Tanzen bis zum Umfallen

Peru: Mit dem Huaylarsh-Tanz feiert die Anden-Jugend die Kartoffel und die Liebe

32 Minuten
Ein junger Mann und eine junge Frau auf einer Bühne. Beide mit farbenfroh bestickten Rock bzw. Weste und schwarzem Hut. Der Mann hält den Hut in der Hand. Blicken lachend von der Bühne herunter.

Jedes Jahr im Februar, wenn der Regen die Berge in Grün taucht und die Kartoffelfelder weiß-lila erblühen lässt, hält es die jungen Frauen und Männer in der Stadt Huancayo nicht mehr auf ihren Stühlen. „Wenn ich den Rhythmus der Huaylarsh-Musik höre, juckt es mich in den Füßen“, erklärt die 23-jährige Melany Gonzalo und lacht.

Seit November hat die studierte Betriebswirtin in ihrer Tanzgruppe jeden Abend jeden Schritt ihrer Choreografie eingeübt. Alles für die Karnevalswoche, wenn ihre Huaylarsh-Gruppe „San Cristobal de Huayucachi“ jeden Tag an mehreren Wettbewerben teilnehmen wird, um hoffentlich wieder einmal den ersten Preis zu gewinnen. Neun Mal haben Melany Gonzalo und ihre 43 Mittänzerïnnen das schon erreicht und dafür bis zu 800 Euro einstreichen dürfen – Geld, das meist für den Kauf neuer Kostüme verwendet wird.

Die Stadt Huancayo liegt auf 3.300 Metern Höhe in den Zentralanden und ist die Kartoffel- und Gemüsekammer für die rund acht Fahrtstunden entfernte peruanische Hauptstadt Lima. Wenn im Februar die Kartoffelfelder erblühen, feiern die Bauersleute ein Fest.

Rund 10 kleine blass-lila Blüte inmitten vielen dunkelgrüner Blätter.
Die Kartoffeln blühen in den Zentralanden Perus im Februar und März.

Der Tanz entstand auf dem Kartoffelacker

„Ursprünglich hatte der Huaylarsh-Tanz nichts mit Karneval zu tun, sondern entstammt dem Erntezyklus in der Landwirtschaft“, erklärt Oscar Rojas. Der studierte Pädagoge forscht und lehrt seit Jahrzehnten an der Universidad Peruana de los Andes in Huancayo über die Folkloretänze seiner Heimatstadt Huancayo. „Der Huaylarsh wurde auf dem Feld getanzt, wenn die Bauern die freiliegenden Kartoffelwurzeln wieder bedeckten und die Furchen begradigten.“ Die Herkunft des Wortes ist nicht ganz klar. Eine Deutung verweist auf das Quechua-Wort „Waylla“ (grünes Feld) oder das Verb „Wayllay“ (lieben).

Die Peruanerïnnen haben eine ganz besondere Beziehung zur Kartoffel, die ursprünglich aus der Gegend des Titicacasees stammt, der im heutigen Bolivien und Peru liegt. Die Geschichte der Andenvölker ist ohne die Kartoffel als „tägliches Brot" nicht zu denken. Der Knolle ist in Peru seit 2005 sogar ein eigener staatlicher Feiertag gewidmet. Der 30. Mai ist der nationale Tag der Kartoffel. Huancayo hat den Peruanerïnnen eins ihrer liebsten Nationalgerichte geschenkt: Papa a la huancaína, gekochte Kartoffeln mit hartgekochten Eiern, einer scharfen gelben Sauce und Oliven – und den Huaylarsh-Tanz.

Bis heute wird der „Huaylarsh antiguo“ – der alte Huaylarsh – auf Dörfern aufgeführt. Die Tanzenden tragen dazu einen schwarzen Hut, aus Schafwolle gewebte und einfach gefärbte Röcke und Hosen und tanzen barfuß. Der Rhythmus ist gemächlich, die Musik oft nur gesungen. Je nach Anlass des Tanzes werden die verschiedenen Tätigkeiten von der Aussaat bis zur Ernte dargestellt.

Der ursprüngliche, alte" Huaylarsh – Akshu Tatay – wird auf dem Kartoffelfeld getanzt, wenn die Männer die Kartoffelpflanzen mit Erde bedecken und die Furchen begradigen.

Die Eisenbahn veränderte alles

Diese Tradition änderte sich, als eine Eisenbahn-Linie Huancayo vor 113 Jahren mit Lima verband. Die Eisenbahn führt über den 4.835 Meter hohen Ticlio-Pass und ist die zweithöchste Eisenbahn der Welt. Viele junge Huancaínos und Huancaínas gingen zum Arbeiten in die Hauptstadt und kamen für die jährlichen Feste in ihre Dörfer zurück. Sie wollten zeigen, wozu sie es in der Stadt gebracht hatten, und trugen festlich bestickte Röcke und Westen statt der einfachen Wollröcke der Dorfbewohnerinnen. Und sie hatten auf einmal Geld, um eine Kapelle zu bezahlen. In Huancayo besteht diese heute aus Violine, Harfe – und bis zu 20 Saxofonen.

