Dieses Corona-Medikament rettet Leben – und wird trotzdem kaum verschrieben.

Darauf hatte im Laufe der Corona-Pandemie jeder gehofft: Medikamente, die Menschen vor einem schweren Covid-19-Verlauf schützen können und so Leben retten. Inzwischen gibt es solche Mittel. Doch ausgerechnet eines der wichtigsten Arzneimittel wird von Ärztïnnen kaum verschrieben. Wie kann das sein?

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Ein Apotheker hält eine Packung Paxlovid in die Kamera.

Stell‘ Dir vor es gibt ein wirksames Medikament gegen Covid-19, aber kaum jemand nutzt es. Was zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie nur Wunschdenken war, ist seit vielen Monaten Realität. Obwohl sich das Covid-19-Arzneimittel Paxlovid in mehreren Studien als sinnvolle Option für Risikogruppen erwiesen hat und Menschen vor einem schweren Verlauf und vor dem Tod retten kann, kommt es in Deutschland kaum zum Einsatz. Ärztinnen und Ärzte tun sich schwer beim Verschreiben des Mittels. Warum ist das so und wie könnte es besser gehen?

Warum verschreiben Ärzte Paxlovid so selten?

Stefan Kluge vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) sieht mehrere Gründe, warum Medizinerïnnen das Mittel eher selten verschreiben. So sei die Ärzteschaft wie bei allen neueren Medikamenten und medizinischen Innovationen auch hier erst einmal zurückhaltend, vermutet der Direktor der Klinik für Intensivmedizin: „Es dauert immer eine gewisse Zeit, bis das Wissen auch alle Ärzte in Praxen und Krankenhäusern erreicht, auch wenn es in den Leitlinien empfohlen wird“, sagt Kluge, der auch Koordinator der der S3 Leitlinie „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ ist. Bei COVID-19 komme hinzu, dass in kurzer Zeit viele neue Informationen und Studien herauskamen. Das könne ähnlich wie bei den Impfempfehlungen auch zu Verwirrung führen. Und obwohl die Regierung eine Millionen Dosen bestellt habe, hätte Patientïnnen und Ärztïnnen wiederholte berichtet, dass das Mittel schwer zu bekommen sei.

Torsten Feldt vom Universitätsklinikum Düsseldorf fürchtet, dass das Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs inzwischen von Ärzten wie auch Patienten häufig unterschätzt werde. „Im Vergleich zu früheren Infektionswellen hat das Risiko für Komplikationen aufgrund der weniger gefährlichen Varianten und der breiten Bevölkerungsimmunität tatsächlich erheblich abgenommen“, sagt der Mediziner von der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie.

Zugleich sind einige Mediziner skeptisch, weil sie den sogenannten Rebound-Effekt fürchten: Das Wiederaufflammen der Infektion und in einigen Fällen auch der Erkrankung, obwohl ein Patient genesen war. Darüber berichtete etwa US-Präsident Joe Biden. Allerdings kann dieses Phänomen bei SARS-CoV-2 auch ohne Paxlovid-Behandlung auftreten und ist auch von anderen Viruserkrankungen bekannt. Ob und wie viel häufiger ein Rebound bei Behandlung mit Paxlovid ist, ist derzeit noch nicht vollständig geklärt.

Problem: Wechselwirkungen

Einer der Hauptgründe für die Zurückhaltung der Mediziner scheint aber eine andere Eigenheit des Arzneimittels zu sein: die Interaktion mit anderen Medikamenten. „Es gibt bei Paxlovid viele Wechselwirkungen“, sagt Stefan Kluge vom UKE in Hamburg. Besonders ältere Menschen ab 65 Jahren, die am meisten von Paxlovid profitieren könnten, nehmen häufig noch andere Arzneimittel ein. Kluge: „Eine Überprüfung aller möglichen Wechselwirkungen und eine Abwägung, welche Medikamente abgesetzt werden können, kostet im Praxisalltag viel Zeit.“

Dieses Problem ist auch für Torsten Feldt eines der entscheidenden Hindernisse: „Paxlovid ist für die Hausärzte keine Routine. Die zahlreichen Wechselwirkungen schrecken viele ab“, so der Bereichsleiter der Tropenmedizin der Uniklinik Düsseldorf. Es seien zwar inzwischen Medikamentenlisten veröffentlicht und genaue Anweisungen, wie in welchem Fall zu verfahren sei, wie in der kürzlich aktualisierten S3-Leitlinie „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ Trotzdem müsse man sich als Hausarzt einarbeiten und lernen, mit den komplexen Wechselwirkungen umzugehen. „In manchen Fällen muss man die Dosis eines Medikaments reduzieren, in anderen muss man es für einige Tage absetzen oder es durch ein anderes ersetzen“, erklärt Feldt. Manche Patienten dürften Paxlovid auch gar nicht bekommen. „Das ist gerade bei älteren Patienten mit vielen Dauermedikamenten aufwendig.“ Wer all dies nicht beachtet, riskiert ernste Probleme bei den Patientïnnen.

Um den Kollegïnnen zu helfen, unterstützt Feldt und sein Team von der Uniklink Düsseldorf eine Hotline für medizinisches Fachpersonal, um den frühen Einsatz der Therapie bei Risikopatienten zu fördern. „Viele engagierte Ärzte, die bei uns anrufen, wollen die beste Lösung für ihre Patienten finden und sich über die aktuellen Therapiemöglichkeiten austauschen“, erzählt der Mediziner.

Darüber hinaus gebe es auch eine App, mit der man laut Fendt Fragen zum Medikament und seinen Wechselwirkungen „recht schnell und zuverlässig klären kann“.

Paxlovid-Verordnung erleichtern

Generell müsse aber die Verordnung und Bereitstellung von Paxlovid noch einfacher werden, fordert der Mediziner. Vor allem für die Hausärzte, Pflegeeinrichtungen und Notaufnahmen und Notfallpraxen, die oft die erste Anlaufstelle seien, müsse die Verfügbarkeit ohne wesentliche Hürden oder Verzögerungen sichergestellt werden. Fendt: „Das ist vor allem im Hinblick auf den erwarteten Anstieg der Fallzahlen im Winter und möglicherweise gefährlichere Varianten jetzt vordringlich.“

Der „Corona-ExpertInnenrat“ der Bundesregierung schreibt antiviralen Therapien in der Behandlung von COVID-19 einen hohen Stellenwert zu. Um den Einsatz von Paxlovid zu verbessern, empfehlen die Forschenden eine optimierte Kommunikation zu den Möglichkeiten und Einschränkungen von Paxlovid sowie die Planung weiterer Studien, unter anderem zur Dosierungsanpassung.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach misst dem Virostatikum im Kampf gegen COVID-19 ebenso große Bedeutung zu. Er setzt sich für den noch einfacheren Abgabeprozess direkt durch die Hausärzte oder in Pflegeheimen ein. Bisher dürfen Ärzte und Einrichtungen nur recht begrenzte Mengen des Mittels direkt an Patientïnnen abgeben und erst nachbestellen, wenn diese aufgebraucht sind. Der weiter vereinfachte Abgabeprozess könnte auch verhindern, dass das Medikament ungenutzt bleibt, obwohl es vorrätig ist. 280.000 Einheiten drohen bis Februar 2023 zu verfallen. Eine Verlängerung der Haltbarkeit soll geprüft werden.

Quelle: ScienceMediaCenter, Köln

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