Naturzerstörung durch Klimakrise – eine Warnung

In seinem neuen Buch „Die Natur der Zukunft“ malt der Biologe und Autor Bernhard Kegel wissenschaftlich fundiert gewaltige ökologische Umbrüche aus

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
5 Minuten
Taucher im Meer vor einer fächerförmigen Koralle.

Dass es, wenn wir Menschen die Atmosphäre weiter mit Kohlendioxid und Methan vollpumpen, immer heißer und in manchen Regionen der Erde viel zu trocken und in anderen viel zu nass wird, gehört inzwischen zum Allgemeinwissen. Doch der Klimawandel, oder genauer die Klimakrise, in der wir uns befinden, ist kein rein physikalisches Phänomen. Nicht nur die Temperatur und die Verteilung des Wassers auf der Erde verändern sich, sondern – alles, die gesamte Natur.

Die natürlichen Lebensgemeinschaften von heute, also etwa Wälder, Savannen, Korallenriffe und die Tundra, werden “in der Verteilung und Zusammensetzung, wie wir sie kennen, keinen Bestand haben”, warnt der Biologe und Autor Bernhard Kegel in seinem neuen Buch “Die Natur der Zukunft” (Dumont-Verlag, 24 Euro).

Anschaulich und kenntnisreich legt er darin dar, dass es sich nicht um den normalen Wandel handelt, wie er ganz normal ist für die Evolution, sondern um ein schnelles und gewaltiges Geschehen. Kegel schöpft dabei wie in früheren Büchern sowohl aus eigenem Erleben wie auch aus einem umfassenden Studium wissenschaftlicher Quellen. Das macht sein Werk zugleich gut lesbar und sehr lehrreich.

Die Natur gerät durch die Erwärmung schon heute in Bewegung. Nicht nur Tiere, auch Pflanzen reagieren auf die veränderten Klimabedingungen, werden seltener, weil sie mit den Veränderungen nicht mitkommen, oder auch häufiger, weil sich ihnen neue Territorien zur Besiedlung öffnen. In Deutschland etwa sei damit zu rechnen, dass sich Pflanzen wie die Beifuß-Ambrosie, die ursprünglich bei uns nicht heimisch ist, die aber warmes Klima mag, mit Ausnahme der hohen Gebirgslagen flächendeckend ausbreitet. “Für Allergiker ist das keine gute Nachricht”, schreibt Kegel. Schon heute macht diese äußerst allergene eingeschleppte Pflanze nämlich vielen Menschen zu schaffen.

Warnung aus der Erdgeschichte

Zu den Vorzügen des Buchs zählt, dass der Autor kein schwarz-weißes, sondern ein nuanciertes Bild der neuen Ökologie zeichnet. So stellt er auch dar, dass Neophyten, also pflanzliche Einwanderer, auch eine positive Rolle spielen könnten, wenn sie Funktionen in Ökosystemen übernehmen, die heimische Pflanzen nicht mehr ausfüllen können.

Insgesamt überwiegen jedoch die warnenden Töne. Mit einem früheren Temperaturmaximum der Erdgeschichte, an der Grenze von Paläozän zu Eozän vor rund 56 Millionen Jahre, führt Kegel seinen Lesern vor Augen, mit welchen Umbrüchen in der Natur bei starkem Anstieg von Kohlendioxid und Temperaturen zu rechnen ist: Von Massensterben von Meeresorganismen bis zur evolutionären Schrumpfung von Säugetieren hätten damals die Konsequenzen gereicht.

“Was uns erwartet ist in der Geschichte der Menschheit ohne Parallele.”

Dass die Natur diese Ereignisse überlebt habe, dürfe uns Heutigen aber nicht trösten: Die Phasen des Wandels seien für die Lebewesen, die sie durchleben mussten, oftmals grauenhaft und existenzbedrohend gewesen. “Außerdem ist diese Krise (…) anders: Sie ist schneller, sie spielt sich in einer Welt ab, die vom Menschen völlig verändert wurde, in der Arten sich nicht mehr frei bewegen können, in der es überall Grenzen und Hindernisse gibt und in der viele Arten, ganze Ökosysteme bereits angeschlagen und in hohem Maße gefährdet sind”, warnt Kegel.

