UN-Umweltgipfel: Das fordern Union, SPD, Grüne, FDP und Linkspartei für den Naturschutz bis 2030

Umweltpolitikerinnen und -politiker warnen vor mangelnder Umsetzung hehrer Ziele für Biodiversität / Kontroverse um Schutzgebiete

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
18 Minuten
Der Reichstag mit der zugefrorenen Spree im Vordergrund

Es geht um sehr viel für die die Menschheit und die Natur in diesem Jahr. Bei zwei UN-Umweltgipfeln sollen Wegmarken für eine klimaneutralere Welt und für ein Ende des Artensterbens gesetzt werden. Doch während die Klimapolitik und damit auch die Gipfeltreffen der Klimarahmenkonvention mittlerweile im Zentrum der politischen Debatte angekommen sind, fristet das politische Ringen um den globalen Naturschutz und die Biodiversität bisher ein Schattendasein.

Beim UN-Naturschutzgipfel der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) sollen im Herbst im chinesischen Kunming ebenso wichtige Fragen entschieden werden wie beim gleichfalls für den Herbst geplanten Weltklimagipfel in Glasgow. Es geht um globale Ziele für die Bewahrung von Natur und menschlichen Lebensgrundlagen bis 2030 und wie sie angesichts eines rasant voranschreitenden Artensterbens erreicht werden können.

Wir haben die umweltpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, FDP, Grünen, SPD und Die Linke gefragt, ob in diesem Jahr ein Durchbruch für den globalen Naturschutz gelingen kann, was dafür geschehen muss und was die Bundesregierung tun soll. Marie-Luise Dött (CDU), Carsten Träger (SPD), Judith Skudelny (FDP), Steffi Lemke (Grüne) und Ralph Lenkert (Die Linke) geben teils ähnliche, teils sehr unterschiedliche Einschätzungen.

Hinweis: Die Antworten spiegeln den Stand der Diskussion zum jeweils aktuellen Zeitpunkt. Steffi Lemke, Carsten Träger und Ralph Lenkert haben die Fragen Mitte April beantwortet, Marie-Luise Dött Mitte Mai und Judith Skudelny Anfang Juni.

Judith Skudelny, Generalsekretärin der FDP Baden-Württemberg, spricht beim Digitalen Landeshauptausschuss der FDP Baden-Württemberg im CongressCentrum Pforzheim.
„Die schönsten und hehresten Ziele bringen nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden können. Der Fokus sollte deshalb auf ambitionierten, aber machbaren Zielen liegen, die die Belange aller Beteiligten berücksichtigt.“ Judith Skudelny ist umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion.

Wie beurteilen Sie den derzeitigen Stand und Fortschritt der Verhandlungen für die COP15?

Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin CDU/CSU Bundestagsfraktion:

Die Vorbereitungen der Verhandlungen verlaufen bedingt durch die Covid-19-Pandemie verzögert. Die zur Vorbereitung eingesetzten Unterarbeitsgruppen tagen nach aktuellem Stand in virtuellen Sitzungen. Bereits in den vergangenen Monaten hatte es informelle virtuelle Sitzungen gegeben. Insoweit denke ich, dass die Vorbereitungen unter diesen schwierigen Umständen funktionieren. Die dritte Sitzung der Arbeitsgruppe zur Erarbeitung des neuen globalen Rahmens wurde auf den 2. bis 7. August 2021 in Cali, Kolumbien, gelegt. Allerdings ist weiterhin fraglich, ob die COP15 wie geplant stattfinden kann. Das hängt vor allem vom weiteren Pandemie-Geschehen ab. Im Rahmen der EU-Trio-Ratspräsidentschaft unterstützt Deutschland Portugal und insbesondere Slowenien bei der Vorbereitung und EU-Koordinierungsaufgaben der Sitzungen.

