Tunis: Eine Großstadt im Wasserstress

Rekordtemperaturen, Starkregen, veraltete Infrastruktur: Die Wasserversorgung in Tunesiens Hauptstadt steht immer mehr unter Druck. Damit auch in Zukunft Trinkwasser aus dem Hahn kommt, muss sich einiges ändern.

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An der Mauer eines Staudamms sind die Spuren des Wasserstands vergangener Jahre und verblichene Höhenangaben zu sehen. Im Vordergrund wachsen Büsche auf Kies.

„Sehen Sie dahinten den Überlauf? Bei den Überschwemmungen 2003 stand das Wasser zweieinhalb Meter drüber.“ Der Wächter zeigt auf einen Turm in der Ferne, der meterweit aus dem Wasser ragt. Heute schließt er das Absperrgitter auf, das neugierige Besucher sonst abhalten soll, denn man kann problemlos trockenen Fußes über eine kleine Brücke zum Überlauf gehen.

An den Mauern des Sidi Salem-Staudamms im Norden des Landes lassen Streifen im Beton erahnen, wie hoch hier früher das Wasser oft stand. Anfang September, zu Beginn des hydrologischen Jahrs in Tunesien, ist der Stausee fast leer, der eigentliche Damm komplett trocken.

Sidi Salem ist der größte der mehr als dreißig tunesischen Staudämme. Er fasst eigentlich rund 600 Millionen Kubikmeter und versorgt 60 Prozent der Bevölkerung der zwölf Millionen Tunesierinnen und Tunesier mit Trinkwasser. Gerade ist er nicht mal zu einem Fünftel gefüllt.

Im Landwirtschaftsministerium in Tunis herrscht bei Hamadi Hbaieb unterdessen reges Kommen und Gehen. Eigentlich ist der Generaldirektor des Büros für Wasserplanung und Wassergleichgewicht im Urlaub, seinem ersten seit drei Jahren.

Doch richtig frei hat er in seinem Job nie – schon gar nicht im Sommer und erst recht nicht in diesem Sommer 2021. Anfang August gab es in ganz Tunesien neue Hitzerekorde. In der Hauptstadt stiegen die Temperaturen auf über 48 Grad Celsius, im zentraltunesischen Kairouan gar auf 50,3 Grad – laut tunesischem Wetterinstitut 9 bis 15 Grad über den Normalwerten um diese Jahreszeit.

Bild des Staudamms von Sidi Salem mit Überlauf.
Vor fünfzehn Jahren war der Staudamm von Sidi Salem noch regelmäßig gut gefüllt, wie hier im August 2006.
Bild des Staudamms von Sidi Salem mit Überlauf.
Im Sommer 2021 ist der Stausee zu nicht mal zwanzig Prozent gefüllt
Ufer eines Stausees. Am Bildrand sind grüne Sträucher zu sehen, darunter Gesteinsschichten
Mit sinkendem Wasserstand breitet sich Gesträuch am Ufer des Stausees aus
Am Rand des Staudamms sind im Geröll Stufen von vorherigen Wasserständen zu sehen.
Das Wasser hat im ausgetrockneten Erdreich seine Spuren hinterlassen
Auszug aus der tunesischen Verfassung, Artikel 44
Artikel 44 der tunesischen Verfassung garantiert das Recht auf Wasser
Außenansicht eines Teils der Wasseraufbereitungsanlage
In vier Stationen wird in Ghdir El Golla das Trinkwasser für den Ballungsraum Tunis aufbereitet
Grafik, die die Wasserversorgung des Ballungsraums Tunis darstellt
Das Wasser für den Ballungsraum Tunis kommt hauptsächlich aus dem Oued Medjerda und seinen Zuflüssen.
Hirte mit Schafherde in Rückenansicht am Rande eines Kanals
„Sehen Sie, das trinken wir“, so ein Hirte, der seine kleine Schafherde am Rand des Medjerda-Cap Bon-Kanals weiden lässt
Trübes Wasser in einem Kanal, über den eine mit Müll überfüllte Brücke führt
Das Wasser für den Ballungsraum Tunis wird durch den Kanal Medjerda-Cap Bon geleitet
Akiça Bahri
Wasserfachfrau Akiça Bahri ist überzeugt, dass die ganze Wasserinfrastruktur der Hauptstadt überdacht werden muss
Ausgetrocknete Sperre am Überlauf des Staudamms von Sidi Salem
Der Überlauf wurde schon lange nicht mehr genutzt
Ablauf des Staudamms von unten gesehen
Direkt unterhalb des Staudamms befindet sich eine idyllische Landschaft
Trockenes Flussbett des Oued Medjerda
Unmittelbar unterhalb des Staudamms nimmt der Oued Medjerda wieder seinen Lauf
Landschaft am Oued Medjerda
Der Oued Medjerda ist der längste Fluss Tunesiens
Felder direkt am Flusslauf des Oued Medjerda
Die Landwirtschaft ist einer der Hauptverschmutzer des Trinkwassers
Illegal abgeladener Müll oberhalb des Flusses
Doch auch Abfall und ungeklärte Abwasser tragen zur Verschmutzung bei
Von Algen überwucherter Autoreifen im Flussbett
Ein Teil des Mülls landet direkt im Flusslauf
Siedlung im Hintergrund des Oued Medjerda
Am Rande von Siedlungen nimmt die Verschmutzung des Flusses zu
Im Hintergrund sind Ruinen eines römischen Aquädukts zu sehen, im Vordergrund der verschmutze Kanal Medjerda – Cap Bon
Zur Zeit der Römer wurde das Wasser über Aquädukte nach Tunis gebracht, heute läuft es durch den Kanal an den Ruinen vorbei
Tunesische Wasserflaschen
Tunesien gehört zu den Ländern mit dem höchsten Mineralwasserverbrauch pro Kopf weltweit