Kein Verlass auf Selbstheilungskräfte

Akribisch beschreibt der Autor Prozesse, die bereits heute ablaufen. Während sich mancher darüber freuen wird, dass die Winter kürzer werden, bedeutet dies zum Beispiel für viele Vogelarten eine existenzielle Gefahr. Die Rhythmen des Vogelzugs seien auf das bisherige Klima eingestellt. Kürzere Winter in Europa bedeuten, dass sich Insekten früher entwickeln. Das bekommen Vogelarten zu spüren, die zur gewohnten Zeit aus den Winterquartieren zurückkehren und deren Jungen dann nicht mehr weiche, gute verdauliche Larven vorfinden, sondern nur bereits weiter entwickelte Insekten mit härteren Körpern.

Auch physiologisch könnten viele Arten den Veränderungen nicht gewachsen sein, schreibt Kegel. Für Miesmuscheln und andere Meerestiere könnte der Ozean von morgen schlichtweg zu heiß werden. Zwar gebe es in jeder Population “Plastizität”, also Individuen, die mit Extremen besser klarkommen als andere, und zudem die Fähigkeit zur Adaptation, also zu einer durchaus auch schnellen Anpassung an neue Bedingungen. In der warmen Zukunft werde sich das Rad der Evolution aber schneller drehen.

“Ob es reichen wird, um entstandene Lücken im Artenbestand wieder zu füllen und Tiere und Pflanzen schnell an den Klimawandel anzupassen, kann heute noch niemand beantworten”, warnt Kegel.

Seine Ausführungen darüber, wie ganze Ökosysteme bedroht sind, etwa Korallenriffe, und wie die Erderwärmung zur Ausbreitung von gefährlichen Krankheitserregern und sogar neuen Pandemien beitragen kann, geben dem Buch eine dringende Botschaft: “Zeitbomben” heißt ein Unterkapitel treffend, “Defaunation” ein anderes.

Umbruch ohne Parallele

Das Buch blendet andere Faktoren, die über die “Natur der Zukunft” entscheiden, ebenso wie die Grundsatzfrage, was Natur in einer vom Menschen dominierten Welt überhaupt noch ist, weitgehend aus. Dass Habitate zerschnitten und umgepflügt werden, Städte sich ausbreiten, Chemikalien die Stoffwechsel und Reproduktionsweisen durcheinanderbringen und allgegenwärtiger Stickstoffdünger die Pflanzenvielfalt verringert, streift Kegel nur am Rand. Ebenso wie auch neue biotechnologische Verfahren, mit denen ungekannte Lebensformen entstehen oder ausgestorbene Arten wieder zum Leben erweckt werden könnten.

Doch die harte Tour durch die vielen bereits realen oder noch drohenden Folgen speziell der Klimakrise rechtfertigen diesen Fokus. Was dem Buch fehlt, ist eine intensivere Auseinandersetzung mit Zielkonflikten wie beim Ausbau der Windenergie, gegen den Naturschützerïnnen einwenden, er gefährde, wenn an falschen Orten Anlagen entstehen, ohnehin seltene Arten. Ähnliches gilt für die sogenannte Bioenergie, also Energiegewinnung aus Pflanzen. Aber vielleicht hätte das auch den Rahmen gesprengt. Die Botschaft des Buchs ist aber auch wichtig für die Energiedebatten: Klimaschutz und Naturschutz bedingen einander.

Wohltuend ist, dass Kegel in seine Abfolge von Beispielen immer wieder offene Fragen und originelle Gedanken einbaut, die zum Nachdenken anregen statt nur zu schockieren. Dass wir sehr schnell nachdenken müssen, in welcher Welt und mit welcher Natur wir leben wollen, ist die Grundbotschaft des Buchs. Denn am meisten könnten von den schnellen Veränderungen nicht Tiere und Pflanzen, sondern wir Menschen überfordert sein. Bei aller Unsicherheit von Prognosen hält Kegel eines für gewiss: “Was uns erwartet ist in der Geschichte der Menschheit ohne Parallele.”

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Der Fotoeinkauf für diesen Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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