Klimawandel in seiner ganzen Dimension

„Critical Zones“ schafft neue Verbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft

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Violette Korallen in Großaufnahme.

Der Soziologe Bruno Latour arbeitet seit Jahrzehnten an einer Annäherung von Natur- und Kulturwissenschaften. Der Kampf gegen den Klimawandel ist Teil seiner umfassenden Neukonzeption des politischen und ökonomischen Denkens, wie er es in seinem „Terrestrischen Manifest“ formuliert hat. Für ihn ist klar, dass nur ein neues Naturverständnis die Wende in der Klimapolitik bringen kann. Die von ihm initiierte Ausstellung „Critical Zones – Horizonte einer neuen Erdpolitik“ im ZKM Karlsruhe vereint Wissenschaft und Kunst auf gedanklicher und sinnliche Ebene. Die aufgrund der Pandemie zunächst Ende Mai nur digital eröffnete Schau soll am 24.Juli für Besucher zugänglich werden.

Das Wasser säuselt, tropft, schlägt auf. Der Strengbach liegt in den Vogesen und gibt der dort angesiedelten hydrochemischen Forschungsstation (OHGE) ihren Namen. 165 Kilometer weiter nordwestlich ist der Fluss im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Form einer Hörstation präsent. Seine Stimme wird zum Soundtrack für ein lange vorbereitetes Unternehmen, das die besten Kräfte aus Wissenschaft, Kultur und Medienkunst bündelt. Am offiziellen Eröffnungstermin stand Covid-19-beding nur ein kleiner Teil der Ausstellung „Critical Zones – Horizonte einer neuen Erdpolitik“, die zentrale Installation, das „Observatorium“ und die virtuelle Plattform, die neue Standards im Bereich digitaler Ausstellungsformate setzt.

Das Observatorium sei das Grundprinzip der gesamten Ausstellungsprojekts, sagt Bettina Korintenberg vom KuratorInnen-Team der ZKM. Observare heiße beobachten, aber auch für etwas Sorge tragen, etwas achten, etwas wertschätzen. Es ginge aber nicht darum etwas zu kontrollieren, also anthropozentrisch zu versuchen, die Natur umzuformen, sie sich untertan zu machen, was im Zeitalter des Anthropozäns zum Klimawandel geführt habe. Vielmehr sollten Prozesse verstehbar gemacht werden, um einen neuen Umgang mit dem zu entwickeln, was wir gewohnt sind, Natur zu nennen.

Aus Messdaten eine neue Landschaft erschaffen

Mit anderen Worten: wir sollen uns daran gewöhnen, den Wald, das Feld, die Wiese, den See, das Gebirge, das Meer als interaktive Systeme sich bedingender Faktoren zu begreifen, die sich beständig verändern. Im „Observatorium“ solle Landschaft durch die Linse von Messinstrumenten dargestellt werden, sagt die Architekturhistorikerin Alexandra Arènes, wir alle müssten uns als Faktoren solcher Datenflüsse begreifen. Zusammen mit dem Architekten Soheil Hajmirbaba entwickelte sie auf der Basis des geologischen Profils des Openair-Labors Strengbach eine raumgewordene Erzählung des Vorzeigeprojekts französischer Umweltforschung. Metallleisten deuten das Erdniveau an, das sich bis ins nächste Stockwerk des Lichthofs schraubt. Wasserauffangbecken und mit Folien überzogene Holzgestelle stehen für Messstationen, mit denen seit 1985 in Strengbach der Lifestatus der Flüsse, die Zusammensetzung des Niederschlags, der Vegetation und der Luft gemessen wird.

Ein großer Raum mit Stellwänden, auf denen Videos projiziert werden, und anderen Einbauten.
Alexandra Arènes und Soheil Hajmirbaba haben für die Ausstellung „Critical Zones“ im ZKM das in den Vogesen gelegene Observatorium Strengbach modellhaft nachgebaut.
Bildschirm, der einen älteren Herrn und eine junge Frau zeigt.
Die Karlsruher Ausstellung „Critical Zones“ basiert auf dem „Terrestrischen Manifest“ des Soziologen Bruno Latour, der an der Online-Eröffnung am 22. Mai 2020 nur digital teilnehmen konnte.
Das Foto zeigt von von Ferne eine riesige Staubwolke.
Forensic Architecture, Cloud Studies – Forensic Architecture ist eine 2011 gegründete unabhängige Kunst- und Rechercheagentur unter Leitung von Eyal Weizman mit Sitz am Centre for Research Architecture, Goldsmiths, University of London.