Mobilität weltweit: Besser vorwärtskommen – per Rad, zu Fuß oder mit dem Flugtaxi?

Weltweit tüfteln Regierungen an den Verkehrskonzepten für morgen. Sieben Beispiele aus drei Kontinenten.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
6 Minuten
Blick auf die verkehrsberuhigte Superilla in Sant Antoni in Barcelona. Die Mitte der Straßenkreuzung ist mit Pflanzenkübeln für den Verkehr blockiert, drumherum stehen Holzbänke. Auf dem Boden sind gelbe Markierungen. Ein Radfahrer fährt über die Straße.

Staus zur Rush-Hour, Dunstglocken über Großstädten: Der Verkehr ist weltweit einer der größten CO2-Verursacher. Etwa ein Fünftel aller Emissionen stammen aus den Auspuffen von PKWs und Motorrädern.Weltweit arbeitet die Politik daher an Konzepten, wie wir uns effizienter und umweltgerechter fortbewegen können. Wer ist besonders innovativ, wer setzt auf bekannte Rezepte? Ein internationaler Überblick des Netzwerkes Weltreporter.net.

Barcelona und Paris: „Vorfahrt“ für Fußgänger:innen

Wenn es um konkrete Visionen für die Mobilität der Zukunft geht, werden in Europa neben Kopenhagen auch immer wieder Paris und Barcelona genannt.

Mit ihrer Vision der „15-Minuten-Stadt“, in der Arbeit, Schule, Zuhause, Einkaufen, Freizeit nur durch kurze Spaziergänge getrennt sind, hat die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo für Furore gesorgt. Bis 2026 soll die Stadt komplett mit Radwegen ausgestattet sein. Die französische Hauptstadt hat zwischen 2014 und 2020 mehr als 150 Millionen Euro in Fahrradwege und -infrastruktur investiert. Fahrradfahren liegt in der französischen Hauptstadt inzwischen so sehr im Trend, dass „die Fahrradwege hoffnungslos überlastet sind“, berichtet Frankreich-Korrespondentin Barbara Markert.

Und künftig dürfte es dort noch enger werden, denn Paris rüstet sich für Olympia 2024 und hat so viele Baustellen am Verkehrsnetz wie noch nie in seiner Geschichte. Vier neue Linien, 68 neue Bahnhöfe und 200 km neue Strecken sollen innerhalb des seit einem Jahrzehnt versprochenen Nahverkehrsnetzes „Grand Paris Express“ entstehen. Dazu kommen ein Schnellexpress zum Flughafen und Verlängerungen bestehender Linien – nicht zu vergessen die dringend notwendigen Renovierungen der alten Métro. Verspätungen und Zugausfälle werden noch mehr Pariser zum Umsteigen aufs Fahrrad bewegen. Dabei staut es sich da schon jetzt. Markerts Tipp: „In Paris geht man derzeit am besten zu Fuß.“

Eine Straßenszene in Paris. Auf der rechten Bildhälfte stauen sich PKWs, auf der der linken Radfahrer. Der Radweg wird von einem abbiegenden Auto blockiert.
Trendsport Parcoursfahren für Radfahrer:innen. In Paris sind die Radwege und Straßen so voll, dass oft nichts anderes übrig bleibt.

Wie ihre Amts-Kollegin Hidalgo will auch Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau Fußgänger:innen Priorität einräumen. Dabei sollen in der gesamten Innenstadt Wohnblocks zu verkehrsberuhigten „Super-Blocks“ zusammengelegt, Bäume gepflanzt und Straßenkreuzungen in Spiel- und Picknickplätze verwandelt werden. Die Idee hat weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt. In der Praxis sei das Konzept allerdings weniger radikal als in der Theorie, so Spanien-Korrespondentin Julia Macher. Denn der Wandel erfolgt sukzessive. Im Eixample, der Mitte des 19. Jahrhunderts schachbrettmusterartig angelegten Neustadt, werden bis Ende des Jahres vier Durchgangsstraßen verkehrsberuhigt. Bis 2030 folgen dann die sie kreuzenden Straßen und 21 neue „grüne Plätze“. So sollen dem Autoverkehr 33 Hektar Straßenraum abgezwackt werden – zugunsten von Fußgängern. Wandel tut Not: Barcelona übersteigt seit mehr als einem Jahrzehnt regelmäßig die europäischen Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoff.