Steffi Lemke, Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Naturschutzpolitik Fraktion Bündnis 90/Grüne):

Pandemiebedingt sind die Verhandlungen ins Stocken geraten. Die wiederholte Verschiebung der Vertragsstaatenkonferenz auf den Oktober war deshalb unbedingt erforderlich. Sorge bereitet mir, dass auch die Fachausschüsse bisher keine richtigen Verhandlungen führen konnten. Das gefährdet letztlich auch die ausreichende Teilhabe aller Akteure. Es ist wichtig, dass Termine der Ausschüsse Anfang dieser Woche endlich terminiert wurden und diese ihre Arbeit wieder aufnehmen. Ohne eine Definition der Indikatoren und Umsetzungskriterien durch die Fachausschüsse ist auch eine Verabschiedung des neuen Rahmenwerks mit starken Zielvereinbarungen weniger wert.

Carsten Träger, umweltpolitischer Sprecher SPD-Bundestagsfraktion:

Seit der coronabedingten Verschiebung der COP15 auf Oktober 2021 laufen die Verhandlungen leider nur sehr schleppend und bisher nur auf Arbeitsebene. Viele Mitgliedsstaaten aus Entwicklungsländern haben technische Probleme mit virtuellen Sitzungen und nehmen gar nicht teil. Die Sitzungen sind zu kurz und technisch anfällig. Bisher tagen nur zwei Unterarbeitsgruppen – zum globalen Biodiversitätsrahmen (Strategieplan für 2021 – 2030, Global Biodiversity Framework, GBF) und zur Überprüfung der Fortschritte bei der Umsetzung der Beschlüsse der letzten COP (Subsidiary Body on Implementation, SBI). Dabei ist das Thema so dringend, dass es nicht weiter verschleppt werden darf.

Judith Skudelny, umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion:

Ich möchte als allererstes darauf hinweisen, dass wir als Abgeordnete im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages nicht durch die Bundesregierung über die Verhandlungen und Pläne der Bundesregierung unterrichtet werden. Das halte ich für fragwürdig. Deshalb habe ich um einen Bericht des Bundesumweltministeriums gebeten.

Offensichtlich geht es nun in die heiße Phase. (Judith Skudelny, FDP)

Durch die fortgesetzte pandemische Lage und die Umstellung auf digitale Formate kommen die Verhandlungen der CBD COP15 nur schleppend voran. Natürlich bringt diese Umstellung Vor- und Nachteile mit sich. Allerdings finde ich es schon bemerkenswert, wie schnell sich Unternehmen auf die neue Situation eingestellt haben und die Vorteile für sich zu nutzen wussten, während bei Verhandlungen zwischen Staaten oder auch der Ablauf im Bundestag sehr lange stockend war. Offensichtlich geht es nun aber in die heiße Phase und ich hoffe, dass die Konferenz im Herbst 2021 tatsächlich stattfinden kann.

Ralph Lenkert, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke:

Da wir als Oppositionspartei nicht unmittelbar in den Verhandlungsprozess einbezogen sind, bekommen wir vor allem Informationen von der Bundesregierung und der Zivilgesellschaft, daher können wir keine unmittelbaren Auskünfte geben. Die Ausführungen der Bundesregierung lassen vermuten, dass der Verhandlungsprozess sehr zäh ist und durch die Pandemie zusätzlich erschwert wird. Bisher scheint es also noch keinerlei Einigungen zu geben, die verkündet werden könnten.

15.05.2018, Berlin: Marie-Luise Dött (CDU) spricht bei der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Hauptthemen der 31. Sitzung der 19. Legislaturperiode sind der Bundeshaushalt 2018, die Finanzplanung des Bundes für die Jahre 2017 bis 2021 sowie einzelne Ressort-Etats. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
„Der neue Biodiversitätsrahmen muss eine wirksamere und entschiedenere Umsetzung der ambitionierten Biodiversitätsziele ermöglichen: global, national und lokal.“ Marie-Luise Dött ist umweltpolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion.

Was muss als Minimum bei den Verhandlungen herauskommen?

Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Der Schwerpunkt Deutschlands bei der CBD COP15 liegt auf der Verabschiedung eines ambitionierten globalen Rahmens für die biologische Vielfalt für die Zeit nach 2020, dem sogenannten „post-2020 Global Biodiversity Framework“. Der offizielle erste Entwurf des neuen globalen Rahmens wird auf der Sitzung der Unterarbeitsgruppe im August in Kolumbien verhandelt werden.

