„Ich nenne sie die Inaktivisten“

Michael Mann über die neuen Strategien der Klimawandelleugner

12 Minuten
Die Erdkugel steht hier freigestellt auf weißem Grund links vorn. Dahinter, immer kleiner werdend und einander teilweise verdeckend sind Kugeln angeordnet, die immer mehr rot eingefärbt sind.

Der US-Klimaforscher Michael Mann ist berühmt geworden mit der sogenannten Hockeystick-Grafik, in der er die Temperaturentwicklung der Erde seit dem Jahr 1000 und die plötzliche Erhitzung seit Beginn der Industrialisierung rekonstruierte. Sie hat ihn aber auch in den politischen Mahlstrom seines Landes katapultiert: Er wurde angegriffen und bedroht und kann darum viel über die Aktivitäten der Klimawandelleugner berichten. In seinem neuesten Buch beschreibt er deren jüngsten Strategiewechsel; Statt die Existenz des menschengemachten Klimawandels platt zu bestreiten, versuchen sie die nötigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel auf andere Weise zu hintertreiben.

Herr Mann, Sie scheinen eine Vorliebe für englische Wörter mit D zu haben. Ein früheres Buch, „Der Tollhauseffekt", handelte von denial, also dem Leugnen der Klimakrise, in all seinen Formen. Dann ging es um discrediting, also das Unglaubwürdig- und Verächtlichmachen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, das Sie auch selbst erfahren haben. Im neuen Buch heben Sie nun mindestens fünf weitere Wörter mit D hervor.

Ja, da haben Sie wohl recht. Es sind downplaying, delay, deflection, division und despair-mongering.

Schade, dass keines davon eine deutsche Übersetzung mit einem D am Anfang hat.

Aber Dummheit hat eines, das passt doch irgendwie auch dazu.

Das stimmt. Die anderen fünf stehen für herunterspielen, verzögern, ablenken, spalten und Hoffnungslosigkeit verbreiten. Was steckt dahinter?

Mein Buch handelt von einem Strategiewechsel bei den gesellschaftlichen Kräften, die weiterhin fossile Energien nutzen und vor allem uns verkaufen wollen. Ich nenne diese Kräfte die „Inaktivisten". Sie hören allmählich mit dem platten Leugnen des Klimawandels auf, weil das einfach nicht mehr glaubwürdig ist. Es kann doch jeder sehen, dass der Klimawandel nicht nur real, sondern längst da ist. Dazu muss man sich nur an das erinnern, was vor Kurzem in Texas passiert ist, oder an andere Extremwetterereignisse. Darum haben sich die Inaktivisten einer ganzen Reihe neuer Taktiken zugewandt. Ihnen ist es letztlich vollkommen egal, warum wir weiterhin von fossilen Brennstoffen abhängig bleiben – solange wir abhängig bleiben.

Wie genau gehen die Inaktivisten jetzt vor?

Sie spielen das Problem immer noch herunter und versuchen, den Einstieg in die nötige Transformation zu verzögern. Zudem bemühen sie sich, dem individuellen Verhalten der Menschen die größte Verantwortung für die Bewältigung auf die Klimakrise zuzuschieben. Damit lenken sie von den nötigen Veränderungen auf der systemischen Ebene ab und versuchen, die Klimabewegung zu spalten. Und dann gibt es die Taktik, uns einzureden, dass es zu spät sei, dass es keine Hoffnung mehr gebe, etwas gegen die Probleme zu tun. Das kann uns auf den gleichen Pfad des Nicht-Handelns lenken wie das unverblümte Leugnen. Denn mit jedem weiteren Jahr, in dem wir unsere Energie vor allem aus fossilen Quellen beziehen, machen die Inaktivisten Milliarden US-Dollar Profite.

Schauen wir uns einige der Methoden genauer an: Wie funktioniert das Ablenken?

Die Inaktivisten geben den einzelnen Menschen die Schuld an der Klimakrise. Ganz nach dem Motto: Ihr wollt doch all diese Produkte kaufen, Ihr schafft es doch nicht, euch einzuschränken. Das lenkt unsere Aufmerksamkeit auf unseren privaten CO2-Fußabdruck, nicht auf den der Konzerne. Das Konzept stammt übrigens von einer Ölfirma, British Petroleum. Sie hat Anfang der 2000er-Jahre ein Berechnungsverfahren für diesen Fußabdruck entwickelt und vorgestellt.

Vorher gab es ja schon den ökologischen Fußabdruck, der tatsächlich in verbrauchter Fläche gemessen wird.