Laut einer Studie des Forschungszentrums IS Global kosten Lärm- und Schadstoffbelastung jedes Jahr rund 3000 Menschen das Leben. Wird die gesamte Innenstadt zur „Superilla“, zum verkehrsberuhigten Superblock, könnten jährlich 700 vorzeitige Todesfälle vermieden werden.

London: Mit City-Maut gegen Luftverschmutzung

Auch für London gibt es Studien, die einen direkten Zusammenhang zwischen Verkehrsbelastung und Gesundheit konstatieren. So büßen Kinder, die in verschmutzten Londoner Stadtteilen aufwachsen, rund fünf Prozent ihrer Lungenkapazität ein, berichtet London-Korrespondent Peter Stäuber.

Die Hauptstadt des Vereinten Königreich bemüht sich seit langem, den Verkehr in den Griff zu bekommen. Schon vor zwanzig Jahren führte die britische Hauptstadt die congestion charge ein, eine Mautgebühr für alle Fahrzeuge, die im Stadtzentrum unterwegs sind. Eigentlich war die Staugebühr ein Erfolg: Bereits im Jahr nach der Einführung waren im Zentrum 18 Prozent weniger Autos unterwegs, die Staus reduzierten sich um rund 30 Prozent.

Doch seit einigen Jahren sind die Straßen wieder regelmäßig verstopft,, vor allem wegen des Erfolgs von Unternehmen und Lieferdiensten wie Uber, Deliveroo oder Just Eat. „Kürzlich meldete ein Verkehrsforschungsinstitut, dass man nirgendwo auf der Welt so lange im Stau steht wie in London“, so Stäuber.

Bürgermeister Sadiq Khan ist entschlossen, die Stadtluft zu verbessern. Er hat veranlasst, dass für die schmutzigsten Autos eine zusätzliche Gebühr fällig ist. Außerdem hat die Verwaltung die Ultra Low Emissions Zone (ULEZ) eingeführt: In dieser Zone müssen die schmutzigsten Gefährte zusätzlich zur City-Maut 12,50 Pfund an Verschmutzungsgebühr entrichten. Im kommenden Sommer wird die ULEZ aufs gesamte Stadtgebiet ausgeweitet.

Eine Straßenszene in London, im Vordergrund ein Straßenschild mit der Aufschrift „ULEZ“
Beginn der Ultra Low Emissions Zone im Stadtteil Catford, London.

Österreich: Mit dem „Klima-Ticket“ durchs ganze Land

Bei der Verkehrswende entpuppt sich oft die Anbindung von Großstädten und Ballungsräumen an das Hinterland als Nadelöhr. Unterschiedliche ÖPNV-Systeme müssen vereinheitlicht, die Taktung von Bus und Bahn angepasst werden. Österreich geht dabei mit gutem Beispiel voran. Auf Druck der Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) wurde ein „Klimaticket“ eingeführt. Wer es erworben hat, kann landesweit alle öffentlichen Verkehrsmittel beliebig oft nutzen, also z.B. die Wiener U-Bahn ebenso wie einen Bus in Innsbruck oder Fernzüge, um das ganze Land zu bereisen. 208.000 dieser Klimatickets (zum Preis von jährlich 1.095 Euro) seien seit Einführung im Oktober 2021 verkauft worden, vermeldete die Ministerin bei einem Pressetermin Ende Dezember 2022 erfreut – mehr als das Doppelte dessen, was man erwartet habe. Ein echter Schritt hin zu mehr Umweltbewusstsein bei der Mobilität – und „ein Lichtblick“, so Österreich-Korrespondent Alexander Musik: „Denn allen offiziellen Entgegnungen zum Trotz ist in Österreich immer noch das Auto das Maß aller Dinge.“

Mosambik: Fahrradpioniere in Quelimane

Während Radfahren in europäischen Großstädten fast schon zum guten Ton gehört, ist die Fortbewegung auf zwei Rädern in afrikanischen Metropolen ein Risiko-Sport. Manuel de Araújo, Bürgermeister der Hafenstadt Quelimane in Mosambik will das ändern. Er hat in seiner Heimatstadt den ersten Fahrradweg eingeweiht und die 350.000-Einwohner-Stadt so zur ersten „Fahrrad-Metropole“ Mosambiks gemacht. Das ist auch ein Seitenhieb auf die Hauptstadt Maputo. Denn dort fehlt es laut De Araújo, einem der wichtigsten Oppositionspolitiker, nicht nur an Buslinien und sicheren Wegen, sondern generell an einer „vernünftigen Verkehrspolitik. „Auch die von der Stadt bis Ende 2022 versprochene Schwebebahn à la Wuppertal bleibt eine Fata Morgana“, berichtet Stefan Ehlert, Weltreporter in Mosambik.