In Anbetracht des dramatischen Biodiversitätsverlustes weltweit brauchen wir globale nutzbare Instrumente, die den Rückgang der biologischen Vielfalt aufhalten. Neben anspruchsvollen und vor allem auch messbaren neuen Zielen muss auch die Umsetzung verbessert werden. Dazu sind starke Umsetzungsmechanismen, Pandemieprävention durch Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen sowie die nachhaltige Nutzung biologischer Vielfalt, insbesondere in Verbindung mit biodiversitätsfreundlicher ökonomischer Wiederbelebung, von herausragender Bedeutung.

Steffi Lemke (Grüne): Der bisherige strategische Plan des Übereinkommens für Biologische Vielfalt und die völkerrechtlich vereinbarten Biodiversitätsziele (Aichi Targets) waren ambitioniert und ausgesprochen gut. Bei erfolgreicher Umsetzung wären sie ausreichend gewesen, um das Artensterben zu stoppen und die Widerstandsfähigkeit unserer Natur zum Beispiel gegenüber der Klimakrise zu erhöhen.

Es braucht keine neuen, noch ambitionierteren Ziele, sondern einen verbindlichen Weg zur Umsetzung. (Steffi Lemke, Grüne)

Doch die Umsetzung dieser Ziele ist in allen Bereichen gescheitert – ein Armutszeugnis für die Staatengemeinschaft und auch für die Kanzlerschaft von Angela Merkel. Deshalb muss sich die CBD endlich für eine Umsetzungsoffensive stark machen. Es braucht keine neuen, noch ambitionierteren Ziele, sondern einen verbindlichen Weg zur Umsetzung der aktualisierten Zielvereinbarungen, sowie die Verankerung von Biodiversitätsschutz als ernstzunehmendes Querschnittsthema in allen Politikbereichen. Sehr kritisch sehe ich deshalb auch den Trend hin zu freiwilligen Verpflichtungen der Staaten – auf dieses politische Spiel dürfen wir uns nicht einlassen.

Carsten Träger (SPD): Es muss ein ambitionierter globaler Rahmen für Biodiversität nach 2020 bei den Verhandlungen herauskommen. Trotz Corona muss das gelingen.

Judith Skudelny (FDP): Das Wichtigste ist, dass endlich messbare Ziele vereinbart und diese durch regelmäßiges Monitoring überprüft werden. Nur so kann man feststellen, ob die eingeschlagenen Wege auch zum gewünschten Ziel führen – oder ob gegebenenfalls nachgesteuert werden muss.

Man muss sich ins Bewusstsein rufen, dass kein einziges Ziel der CBD bisher erreicht wurde. Die neuen Ziele sollen nun mindestens so ambitioniert wie die bisherigen Ziele sein. Mir ist wichtig, dass die neuen Ziele realisierbar sind und auch erreicht werden. Lieber mit kleinen Schritten zum Ziel, als mit großen Ambitionen regelmäßig scheitern und Zeit vergeuden.

In Deutschland sollten die Ziele des Übereinkommens über biologische Vielfalt (CBD) in der Nationalen Strategie biologische Vielfalt umgesetzt werden. Hier zeigt sich genau das gleiche Problem: Diese Strategie stammt aus dem Jahr 2007. Klar ist, dass Naturschutzmaßnahmen Zeit brauchen, aber bei vielen Indikatoren hat sich keine Verbesserung in den letzten fast 15 Jahren eingestellt. Bei anderen Indikatoren liegen keine aktuellen Daten vor oder der Status kann nicht bestimmt werden, weil keine messbaren Ziele hinterlegt sind. Durch ein regelmäßiges Monitoring hätte man früher gegensteuern können. Außerdem bleiben wichtige Entwicklungen wie die Fridays-for-Future-Bewegung unberücksichtigt. Eine Überarbeitung ist also dringend notwendig.