Der Fußabdruck von BP erfasst den Ausstoß von Treibhausgasen in Tonnen CO2-Aquivalenten. Damit wollte sich der Konzern ein neues Image geben und seine Abkürzung von British Petroleum zu Beyond Petroleum – also jenseits des Erdöls – umdefinieren.

Gibt es denn Belege, dass die Industrie mit ihrer Ablenkungstaktik durchkommt?

So ganz kann man das noch nicht beurteilen, weil die Kampagne erst seit Kurzem läuft, aber sie hat erstaunliche Erfolge. Die New York Times zum Beispiel – das ist die für Liberale und Progressive in den USA vermutlich wichtigste Zeitung – hat früher oft über gemeinschaftliche Aktionen und politische Ziele geschrieben. Aber dann handelten sehr viele Artikel davon, was Einzelne tun können: die Ernährungsweise umstellen, nicht mehr so oft verreisen, Elektroautos kaufen. Viele der Botschaften über Lösungen für die Klimakrise konzentrieren sich inzwischen auf das individuelle Verhalten; es geht mittlerweile kaum noch um systemische Veränderungen.

Sie können doch aber kaum die New York Times beschuldigen, Lobbyismus für Ölfirmen zu betreiben.

Nein, aber es zeigt, wie erfolgreich die Kampagne zum Umlenken der Verantwortung schon gewesen ist.

Existiert ein Widerspruch zwischen Änderungen im individuellen Verhalten und auf der Ebene des Systems von Gesetzen, Regeln und Standards?

Nein, den gibt es nicht. Sie ergänzen sich und sind beide nötig. Wir alle sollten unser Verhalten überdenken und ändern. Alles, was unseren CO2-Fußabdruck verringert, spart auch Geld und macht uns gesünder. Wir sind zufriedener mit uns selbst und geben anderen ein gutes Beispiel. Ich versuche auch, meinen Anteil dazu beizutragen: Unser Stromtarif zu Hause garantiert, dass die Elektrizität nur von Windkraftanlagen kommt. Wir haben ein Plug-in-Hybrid-Auto, ich esse kein Fleisch, weil auch meine Tochter keines isst.

Jetzt werben Sie aber selbst für individuelle Verhaltensänderungen.

Das ist ja auch wichtig! Aber wir dürfen es auf keinen Fall zulassen, dass solche Veränderungen als einzige Lösungsmöglichkeit dargestellt werden, und dadurch die nötigen systemischen Veränderungen aus dem Blickfeld verlieren.

Besteht diese Gefahr wirklich?

Es gibt da leicht widersprüchliche Erkenntnisse aus den Sozialwissenschaften. Zum einen: Wenn man mit kleinen Dingen anfängt, kommt man auf einen Pfad immer wachsenden Engagements. Man tut mehr und fragt sich: Was kann ich denn noch tun? Zum anderen: Wenn man sich auf das eigene Verhalten konzentriert, kann das die emotionale Energie verbrauchen, die man eigentlich für systemische Veränderungen benötigt. Wer also das Gefühl hat, persönlich schon ganz viel gegen die Klimakrise zu tun, dann aber zusätzlich noch eine CO2-Steuer bezahlen soll, könnte sich schon fragen, ob das wirklich gerechtfertigt ist. Wir müssen also vorsichtig sein, denn wir brauchen beides: das veränderte Verhalten und veränderte Gesetze. Wir sollten es so darstellen, dass sie sich ergänzen, nicht gegenseitig ausschließen.

Eigentlich könnte man doch auch denken, dass die Leute ein Gefühl für Fairness entwickeln: Ich leiste meinen Beitrag, jetzt ist als Nächstes die Industrie dran. Warum funktioniert das so nicht?

Ich bin leider kein Psychologe. Aber was passiert, hängt in diesen Fällen oft sehr stark von der genauen Ausdrucksweise ab, vom Framing. In welchen Bedeutungszusammenhang rücken wir ein Verhalten oder eine Forderung mit unserer Formulierung? Die Industrie ist gewohnt, auf solche Dinge zu achten. Die Unternehmen bilden ihre Fokusgruppen und führen Umfragen durch und haben so erkannt, dass die Unterstützung für die systemischen politischen Veränderungen, die sie verhindern wollen, genau dann sinkt, wenn sie die individuelle Verantwortung sehr stark betonen.

Ist das Ablenken eine neue Strategie der Industrie?

