Südafrika: Verbranntes Kulturerbe

Über den Wert der Archive und die Lehren aus dem Brand der Jagger-Bibliothek in Kapstadt

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
12 Minuten
Die Mauern sind verußt, das Dach der Bibliothek ist verbrannt

Vor knapp vier Wochen erfasste ein Feuer am Fuß des Tafelbergs auch die historische Jagger-Bibliothek der Universität von Kapstadt. Viele einzigartige Bücher, Filme und Manuskripte sind verbrannt oder durch Löschwasser beschädigt. Aber es ist nicht alles verloren.

„Wir haben beobachtet, wie das Feuer immer näher rückt und schon die Evakuierung vorbereitet“, erinnert sich Jo-Anne Duggan an den 18. April, den Tag des verheerenden Feuers am Fuß des Tafelbergs. Dicke Rauchschwaden hingen über ihrem Haus und Garten, ganz in der Nähe des Universitätscampus von Kapstadt. Im Fernsehen sah Duggan etwas später, dass das Feuer auch auf die Uni übergesprungen war und ausgerechnet die historische Jagger-Bibliothek erfasst hatte.

„Der Schock traf mich tief, ich zitterte am ganzen Körper“, so Duggan. Die dort untergebrachten Sondersammlungen der Afrika-Abteilung seien das „Herz der Universität“ gewesen. „Ich war schockiert, dass die historischen Materialien, mit denen ich gearbeitet hatte, für immer verloren seien sollten. Die Sammlungen von Privatleuten, die sie der Universität gespendet hatten. Die Geschichten von einfachen Bürgerïnnen und Anti-Apartheid-Aktivisten. Ausgerechnet sie. Es ist eine Tragödie.“

Als Historikerin beschäftigt sich Jo-Anne Duggan seit Jahrzehnten mit Südafrikas Kulturerbe. Nach der demokratischen Wende hat sie an der entsprechenden Gesetzgebung zum Schutz dieses „national hertitage“ mitgewirkt, Ausstellungen kuratiert und die zivilgesellschaftliche Organisation ‚archival platform‘ an der Schnittstelle zwischen Archiven und Aktivismus gegründet. Wie viele Kapstädter zögerte sie nicht lange, bot der Universität ihre Hilfe an und war unter den ersten Freiwilligen, die von da an wochenlang bei den Bergungsarbeiten der Bestände geholfen haben.

Der Verlust ist noch nicht abzuschätzen

Es sei ein herzzerreißender Anblick gewesen, wie der Wind Seiten teils einzigartiger historischer Manuskripte über die Asche geweht habe und seltene Bücher zu einem Stück Kohle zusammengeschrumpft seien. Der Verlust sei noch gar nicht abzuschätzen und generell nicht in Zahlen auszudrücken, so Duggan. „Von den Büchern der Bibliothek existieren mit etwas Glück vielleicht anderswo noch ein paar Ausgaben, aber von den Archivbeständen und dem audiovisuellen Material gibt es im Zweifelsfall keine Kopien.“

Als Beispiel nennt Duggan filmisches Rohmaterial, das das ARD-Studio in Südafrika dem Archiv überlassen hat. Es zeigt Szenen nach einem Tötungskommando der Apartheid-Sicherheitskräfte im Nachbarland Lesotho aus dem Jahr 1985. Ein Teil dieses Materials wurde bei der Wahrheits- und Versöhnungskommission gezeigt, ein Clip von 30 Sekunden wurde von Fernsehsendern weltweit ausgestrahlt. Diese Ausschnitte seien also erhalten, das gesamte Archiv-Material jedoch biete wichtigen Kontext.

Der Kameramann habe eine gute halbe Stunde gefilmt, erzählt Duggan. Wer das Rohmaterial ansehe könne also „seinen Fußstapfen folgen“. Es gäbe darin Szenen, die sich nicht in Worten ausdrücken ließen, unveröffentlichte Zeugenaussagen, wichtigen historischen Kontext. „Dadurch ergibt sich also ein vollständigeres Bild dieses Teils unserer Geschichte und unserer kollektiven Erinnerung. Das Archiv erlaubte es, Gedankengänge und Erfahrungen von Menschen detailliert nachzuvollziehen.“

Nicht alles ist verbrannt

Das mache den Wert eines solchen Archivs aus, deshalb wiege der Verlust so schwer, betont Duggan. Ob diese konkreten Filmaufnahmen gerettet werden konnten, ist noch nicht bekannt. Jedenfalls ist, ursprünglichen Befürchtungen entgegen, nicht alles verloren.

Eine Frau reicht einer anderen eine Kiste mit Archivmaterial, die Wände sind vom Feuer verrusst
Freiwillige helfen das Archivmaterial zu bergen
Auf einer Treppe reichen Männer Plastikkisten mit geborgenem Archivmaterial weiter
Studenten, Absolventen, einfache Bürger packen mit an
Tina Löhr spricht inmitten von Kisten geretteter Bibliotheks-Bestände mit einer Mitarbeiterin
Die Kölner Papierrestauratorin Tina Löhr (rechts) in Kapstadt
Blick in ein Zelt, in dem mehrere Frauen mit Bauhelmen arbeiten und Dokumente trocknen
In diesem Zelt werden Archiv-Materialien unter anderem getrocknet
Die beiden Frauen sitzen mit Mund-Nasenschutz an einem Tisch und besprechen die weiteren Schritte
Ujala Satgoor (rechts) und Nikki Crowster von der Bibliotheksleitung
In dem Raum arbeiten zwei Frauen vor langen Reihen von gestapelten Kisten mit geborgenen Archivmaterialien
Provisorischer Lagerraum für geborgene Dokumente und Bücher
Geblieben sind nur die Säulen des historischen Gebäudes, es ist abgesperrt, die Fenster vernagelt
Die Fassade der Bibliothek nach dem Brand