„Die Spanier haben Harfe und Violine mitgebracht, um damit die 'Indios’ von der Anbetung ihrer ‘falschen’ Götter abzubringen“, erklärt Oscar Rojas. Das Saxofon dagegen kam erst in den 30-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in die Andenregion. Rekruten hatten das Instrument in den Militärkapellen kennengelernt und in die Heimat mitgebracht.

So entstand der sogenannte „moderne” Huaylarsh, der nicht mehr an den Acker erinnert, sondern der eine Woche lang auf verschiedenen Wettbewerben in der näheren Umgebung von Huancayo und in Huancayo selbst getanzt wird. Auf diese eine Woche bereiten sich die Tanzgruppen monatelang vor.

Die Saxofone dürfen in den Huaylarsh-Kapellen nicht fehlen.

Authentisch nur in strömendem Regen

Die Woche der Huaylarsh-Wettbewerbe – direkt an Karneval anschließend – lockt vor allem Einheimische und ehemalige Einheimische nach Huancayo. Seit einem guten Jahr haben wegen der Corona-Pandemie keine Wettbewerbe mehr stattgefunden.

Oft müssen die Huaylarsh-Tänzerïnnen bei strömendem Regen antreten. Denn die Kartoffelblüte und so viele andere Gaben der Erde sind ohne Regen nicht zu haben. „Bei Regen tanzen wir mit noch mehr Eifer“, sagt Folklore-Kenner Oscar Rojas. „Denn vom Himmel, dem Hanan Pacha, fällt der Regen auf die Mutter Erde, die Pachamama, und befruchtet sie.“

Bereits in den 1930-er Jahren fanden erste Huaylarsh-Wettbewerbe in Huancayo statt. 80 Jahre später ist der Tanz immer noch lebendig. An die 100 Huaylarsh-Gruppen wetteifern jede Februar, wer die originellste Choreografie, die schönsten Kostüme und die feschesten Burschen und Mädels hat. Der „moderne Huaylarsh“ hat einen sehr schnellen Rhythmus und wird in festlicher Kleidung getanzt.

Stampfen bis zur Ohnmacht

Der typische Hauptschritt besteht aus einem Aufstampfen, auf das ein Hüpfen folgt. Die Tänzerïnnen führen diesen Wechsel so schnell aus, dass das Ergebnis fast an Stepptanz erinnert – allerdings ohne Metallplättchen an den Schuhen.

Zehn Minuten lang müssen die Tänzerïnnen eine perfekte Choreografie hinlegen. Und das verlangt Kondition. „Zehn Minuten Huaylarsh zu tanzen ist so anstrengend wie eine Partie Fußball zu spielen“, sagt Oscar Rojas (61), der in seiner Jugend selber getanzt hat. „Huaylarsh tanzen ist die beste Fitness-Übung“, meint Melany Gonzalo. Ein paar Kilo würde sie dabei jedes Jahr verlieren. Viele der nicht so geübten Tänzerïnnen fallen jedes Jahr in Ohnmacht, wenn die zehn Minuten vorüber sind.

Zehn Minuten Schmerz und Freude

Melany trägt beim Tanz drei Röcke übereinander, das ist zusammen mit Bluse und Umhang (manta) ein zusätzliches Gewicht von mehreren Kilos. Ein handbestickter Huaylarsh-Rock kostet zwischen 300 und 400 Euro.

Junge Frau in Tracht, mit Blüten bestickter weiter Rock bis kurz über die Knie, schwarze einfache Halbschuhe, einen schwarzen Hut. Trägt eine Schärpe auf der „Wambla Wanka“ steht. Blickt leicht nach oben.
Melany Gonzalo tanzt nicht nur seit Jahren begeistert Huaylarsh, sondern wurde auch zur „Wambla Wanka“ gekürt, einer Art traditioneller „Miss Huancayo“.

„Das Schwierigste ist, dass ich immer lächle, denn mit dem Huaylarsh will ich meinen Partner umgarnen”, sagt Melany Gonzalo. Selbst wenn der Rest des Körpers schmerzt – im Gesicht darf sie das nicht zeigen. Denn der moderne Huaylarsh-Tanz ist ein Balztanz zwischen Mann und Frau, da darf das Lächeln nie fehlen. Daher, so eine weitere etymologische Deutung, soll auch der Name kommen: eine Kombination aus wambla und walash – die Worte für junge Frau und junger Mann im Quechua-Dialekt von Huancayo.

Melany Gonzalo kann inzwischen alle Tanzschritte in- und auswendig. Der Huaylarsh ist für sie Freude pur: „Es ist ein super Gefühl, ich genieße das Tanzen sehr und kann diese Freude auch an die Zuschauerïnnen weitergeben.“

Aber sehen und hören Sie selbst in diesem begeisternden Video, das die Dokumentarfilmerin Katherine Zenteno für die Universidad Peruana Los Andes gedreht und geschnitten hat.

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