Nein, sie ist jahrzehntealt und bewährt. Als ich ein Junge war, gab es in den USA einen berühmten Werbespot, der The Crying Indian hieß – so würde man es heute nicht mehr sagen, sondern vom weinenden Native American sprechen. Tatsächlich war es übrigens ein italienischstämmiger Schauspieler, und das war noch die geringste der Täuschungen.

Bei uns gab es berühmte Filme um den Apachen-Häuptling Winnetou, der von einem Franzosen gespielt wurde. Aber worin bestand die Täuschung bei dem Werbespot?

Er nutzte damals, in den USA der 1970er-Jahre, den Zeitgeist der Gesellschaft, die großen Respekt vor der Kultur der amerikanischen Ureinwohner hatte. Die Figur im Spot paddelt mit der Feder im Haar einen Fluss entlang. Im Wasser schwimmen Plastikflaschen und anderer Müll, und als er anlegt, wirft ihm jemand aus einem vorbeifahrenden Auto auch noch einen Müllbeutel vor die Füße. Der explodiert bei der Landung und verstreut seinen Inhalt. Und dann zoomte die Kamera auf das Gesicht des Mannes, und eine einzelne Träne läuft über seine Wange. Aus dem Off sagte eine Stimme: „Menschen fangen mit der Umweltverschmutzung an, Menschen können sie beenden."

Klingt sehr bewegend und effektiv.

Oh ja, wie ich fühlten sich viele junge Leute angesprochen und irgendwie aufgerufen, privat etwas zu tun. Aber wir haben lange nicht verstanden, dass man uns in die Irre geführt hatte. Die Kampagne war von einer New Yorker Agentur an der Madison Avenue (dem sprichwörtlichen Sitz der Werbebranche) entwickelt und von Coca-Cola und anderen Getränkeherstellern bezahlt worden. Sie wollten gesetzliche Regelungen verhindern, die ein Pfandsystem für Behälter einführen sollten. Das wäre eine systemische Lösung des Problems gewesen, hätte die Firmen aber einen Teil ihrer Profite gekostet.

Und – hat es geklappt?

Oh ja, viele waren überzeugt, dass wir keine neuen Regelungen brauchten. Wir müssten nur besser auf die Umwelt aufpassen! Bis heute gibt es nur in 13 der 50 US-Bundesstaaten Gesetze über ein Pfandsystem; es ist aussichtslos, eines auf Bundesebene verabschieden zu wollen. Und jetzt benutzt die fossile Energiewirtschaft genau dieses altbewährte Drehbuch: Sie lenkt uns von der Notwendigkeit ab, systemische Veränderungen anzustoßen, und macht stattdessen unser individuelles Verhalten zur eigentlichen Ursache für die Klimakrise.

Wenn ich Ihr Buch richtig verstehe, hat die Strategie der Ablenkung aus Sicht der Konzerne noch einige erwünschte Nebenwirkungen.

Oh ja, wenn das persönliche Verhalten in den Mittelpunkt rückt, löst dies Konflikte aus. Die Industrie wird gewinnen, wenn Klimaaktivisten miteinander streiten, mit dem Finger auf andere zeigen, sich gegenseitig für ihr Verhalten an den Pranger stellen. Solche Konflikte werden online von Trollen und Bots nach Kräften gefördert. Das ist die alte Teile-und-herrsche-Strategie.

Ob man fliegt oder Fleisch isst, wird dann zu einer Art Reinheitstest. Wird jemand, der das noch tut, überhaupt noch ernst genommen in der Klimaszene?

Genau solche Zweifel versuchen die Inaktivisten zu nähren: Fox News und die rechtsgerichteten Medien stellen zum Beispiel Al Gore oder Leonardo DiCaprio als Heuchler dar und versuchen ihnen so die Glaubwürdigkeit als Botschafter der Veränderung zu nehmen.

Sind die beiden denn nun Heuchler?

Nein, auf keinen Fall! Sie propagieren ja beide nicht, dass man seinen eigenen Fußabdruck senken muss, indem man zum Beispiel zum Veganer wird und auf das Fliegen verzichtet. Sie kämpfen innerhalb ihres Lebens sehr effektiv für Wandel und eine Veränderung der öffentlichen Meinung. Als DiCaprio seine Dankesrede bei den Oscars fast komplett der Klimafrage widmete, gab es auf Twitter so viel Aktivität zum Thema Klimawandel wie nie zuvor.

Ist dann das persönliche Verhalten doch wieder egal?