Ralph Lenkert (Linke): Das Minimum sollte sein, dass man sich ehrlich macht und damit aufhört, die Ergebnisse jedes Gipfels zum Durchbruch zu erklären. Wir brauchen verbindliche Ziele und verbindliche Absprachen darüber, wie damit umgegangen werden soll, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Problematisch ist natürlich, dass die notwendigen ökonomischen Veränderungen ausgeklammert werden und wir einen erheblichen strukturellen Machtunterschied zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden haben, der dem Norden erheblich mehr Einfluss auf Verhandlungsergebnisse gibt.

Steffi Lemke, Abgeordnete von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, aufgenommen während der Klausur der Grünen-Bundestagsfraktion. Themen der Herbstklausur sollen Klimakrise, wirtschaftliche Transformation, gesellschaftliche Lage, Rolle Europas und Gefahr des rechten Terrors in Deutschland sein.
Mit Steffi Lemke wird eine seit vielen Jahren in der Naturschutzpolitik aktive Fachfrau neue Umweltministerin.

Wo sehen Sie die derzeit die wichtigsten Knackpunkte?

Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Der neue Biodiversitätsrahmen muss eine wirksamere und entschiedenere Umsetzung der ambitionierten Biodiversitätsziele ermöglichen: global, national und lokal. Es muss gelingen, Naturzerstörungen zu reduzieren und bereits geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen.

Zudem muss der neue Rahmen notwendige Maßnahmen liefern, die das Risiko zukünftiger Pandemien reduzieren, welche durch menschliches Eingreifen in natürliche Ökosysteme entstehen können. Und es geht auch dringend darum, notwendige Leitplanken für wirtschaftliches Handeln und eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung gegenüber der Natur zu setzen. Dazu zählt, dass der langfristige Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt Leitprinzipien für das globale wirtschaftliche und gesellschaftliche Handeln werden. Hier werden sicher die unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Ausgangspositionen der Staaten zu diskutieren sein.

Steffi Lemke (Grüne): Wir laufen auf die Situation zu, dass wir ähnlich wie auf der Vertragsstaatenkonferenz im Jahr 2010 eine Konfliktlinie zwischen dem Industrienationen und den sogenannten Ländern des „globalen Südens“ erwarten müssen. Dabei geht es vor allem um Forderungen zur Unterschutzstellung von 30 Prozent der Erd- und Meeresfläche, sowie finanziellen Zusagen zum Schutz der Natur und dem Mechanismus zum gerechten Vorteilsausgleich. Es ist äußerst misslich, dass diese Konfliktlinien bisher nicht bereits stärker adressiert wurden und uns am Ende wieder ein nervenaufreibender Verhandlungs-Showdown droht.

Die finanziellen Zusagen an die Länder des „globalen Südens“ müssen unbedingt erhöht werden, um weltweite Unterstützung für das wichtige Ziel 30 Prozent der Erde zu schützen zu erhalten. Bei der konkreten Umsetzung muss dann aber auch sichergestellt werden, dass Schutzgebiete in Zusammenarbeit mit lokalen Bevölkerungen und der nachhaltigen Nutzung implementiert werden. Und nicht zu vergessen, dass auch die europäischen Schutzgebiete endlich einen Beitrag leisten müssen. Bisher gibt es in Europa und Deutschland zu wenig wirksam geschützte Flächen. Sorgen bereiten mir außerdem Länder wie Brasilien unter Präsident Jair Bolsonaro, der jede Gelegenheit nutzt, um die Ziele der CBD zu unterwandern oder diese auch öffentlich anzugreifen.

Carsten Träger (SPD): Leider ist ausgerechnet die Ambitioniertheit des globalen Rahmens der Knackpunkt. Einige Mitgliedsstaaten, wie zum Beispiel Brasilien oder auch einige osteuropäische Staaten, zeigen leider bisher kein Interesse an ambitionierten Biodiversitätszielen und – beschlüssen. Dazu kommen noch die fehlenden finanziellen und digitalen Ressourcen.

