Fragen, die uns Angst machen

Das Wilhelm-Lehmbruck-Museum sucht nach einem neuen Profil

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Kubisches Gebäude aus Glas und Stahl bei Abendrot.

Das Wilhelm-Lehmbruck-Museum war einmal der Stolz der prosperierenden Industriestadt Duisburg, ein europäisches Zentrum moderner Skulptur. International anerkannte Künstler wie Eduardo Chillida, Claes Oldenburg und Joseph Beuys nahmen den Wilhelm-Lehmbruck-Preis entgegen und trugen sich ins Goldene Buch der Stadt ein. Vierzig Jahre später sagt die Direktorin Söke Dinkla, der Skulpturbegriff habe sich aufgelöst. Sie will das Museum ins 21. Jahrhundert holen – aktuell mit einem Projekt von Jochen Gerz.

Wer hier wartet, wartet gerne. Im Konferenzraum ist alles aus Holz und Stahl, klare Linien, funktionales Mobiliar, verglaste Wand ins Grüne. „Es war schon mutig, in den 1960er Jahren in Duisburg so einen Glaskasten hinzubauen“, sagt Söke Dinkla, seit 2013 Direktorin des Wilhelm-Lehmbruck-Museums (WLM). Zu dem Glaskasten kamen der Lehmbruck-Trakt und ein Erweiterungsbau aus Beton. Alle drei Gebäude atmen den Geist der Moderne, sind auf den Kantpark hin konzipiert, weitläufig und unaufgeregt.

Was ist ihre Idee für das ideale Kunstmuseum? Die Kunsthistorikerin sagt, was viele ihrer Kolleginnen heute sagen. Sie wolle daran arbeiten, dass das Museum auf die Gesellschaft zugeht, „und im idealen Fall natürlich auf alle Teile unserer Gesellschaft“. Ganz gleich, ob jemand etwas über Kunst weiß oder nicht. Diese Offenheit sei allerdings eine echte Herausforderung.

„Das Lehmbruck“ verstand sich, wie alle Kunstmuseen, lange als bürgerliche Institution, in der zwar Vermittlung groß geschrieben wurde, aber außer Frage stand, dass die Kunstwerke im Mittelpunkt stehen und nicht die Besucher. Das soll sich jetzt ändern, ohne die eigene Geschichte über Bord zu werfen. Söke Dinkla sagt auch, dass das Museum ein Ort der Tradition sei, an dem Wissenswertes vermittelt werde. Sie ist sich aber auch bewusst, an einem Wendepunkt zu stehen. Das Museum müsse sich auch mit unangenehmen Fragen befassen, mit Fragen, die uns Angst machen.

Porträt eines Mannes
Jochen Gerz verwandelte die Architektur des Wilhelm-Lehmbruck-Museums temporär in ein Buch. Von der Fassade lassen sich seine Reflexionen über sein Leben, sein Werk und die Geschichte Deutschlands ablesen.
Blick auf von innen auf eine Glasfassade, auf die von außen ein langer Text aufgebracht wurde.
Der Text auf der Glasfassade des Wilhelm-Lehmbruck-Museums in Duisburg ist nur von außen lesbar. Ein Steg bringt die Besucher nahe heran an die Gedanken von Konzeptkünstler Jochen Gerz. Aus Betrachtern werden Leser.
Raum mit einer Filmprojektion und einem Relief an der Wand.
William Kentridge zeichnet mit Kohle Geschichte, die zu Szenen seiner Animationsfilme werden. „Mine“ (1991) schildert Apartheit, Ausbeutung und Kolonialismus in Südafrika. Das Relief zeigt einen Bergmann mit Grubenlampe. Wilhelm Lehmbruck schuf den Entwurf 1905/06 für das Grab eines Bergbauingenieurs.
Zwei dunkelgraue Aschehaufen am Boden, gerahmte Grafiken an den Wänden.
Die WLM-Ausstellung „Reichtum: Schwarz ist Gold“ (2018) zeigte Kunst aus dem Material Kohle. Der Land-Art-Künstler Robert Smithson sammelte 1968 auf einem Zechengelände in Oberhausen Schlacke und stellte sie mit einer genauen Kartierung seines Fundortes aus. Reiner Ruthenbeck war fasziniert von der fragilen Form von Aschehaufen (vorne).
Ein Stück glänzende Kohle in Form eines Diamants.
Wertvoll oder zum Verfeuern? Die Künstlerin Alicja Kwade nannte den aus Kohle geschnitzten Diamant „Lucy“.
Blick in einen verglasten Ausstellungsraum. Im Vordergrund ist die Figur eines schmalen, nackten Mannes zu sehen, der mit dem Kopf am Boden vorwärts kriecht.
Das Wilhelm-Lehmbruck-Museum bewahrt rund 900 Zeichnungen und Skulpturen Wilhelm Lehmbrucks. 2008 erwarb die Stadt den Nachlass des Bildhauers.
Blick in einen mit polierten Steinplatten gefliesten Raum, in dem Sockel mit Kleinplastiken stehen.
Das Wilhelm-Lehmbruck-Museum in Duisburg versteht sich als europäisches Zentrum für moderne Skulptur. Zu der rund 10 000 Objekte umfassenden Sammlung gehören Werke von Max Bill, Constantin Brancusi und Alberto Giacometti.