Nein, aber da wird etwas vermischt, es gibt sozusagen eine versteckte Prämisse der Debatte: Tugendhaftes Verhalten wird stillschweigend zur Voraussetzung gemacht, dass man sich im Kampf gegen die Klimakrise überhaupt äußern darf, teilweise wird man sogar darauf reduziert – gerade, weil all das, was wir an den größeren Ursachen im System ändern müssen, so weit aus dem Blickfeld geraten ist. Wenn Sie Menschen fragen, wie sie gegen die Klimakrise vorgehen könnten, dann fällt ihnen eher ein, dass sie Vegetarier werden müssen, als bei der nächsten Wahl entsprechend abzustimmen und ihre Abgeordneten anzutreiben.

Geraten Leute wie Sie, die sich zum Beispiel aus wissenschaftlicher Perspektive zur Klimakrise äußern und für den politischen Kampf dagegen werben, in eine Zwickmühle? Immerhin haben auch Sie mir ja eben, ohne dass ich überhaupt danach gefragt habe, aufgezählt, wie Sie Ihr persönliches Verhalten geändert haben.

In der Tat. Wenn ich nicht bereit wäre, meinen Worten persönlich Taten folgen zu lassen, würde ich dafür angegriffen werden – was auch schon geschehen ist. Irgendein Klimawandelleugner hat mein Haus auf Google Earth gesucht und dann gepostet, ich hätte ja nicht einmal Solarzellen auf dem Dach. Er hatte zwar die falsche Adresse, aber es stimmt: Wir wohnen in einer bewaldeten Gegend und wir haben zu viel Schatten auf dem Grundstück. Darum der Windstrom-Tarif. Die Angriffe kamen aber auch von der anderen Seite. Aktivisten für Tierrechte oder vegane Ernährung kritisierten mich, wenn ich betont habe, wir dürften uns nicht nur auf das individuelle Verhalten konzentrieren. Das würde ich doch nur sagen, damit ich weiter die dicken Steaks essen könne. Und dann muss ich damit argumentieren, dass ich gar kein Fleisch esse und mich gegen die Spaltung der Aktivisten wende, die uns auf den falschen Weg bringt.

Sie müssen also auch erst Ihre Reinheit oder Untadeligkeit belegen, bevor man Ihnen zuhört?

Viele empfinden offenbar, dass das nötig sei, schrecken dann aber ihr Publikum ab, wenn sie die radikalen Änderungen im eigenen Leben aufzählen. Vielleicht meinten Sie das eben mit der Zwickmühle. Aber ich denke, das wird vor allem instrumentalisiert. Mein persönliches Verhalten spielt bei den allermeisten Interviews, die ich gebe, und Vorträgen, die ich halte, überhaupt keine Rolle. Es ist schon gut, die richtigen Signale zu senden und zu tun, was man kann. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass jemand diese Änderungen im Verhalten ausnutzt, um von den tatsächlich wirksamen Lösungen und nötigen Reformen auf systemischer Ebene abzulenken.

Was wären denn die systemischen Lösungen, die Ihnen vorschweben?

Die Idee ist, dass auf der Ebene der Gesetze die Veränderungen für uns sozusagen unsichtbar sind. Sie führt uns in die richtige Richtung, ob wir das nun verstehen oder nicht. Gerade Deutschland hat der Welt gezeigt, dass wir das schaffen können, dass wir diesen Weg beschreiten können. Zum Beispiel gibt es hier schon einen CO2-Preis …

… der viel zu niedrig ist …

… und Einspeisetarife für erneuerbare Energiequellen. Das führt die Menschen insgesamt in die richtige Richtung. Ich bin optimistisch, dass wir so etwas in den USA in den nächsten Jahren auch bekommen.

Die Veränderungen werden also zunächst die Energiewirtschaft betreffen?

Ja, es beginnt mit der Energie: Saubere Energie zu beziehen sollte billiger sein oder jedenfalls nicht mehr kosten, als bei der schmutzigen zu bleiben. Das wirkt dann als Preissignal, um das Klimasystem nicht weiter zu beschädigen. Ich glaube fest daran, dass Menschen die richtigen Entscheidungen treffen, wenn es einfach für sie ist.

Aber viele andere Reformen zielen auf den Verkehr, das Reisen, den Konsum, die Ernährung und die industrielle Landwirtschaft – und dann kommen die Veränderungen im Lebensstil doch auf diesem Weg zu den Menschen zurück. Was ist denn dann gewonnen?

