als Kunde da sind, wenn die Raketen dann bereit sind, zu starten“, sagt der ESA-Generaldirektor.

Die meisten Satelliten aber, zur Erdbeobachtung, zur Navigation oder zur kosmischen Forschung sind zu schwer und können deshalb in Europa vorerst nur von der Ariane oder zum Teil von der Vega C geschultert werden. Stefano Bianchi sieht in der Krise eine Chance. Denn schon vor 20 Jahren war die hiesige Raketenflotte nach einem Fehlstart der damals noch neuen Ariane 5 in einer misslichen Lage, aus der Europa sich am Ende befreien konnte. „Nach einem Fehlstart gab es 83 erfolgreiche Flüge der Ariane 5 in Folge“, sagt Bianchi. „Wie wir das geschafft haben? Mit gemeinsamer harter Arbeit.“

Dieser Beitrag erschien zuerst im Deutschlandfunk.

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