Judith Skudelny (FDP): Der Fokus sollte auf der Messbarkeit der vereinbarten Ziele und deren Umsetzung liegen. Bei der Festsetzung der Ziele müssen alle Interessen berücksichtigt werden. Eine Akzeptanz für notwendige Maßnahmen erreicht man nicht durch Verbote. Die besten Lösungen erreicht man nicht über vorgezeichnete Wege. Gerade was die Finanzierung von Naturschutzmaßnahmen oder Renaturierungsplänen angeht, gibt es noch großen Spielraum. Einerseits hat die EU sich selbst eine ambitionierte Biodiversitätsstrategie aufgelegt, andererseits scheint die neue Gemeinsame Agrarpolitik der EU dem nicht ausreichend Rechnung zu tragen.

Wir sollten das vorhandene Fachwissen von Landwirten nutzen und diese dafür anständig entlohnen. Es muss ein gemeinsamer Weg für Naturschutz und die Nutzung unserer Flächen in Deutschland gefunden werden. Nach Angaben der Bundesregierung ist eine biodiversitätsfreundliche ökonomische Wiederbelebung nach der Corona-Pandemie von besonderer Bedeutung. Ich wünsche mir, dass dabei der ökonomische Teil der Wiederbelebung nicht auf der Strecke bleibt. Denn eine starke Wirtschaft schafft die Ressourcen, um einen effektiven Umweltschutz durchzusetzen und zu finanzieren. Nachhaltigkeit verbindet für mich gleichberechtigt soziale, ökologische und ökonomische Aspekte in einem Zieldreieck.

Ralph Lenkert (Linke): Die wesentlichen Knackpunkte sind die Sicherung der Verbindlichkeit, eine gemeinsame Anerkennung von Daten über die Entwicklung von Populationen und natürlich – wie immer – die Finanzierung.

Carsten Träger (SPD), Mitglied des Deutschen Bundestages, spricht zur Globalen Klimagerechtigkeit. Die Hauptthemen der 135. Sitzung der 19. Legislaturperiode sind Änderung des Waffenrechts und eine Aktuelle Stunde zur «schwarzen Null».
„Wir brauchen Naturschutz in allen Politikbereichen, insbesondere bei der Agrarpolitik.“ Carsten Träger ist umweltpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Was muss die Bundesregierung tun, um der COP15 zum Erfolg zu verhelfen?

Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Wir werden weiter an der Umsetzung unserer nationalen Biodiversitätsziele arbeiten. Nur wer selbst Vorbild ist, kann andere überzeugen. Allerdings haben wir noch einiges zu tun. Zudem ist es wichtig, andere Staaten beim Schutz der Biodiversität zu unterstützen. Hier hat Deutschland bereits viel geleistet. Und wir werden auch nicht nachlassen. Allerdings gehören zu einer gegenseitigen Unterstützung auch klare und ambitionierte Ziele und ein verlässliches Monitoring.

Steffi Lemke (Grüne): Die Bundesregierung hatte während der EU-Ratspräsidentschaft die großartige Möglichkeit, ihren Einfluss geltend zu machen und eine starke EU-Positionierung voranzutreiben. Leider haben sich diese Hoffnungen der europäischen Zivilgesellschaft nicht bestätigt. Deutschland hat sich hier nicht als Champion für Biodiversität hervorgetan. Es ist außerdem sehr unglücklich, dass die Vertragsstaatenkonferenz aller Voraussicht nach in die Übergangsphase nach der Bundestagswahl fallen wird. Hier wird die neu gewählte Bundesregierung noch kaum Einfluss üben können. Um die Verhandlungen zum Erfolg zu führen, wäre es wichtig wenn die Bundesregierung ihr Engagement ausbaut und insbesondere bei Konfliktstarken Themen wie zum Beispiel dem gerechten Vorteilsausgleich versucht Lösungen voranzutreiben.

Carsten Träger (SPD): Die Bundesregierung muss weiter zusammen mit den EU-Mitgliedsstaaten für einen ambitionierten globalen Rahmen kämpfen. Das ist schon schwierig genug, aber ein geschlossenes europäisches Auftreten wäre ein starkes Signal, zumal so ja bereits einige Kritiker überzeugt wären. Wie so oft liegt ein Schlüssel des Erfolges in Europa.