Es wäre eine gefährliche Strategie, wenn es für viele Menschen zu sehr nach Verzicht und persönlichen Opfern klingt, die sie bringen müssen. Aber wir können mit Anreizen und Kompromissen arbeiten. Eine andere Ernährungsweise könnte für die Menschen preiswerter, gesünder und einfacher einzuhalten sein.

Trotzdem sind wir dann wieder beim persönlichen Verhalten.

Es gibt aber auch andere Hebel. Lassen Sie mich beim Beispiel Fleisch bleiben. Wir können die Haltungsbedingungen für den Viehbestand ändern, sodass die Tiere dabei helfen, Kohlenstoff im Boden zu binden – und Futtermittel benutzen, mit denen Kühe weniger Methan produzieren. Und wir müssen auch die Relationen betrachten: Wenn jeder und jede von uns einmal im Jahr ein Steak isst und ein paar Hamburger, dann ruinieren wir damit nicht das Klima. Rindfleisch ist für ungefähr drei Prozent aller Emissionen verantwortlich. Wenn es uns gelingt, das Energie- und Transportsystem auf grüne Energie umzustellen und wir gleichzeitig geschädigte Wälder wieder aufforsten und oder neu anlegen, dann kann die Natur die Treibhausgase aus der Viehwirtschaft locker aus der Atmosphäre ziehen. Wir dürfen nicht das Perfekte zum Feind des Guten werden lassen.

Links auf dem Cover ragt eine blaue Weltkugel von oben und eine braune von unten ins Bild, dazwischen steht der Titel: „Propagandaschlacht ums Klima“. Rechts blickt Michael Mann in die Kamera.
Cover der deutschen Ausgabe von Manns Buch und ein Portait des Autors

Das gilt ja womöglich auch für die Ziele und Handlungsoptionen der neuen US-Regierung. Wie sehen Sie die Situation in Ihrem Land? Fürchten Sie weiterhin, dass die Konzerne mit den ganzen D-Wörtern Erfolg haben?

Das Buch ist im August 2020 in Druck gegangen – da wussten wir alle noch nicht, was passieren würde. Ich habe durchaus damit gerechnet, dass wir in Joe Biden wieder einen demokratischen Präsidenten haben werden. Aber jetzt sehen wir, dass der Kongress praktisch in der Mitte gespalten ist. Ich glaube daher nicht, dass wir weitreichende Reformen bekommen, die an die Vorschläge eines Green New Deal heranreichen (ein von progressiven Demokraten verfochtenes, großes nationales Programm, um Infrastruktur und soziale Verhältnisse klimafreundlich neu zu gestalten, Anm. CS). Aber Kompromisse, die einen CO2-Preis, Anreize für erneuerbare Energiequellen und anderes einschließen, die sind schon möglich. Und Biden hat verstanden: Weil der Klimawandel jeden Aspekt unseres Lebens betrifft, müssen wir auch in jeder Bundesbehörde daran arbeiten. Das ist etwas Neues. Unter Barack Obama war Klimapolitik auf die Umweltbehörde und das Energieministerium beschränkt.

Und international?

Die Regierung hat vom ersten Tag an dem Rest der Welt das Signal gesendet: Wir sind wieder da. Und diese politischen Veränderungen treffen auf eine internationale Jugendbewegung, Fridays for Future. Die jungen Aktivisten verschieben die Debatte dorthin, wo sie immer schon hätte sein sollen. Es geht um die ethische Verpflichtung, dass wir diesen Planeten für die kommenden Generationen nicht ruinieren dürfen. Und genau dieser Aufgabe müssen auch Politik und Wirtschaft dienen – Inaktivisten hin oder her.

Wie wird sich die Corona-Pandemie auf den Kampf gegen die Klimakrise auswirken?

Das ist natürlich zunächst eine Tragödie, aber manchmal ergibt sich aus einer Tragödie auch eine Chance: Sie hat es uns erlaubt, gezielter über Nachhaltigkeit in all ihren Aspekten nachzudenken. Wie können wir mit acht Milliarden Menschen, die um Ressourcen und Raum, Wasser und Nahrung konkurrieren, nachhaltig auf diesem Planeten leben? Die Pandemie hat uns Lektionen über unsere Verletzbarkeit erteilt und unterstrichen, wie wichtig es ist, auf die Wissenschaft zu hören. Diese Lektionen müssen uns dabei helfen, uns der noch größeren Klimakrise zu stellen. ◀

Dieses Interview ist zuvor im Energiewende-Magazin erschienen.

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