Pendler:innen in und um die Hauptstadt Maputo verbringen daher weiter Stunden im Stau in überfüllten Bussen und Minibussen oder gar auf offenen Ladeflächen sogenannter My Loves, wo sich alle aneinander festklammern müssen, um nicht herabzustürzen. Auch sonst ist der Verkehr in Mosambik lebensgefährlich, so Ehlert: „Es gibt hier nicht mal eine Million Pkw, aber mindestens 3.000 Verkehrstote im Jahr, mehr als in Deutschland, wo mehr als 50 Millionen Kraftfahrzeuge angemeldet sind.“

Manuel de Araújo, mosambikanischer Oppositionspolitiker und Bürgermeister von Quelimane, steht an Krücken in der Lobby eines Hotels und blickt frontal in die Kamera..
Oppositionspolitiker Manuel de Araújo setzt sich für eine bessere Verkehrsplanung in Mosambik ein. Als Korrespondent Stefan Ehlert ihn zum Interview traf, hatte er einen Verkehrsunfall hinter sich – beim Radfahren.

Amerikanische Zukunftspläne: Von Schnellzügen und fliegenden Taxis

Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador hat bei seinen Mobilitätsplänen vor allem die internationalen Tourist:innen im Sinn. Rund 15 Millionen von ihnen landen jährlich in der mexikanischen Karibikstadt Cancún. Sie sollen künftig mit einer hochmodernen Schnellbahn über die Halbinsel Yucatán rauschen können. Der „Tren Maya“ (Maya-Zug) soll Traumstrände, archäologische Stätten sowie andere Urlaubsziele verbinden und den Einwohnern die Möglichkeit geben, sich besser zu bewegen. López Obrador verspricht, dass neue Hotelanlagen und Touristenmärkte Arbeitsplätze schaffen.

An dem 7,4 Milliarden US-Dollar schweren Mega-Projekt wird seit 2018 gebaut – und seit eben so langer Zeit warnen Umweltschützer:innen und Aktivist:innen vor seinen sozialen und ökologischen Folgen. Sie fürchten unter anderem um das komplexe unterirdische Wassersystem im Bundesstaat Yucatán mit seinen in Karsthöhlen gelegenen Seen und warnen vor der Zerstörung des Regenwalds, des Lebensraums der Maya-Nachkommen, berichtet Mexiko-Korrespondent Wolf-Dieter Vogel. Wie auch bei der Frage der Erdölförderung schert sich Obrador wenig um solche Bedenken: Noch in diesem Jahr soll der erste Tren Maya durch Yucatán rollen.

In Kalifornien beobachtet Weltreporter-Korrespondentin Kerstin Zilm, wie sich Los Angeles unter seiner neuen Bürgermeisterin Karen Bass durch Alltagsproblemekämpft: Südkalifornien ist mit Containerhafen, Flughafen und notorisch verstopften Stadtautobahnen die verkehrsreichste US-Region. Mit Blick auf die Olympischen Spiele 2028 wird jetzt der öffentliche Nahverkehr ausgebaut: mehr Busspuren, mehr Radwege, mehr Straßenbahnlinien.

Doch nach wie vor stehen mehr als 150.000 Pendler werktags über zwei Stunden im Stau, weil die Transportmittel schlecht vernetzt sind. Visionäre testen fliegende Taxi-Dienste für die Metropole. In einer Kreuzung aus Drohne und Hubschrauber sollen Passagiere damit entspannt, abgasfrei und leise mit 200 Stundenkilometern über Staus gleiten. Weltweit arbeiten mehr als 200 Unternehmen an der Technologie, Expert:innen versprechen: Bis Ende des Jahrzehnts sollen die auch eVTOL genannten Senkrechtstarter industriell gefertigt werden und massentauglich sein. Weltreporterin Zilm fragt sich: „Wie kommt man zu den Wolkenkratzern, von denen die Flugmaschinen starten und landen sollen. Und wer bekommt die Lizenz zum Fliegen?“

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