Anthropozän: Paul Crutzens epochales Vermächtnis

Er war ein Quereinsteiger in die Wissenschaft, half die Schutzhülle der Erde zu erhalten und veränderte unseren Blick, auch auf uns selbst. Zum Tod des Chemie-Nobelpreisträgers

11 Minuten
Crutzen sitzt vor einer roten Wand und schaut direkt in die Kamera.

An English version of this essay was published by Anthropocene Magazine.

Eigentlich ist es ein unglaublicher Vorgang: Die Erde, ein von Wasser geprägter Planet mit einer Millionenzahl verschiedener Lebensformen, baut aus Milliarden Molekülen einen Menschen auf, der ihre Vergangenheit und ihr gegenwärtiges Funktionieren so gut versteht, dass er mit seinem nur knapp eineinhalb Kilogramm schweren Gehirn eine epochale Idee ihrer Zukunft entwickelt. Und nimmt dieses Lebewesen dann wieder in den Kreislauf ihrer Materie- und Energieströme auf.

Schon als die Nachricht vom Tod von Paul Crutzen am 28. Januar 2021 noch gar nicht in der Welt war, sondern sich erst in einem kleinen Kreis von Wissenschaftlerïnnen verbreitete, setzte ein Crescendo von Trauer und Lob ein: Die Menschheit habe „ein Genie verloren“, schrieb einer, der den Chemie-Nobelpreisträger gut kannte. Als „wissenschaftlichen Giganten und wunderbaren Menschen“ beschrieb ihn ein anderer aus dem Kreis der E-Mail-Gruppe.

„Ein großer Wissenschaftler, der seine Forschung zum Wohl der Menschheit eingesetzt hat“, und zudem „freundlich und großzügig“ sei Crutzen gewesen, meinte ein Dritter. Andere in der virtuellen Runde hoben Crutzens konkrete Verdienste hervor: „Sauberer, sicherer und freundlicher“ sei die Welt durch ihn geworden. Unter allen Wissenschaftlern gehöre er zu denen, „die am meisten für den Schutz des Planeten“ getan hätten.

Vom Quereinsteiger zum Protagonisten

Wenn sich nun die Nachricht vom Tod Crutzens weltweit verbreitet, wird der Strom von Trauer und Lob nicht abreißen. Denn der von seiner Statur her kleine Mann war eine Größe – eine Geistesgröße, eine menschliche Größe und ein Großer der Wissenschaft, dem Reich des Entdeckens, in das er schon als Kind gelangen wollte. Und zugleich einer, der sich eine große Umgänglichkeit und eine beinahe kindliche Neugierde bewahrte – trotz seiner vielen, vom Chemie-Nobelpreis gekrönten Ehrungen, wie sie anderen Koryphäen zu Kopf gestiegen sind und sie überheblich werden ließen. Diese Neugierde ließ ihn immer wieder vieles mit neuen Augen sehen, neue Beobachtungen machen, neue Ideen entwickeln.

Globus des Künstlers Ingo Günther. Darauf sind schwarze Linien eingezeichnet.
Globale Vernetzung: Reisen, Geldströme, Waren, Informationen – unsere Zeit ist hyperkonnektiv. Die Natur war das schon immer.
Schwarz/weiß Aufnahme des Nobelpreisträgers Paul Crutzen bei der Preisverleihungsfeier in Mainz 1995. Links neben ihm steht seine Ehefrau Terttu.
1995 erhielt Paul Crutzen für seine Verdienste um die Atmosphären- und Ozonforschung den Chemie-Nobelpreis. Im Bild zu sehen ist die Feier in Mainz. Links im Bild Crutzens Ehefrau Terttu.
Luftaufnahme des brennenden Amazonas. Man sieht die enorme Rauchentwicklung.
Der Amazonas steht in Flammen – und trocknet durch die Erderhitzung von innen aus. Das Bild der NASA stammt vom 17. September 2011 und zeigt ein Gebiet am Rio Xingu.