Judith Skudelny (FDP): Ich habe das Gefühl, dass viele auf einen Paris-Moment für die biologische Vielfalt hoffen. Viel zu oft liegt der Fokus meiner Meinung nach auf Klima. Deshalb betone ich immer wieder, dass Umweltschutz mindestens genauso wichtig wie Klimaschutz ist. Denn beides hängt zusammen und bedingt sich gegenseitig. Die Bundesregierung sollte sich aktiv in die Verhandlungen einbringen, um messbare Ziele festzulegen. Dabei sollte Spielraum bei den Wegen zur Erreichung dieser Ziele eingeräumt werden. Jedes Land, jede Region hat spezifische Voraussetzungen. Es ist wichtig, dass die CBD COP15 alle Regionen mitnimmt. Die Hotspots der Artenvielfalt brauchen besondere Aufmerksamkeit. Der Schutz der Biodiversität ist regionaler als der des Klimas.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Schulterschluss zwischen Klima- und Umweltschutz. Ein Beispiel ist der Umstieg auf Erneuerbare Energien. Um den Energiebedarf zu decken, braucht es mehr Windkraftanlagen. Gerade am Land sinkt die Akzeptanz der Anwohner und Einwände von Naturschützern werden immer lauter. Aber auch draußen auf dem Meer kommt es zu Konflikten zwischen Naturschutz und der Nutzung Erneuerbarer Energien. Die Bundesregierung sollte als Vermittler auftreten. Gerade Staaten mit reicher Artenvielfalt und instabilen oder autoritären Regierungen, beispielsweise im Tropengürtel, sollte proaktiv der Dialog angeboten werden, um die Belange zum Schutz der Biodiversität zu stärken.

Es ist wichtig, dass Deutschland als Mitglied der High Ambition Coalition sich nicht zu einer überlegenden Haltung gegenüber anderen Staaten, die nicht die gleichen Möglichkeiten für Klima- und Umweltschutzmaßnahmen haben, hinreißen lässt. Denn es braucht eine globale Lösung, die alle mitnimmt. Der Grat zwischen Vorbild und Klassenstreber ist schmal. Genau wie die Corona-Pandemie sind die Belange von Klima- und Umweltschutz nur global zu lösen.

Ralph Lenkert (Linke): Wer eine globale Führungsrolle übernehmen will, der tut dies auf der Grundlage eines Erfolgsmodells mit Strahlkraft oder er setzt sich gegen andere durch – oder erkauft sich das mit Geldzahlungen. Wir finden es sehr unglaubwürdig, dass es der Regierung im eigenen Land nicht gelingt, die Ziele einzuhalten, zu denen man sich international verpflichtet hat. Die Glaubwürdigkeit ist die Basis für internationales Handeln, dazu kommen muss Solidarität. Wir müssen als Weltgemeinschaft die Konflikte offen ansprechen. Mit den bisherigen Strukturen und Prozessen kommen wir da nicht mehr weiter. Die Krise, in der wir uns als Menschheit gebracht haben, ist zu gefährlich und zu dringend, als dass wir weiter dieses Spiel von schöne Ziele setzen, alles Schönreden und wenig erreichen weiter leisten könnten.

Ralph Lenkert (Die Linke), Bundestagsabgeordneter, aufgenommen am Rande der Landesvertreterversammlung der Thüringer Linken mit der Wahl der Bundestags-Kandidatenliste. Lenkert bewirbt sich für den zweiten Platz der Bundestags-Kandidatenliste.
„Es ist national ähnlich wie auf internationaler Ebene. Wir brauchen Verbindlichkeit, wenn Ziele gesetzt werden, müssen sie mit angemessenen Maßnahmen angesteuert werden.“ Ralph Lenkert ist umweltpolitischer Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion.

Was kann und soll Deutschland insgesamt für den internationalen Naturschutz tun?

Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Deutschland hat die Aufgabe, die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) von 2007 zu aktualisieren und zu modernisieren. Der neue globale Rahmen für die biologische Vielfalt für die Zeit nach 2020 wird ein neues Ziel- und Umsetzungssystem haben, an das die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt angepasst werden muss. Daher ist eine Weiterentwicklung der NBS mit konkreten Zielen und Maßnahmen für die Zeit nach 2020 geplant. Und es geht natürlich darum, diese dann auch umzusetzen. Weitere nationale Projekte werden wir im Lichte des neuen globalen Rahmens diskutieren. Dann wird absehbar sein, welche weiteren konkreten Umsetzungsschritte notwendig sind und wie diese in Deutschland angegangen werden.

Steffi Lemke (Grüne): Ein wichtiger Knackpunkt ist die internationale Naturschutzfinanzierung. Deutschland ist hier durch die Projekte der internationalen Klimaschutzinitiative oder des Blue Action Fund bereits gut aufgestellt. Doch mit dem Ziel 30 Prozent der Erd- und Meeresoberfläche bis 2030 unter Schutz zu stellen, muss auch das finanzielle Engagement der Bundesregierung ausgebaut werden. Wir fordern deshalb 1 Milliarde Euro neue Gelder für den internationalen Schutz der Biodiversität. Darüber hinaus muss die Bundesregierung ihr diplomatisches Engagement erhöhen und weitere Industrienationen davon überzeugen ähnliche finanzielle Verpflichtungen einzugehen.

Carsten Träger (SPD): Bundesumweltministerium und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fördern viele Projekte im Ausland. Das Spektrum reicht von der Bekämpfung der Wilderei bis zur Förderung der Biodiversität im Ausland, insbesondere Waldschutz. Deutschland sollte auf jeden Fall diese Projekte fortsetzen. Innerhalb Europas brauchen wir eine andere Agrarpolitik, die öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen ausgibt; also keine Flächenprämien, sondern Finanzierung von Natur-, Gewässer-, Klima- und Tierschutz.

Judith Skudelny (FDP): Sinnvoll ist die Vernetzung von Biotopen und Naturschutzgebieten, so wie das mit Natura2000 auch angestrebt wird. Bestehende Schutzgebiete sind oft noch nicht miteinander verbunden. Durch diese Vernetzung, im Kleinen wie im Großen, können die unterschiedlichen, teilweise auch konkurrierenden Interessen des Natur- und Umweltschutzes, der Landwirtschaft und der Bevölkerung in Form von Transportwege und Wohnflächen vereint werden.

Ralph Lenkert (Linke): Um eine breite Unterstützung der Bevölkerung für die anstehenden notwendigen großen Transformationen zu bekommen, muss das Problembewusstsein geschärft werden. Schließlich ist es bisher nur einer sehr interessierten Minderheit bewusst, dass die Entwicklung des Artensterbens so dramatisch ist wie der Klimawandel. Auch wichtig ist es, Lieferketten transparent zu machen und auf Grundlage der Informationen gezielt Einfluss in Richtung Ressourcenschonung und sozialer Gerechtigkeit zu nehmen. Und Deutschland muss seine Zusagen zur Entwicklungshilfe nicht nur einhalten, sondern auch deutlich aufstocken. Das gleiche gilt für die Unterstützung von internationalen Naturschutzprojekten.

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Was sollte die Bundesregierung bei der COP15 für den Naturschutz in Deutschland zusagen?

Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Deutschland sollte deutlich machen, dass die Umsetzung unserer Nationalen Biodiversitätsstrategie der Maßstab unseres Handelns ist. Und wir sollten auch sagen, dass es auch bei uns durchaus Probleme bei der Umsetzung gibt. Diese gilt es allerdings nicht zu akzeptieren, sondern es gilt Wege zu finden, sie zu lösen. Diese Wege sollten wir auch künftig gemeinsam mit allen Beteiligten diskutieren und dann auch konsequent gehen.

