Was folgt aus dem Karlsruher Urteil zum Klimaschutzgesetz?

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Schon heute müssen Regierungen und Parlament sicherstellen, dass junge Menschen eine Chance im Kampf gegen die Klimakrise haben. Vier Einschätzungen

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
4 Minuten
Das Gebäude des Gerichts hinter blühenden Blaustern-Pflanzen in Frühlingsstimmung.

Einzelpersonen und Umweltorganisationen, darunter Fridays for Future, haben vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die deutsche Klimaschutzpolitik geklagt – und recht bekommen: Die Bundesregierung muss das Klimaschutzgesetz nachbessern, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen besser zu schützen.

Worum geht es?

Das Klimaschutzgesetz regelt die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen bis 2050. In der ersten Periode bis 2030 soll der Ausstoß im Vergleich zu 1990 um mindestens 55 Prozent sinken. In den darauffolgenden 20 Jahren sollen die Emissionen von Treibhausgasen nahezu auf Null reduziert werden. Für den Zeitraum bis 2030 macht das Gesetz schon bisher relativ genaue Angaben zu den erlaubten Emissionen in verschiedenen Bereichen, etwa Landwirtschaft oder Verkehr.

Historisches Urteil – mit offenen Folgen

Ein großer Teil der für den Klimaschutz nötigen Reduktion wird allerdings auf den Zeitraum zwischen 2030 und 2050 verschoben. Und genau für diese Periode hat die Regierung keine konkreten Regelungen getroffen. Das sei nicht rechtens, so die Verfassungsrichter, denn damit würden die Belastungen zu stark auf kommende Generationen verlagert. Ein historisches Urteil. Die Bundesregierung hat reagiert – und will noch in dieser Legislaturperiode einen neuen Gesetzentwurf vorlegen.

Doch was bedeutet der Richterspruch zum Klimaschutz konkret? Und wie wird sich das Urteil auf den seit langem schwelenden Konflikt zwischen Windkraft und Artenschutz auswirken? Vier RiffReporter-Mitglieder geben dazu ihre Einschätzungen.

In der kommenden Woche lesen Sie von Daniela Becker, Johanna Romberg, Christian Schwägerl und Thomas Krumenacker ein ausführliches Streitgespräch zu Konflikten zwischen Klima- und Naturschutz beim Ausbau der Windenergie.

Daniela Becker: Ein großer Schritt, der die Energiewende beschleunigen wird

Die Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist meiner Meinung nach kaum zu überschätzen. Zum einen hat das oberste Gericht klipp und klar die Klimakrise als Bedrohungslage definiert. Zudem haben die Richter und Richterinnen stark auf den Aspekt der Generationengerechtigkeit abgehoben.

Nun steht fest: Die Freiheit heutiger Generationen darf nicht über die Freiheit künftiger Generation gestellt werden. Das ist ein großer Schritt und wird sicher auch die Energiewende beschleunigen. Doch wir blicken immer noch „nur“ auf Menschen. Was fehlt, sind Ansätze mit denen auch Naturrechte in der Verfassung verankert werden, wie etwa in Bolivien.

Windanlage in Rapsfeld
Windräder und Bioenergie – was vielen Klimaschützern als unerläßlich im Kampf gegen die Klimakrise gilt, sieht ein erheblicher Teil von Naturschützern wegen der Auswirkungen auf die Vogelwelt kritisch.

Thomas Krumenacker: Möglicherweise ein bitterer Tag für den Vogelschutz

Das Urteil ist ein Richterspruch für die Geschichtsbücher, weil es zeigt, dass Klimaschutz und generell der Umgang mit lebenswichtigen Ressourcen – also auch Natur – keine schöne Nebensache ist, sondern Kern der Grundrechte für heutige und künftige Generationen.

Konkret fürchte ich aber sehr, dass der Ausbau der Windkraft nun in der gleichen beklagenswert ungeregelten und oft unökologischen Weise wie bisher massiv forciert wird und der Artenschutz nun noch weiter hinten runterfällt als bislang ohnehin schon. Für den Vogelschutz könnte der Tag der Karlsruher Entscheidung ein bitterer Tag werden.

Johanna Romberg: Es wird vermutlich beim „business as usual“ bleiben

Super, dieses Urteil! Jetzt können Bundesregierung und -länder endlich daran gehen, klima- und naturschädliche Subventionen abzubauen. Keine Steuermilliarden mehr für Flugverkehr, Dienstwagen, Kohleförderung, Pendlerpauschale, Billigfleischproduktion, den naturzerstörenden Anbau von Energiepflanzen.

Dafür endlich dringend benötigtes Geld für den Ausbau von Bahn und ÖPNV, für grünere, fahrrad- und fußgängerfreundliche Städte, für eine boden- und naturschonende Landwirtschaft, für den Schutz und die Wiederbelebung natürlicher CO2-Speicher wie Moore und Wälder, für die Schaffung einer lebendigen, artenreichen Landschaft, die Flugreisen in entlegene Naturparadiese überflüssig macht… Ja, ich weiß, alles nicht sehr realistisch. Wir werden vermutlich business as usual erleben, nur mit mehr Windrädern und Elektroautos. Aber man wird ja noch träumen dürfen.

Christian Schwägerl: Endlich wird Freiheit richtig definiert

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist wegweisend, denn es gibt auf der höchsten Ebene der Rechtsprechung dem Begriff der Freiheit eine neue, tiefere – und überfällige – Bedeutung. Viele Menschen verwechseln Freiheit mit Egoismus, etwa auf der Autobahn 200 fahren oder ohne Rücksicht auf Verluste konsumieren zu dürfen. Das Verfassungsgericht definiert Freiheit als Leben in einer förderlichen Umwelt ohne überbordenden Umweltstress oder allzu hohe Klimaschutzlasten. Angebracht wäre es, dass diese Definition auch auf Naturschutz und Artenvielfalt angewandt wird.

Klar ist, dass nun der Druck steigt, unser Energiesystem auf erneuerbare Quellen umzustellen. Wichtig finde ich, dass für den Klimaschutz alle natur-basierten Lösungen maximal aktiviert werden – und dass für den Ausbau der Windenergie Planung und Verfahren so verbessert werden, dass Schäden für die Vogelwelt und andere Tiergruppen so klein wie möglich ausfallen. Zu vermeiden werden Schäden aber nicht sein. Das müssen Bund und Länder durch verstärkten Naturschutz in anderen Bereichen ausgleichen.

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