Steffi Lemke (Grüne): Der Natur- und Biodiversitätsschutz in Deutschland ist in den letzten 10 Jahren gescheitert. Wenigen Erfolgen stehen riesige Rückschritte oder verpasste Chancen gegenüber. Die Posse um das nicht verabschiedete Insektenschutzgesetz oder das Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichteinhaltung der EU Naturschutzrichtlinien sind hier beispielhaft. Auch die Zustandsberichte unserer Natur sprechen eine eindeutige Sprache. Mit der Verabschiedung des neuen globalen Abkommens zum Schutz unserer Natur, muss deshalb auch in der deutschen Biodiversitätspolitik endlich eine Wende eintreten. Konkret fordern wir Grüne deshalb ein Nothilfe-Programm für die Natur, welches die Umsetzung einer neuen Biodiversitäts-Strategie anpacken soll. Außerdem planen wir massive Investitionen in die Wiederherstellung unserer Natur. 10 Prozent der Gelder des Energie- und Klimafonds sollen zukünftig in die Renaturierung von Flächen und natürlichen Klimaschutz investiert werden. Ein solches Programm wäre auch als Signal an die Vertragsstaaten der CBD zu verstehen und ein positives Beispiel für effektive Naturschutzfinanzierung.

Carsten Träger (SPD): Das lässt sich noch nicht sagen, da noch keine konkreten abgestimmten Papiere auf den Tisch liegen. Unabhängig von der COP15 sollten wir in Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Wir brauchen Naturschutz in allen Politikbereichen, insbesondere bei der Agrarpolitik. Konservativer Naturschutz reicht nicht, wir müssen Moore und Auen wiederherstellen, mehr Wildnis schaffen und auch die Behörden personell und finanziell besser ausstatten.

Judith Skudelny (FDP): Renaturierung von Ökosystemen sollte zukünftig eine wichtigere Rolle spielen – besonders vor dem Hintergrund, dass dieses Jahr die UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen beginnt. Außerdem glaube ich, dass es mehr qualifiziertes Personal in Entscheidungspositionen mit verschiedenen Ausbildungshintergründen braucht. Auch sollte die interdisziplinäre Ausbildung und Forschung zwischen Landwirtschaft und Umweltwissenschaften gestärkt werden. Nur so erreicht man eine gemeinsame Sprache und kann die besten Lösungen finden. Zur Bewertung vieler Ziele in der Nationalen Strategie biologische Vielfalt fehlen Daten. Ein flächendeckendes Monitoring, um die Wirksamkeit von Maßnahmen qualifiziert bewerten zu können, sind notwendig.

Die schönsten und hehrsten Ziele bringen nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden können. Der Fokus sollte deshalb auf ambitionierten, aber machbaren Zielen liegen, die die Belange aller Beteiligten berücksichtigt. Denn Umweltschutz geht nur miteinander. Das ist auch die Quintessenz aus den vielen Gesprächen, die ich als umweltpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion mit Umweltverbänden und Naturschutzorganisationen führe. Eine Unterschutzstellung großer Teile Deutschlands wird am Ende nur dazu führen, dass die Lebensmittelproduktion in andere Länder verlagert wird. Die Fläche wird gebraucht, egal wo. Deshalb halte ich es für wichtig und zielführender, hierzulande einen guten Kompromiss zu finden.

Ralph Lenkert (Linke): Es ist national ähnlich wie auf internationaler Ebene. Wir brauchen Verbindlichkeit, wenn Ziele gesetzt werden, müssen sie mit angemessenen Maßnahmen angesteuert werden. Ist eine fehlende Zielerreichung absehbar, müssen die Instrumente entsprechend angepasst oder verschärft werden. Ein solcher aktiver Steuerungsmechanismus fehlt. Zusätzlich brauchen wir eine Verpflichtung aller betroffenen Ressorts. Also beispielsweise müssen Energie, Landwirtschaft und Verkehr auch aktiv daran mitwirken, wirkungsvollen Artenschutz zu betreiben. Deutschland sollte sich verpflichten, 20 Prozent seiner Flüsse barrierefrei zu gestalten, um die europäischen Wanderfischarten zu stärken und 30 Prozent einer Meeresflächen unter Schutz zu stellen und in Summe 10% komplett aus der Bewirtschaftung nehmen.

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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