Wie Frauen genauso viel verdienen wie Männer

Was gegen die Verdienstlücke hilft

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Eine junge Frau sitzt neben ihrem Laptop im Lotussitz auf dem Schreibtisch und liest Arbeitsdokumente

Frauen bekommen hierzulande ein Sechstel weniger Gehalt als Männer. Dabei gäbe es viele Strategien, das zu ändern, sagt Annette von Alemann, Professorin und Soziologin mit Schwerpunkt Arbeit, Geschlecht und soziale Ungleichheit an der Universität Duisburg-Essen.

Ein Interview von Susanne Donner

Wie gravierend ist der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern in Deutschland derzeit?

18,6 Euro je Stunde verdient eine Frau hierzulande, ein Mann dagegen durchschnittlich 18,3 Prozent mehr, nämlich 22,78 Euro. Dieses Phänomen nennt man „Gender Pay Gap“ oder „Verdienstlücke“ zwischen Männern und Frauen. Bis vor einigen Jahren betrug der Gender Pay Gap über zwanzig Prozent und war damit einer der höchsten in der gesamten OECD.

Woran liegt die systematische Benachteiligung von Frauen?

Der Gender Pay Gap hat verschiedene Ursachen, die zusammen gravierende Lohnungleichheiten hervorbringen. Erstens werden typische „Frauenberufe“ in der Regel geringer entlohnt als typische „Männerberufe“, auch wenn sie eine ähnliche Qualifizierung voraussetzen. Zum Beispiel verdienen Sozialarbeiter*innen wesentlich weniger als Informatiker*innen oder Betriebswirt*innen, auch wenn beide Berufe ein ähnlich langes Studium voraussetzen. Zweitens wählen Frauen häufig Berufe, die geringer entlohnt werden – Erzieherin, Verkäuferin, Bürofachkraft – oder Studienfächer, die wenige gute Einkommensquellen sichern, wie Kunstgeschichte oder Heilpädagogik.

Familie, Haushalt und weniger Lohn

Welchen Einfluss hat, dass Frauen oft zusätzlich und unentgeltlich für Familie und Haushalt arbeiten?

Einen großen Einfluss. Auch, wenn viele Männer sich heute aktiv an Haushalt und Kindererziehung beteiligen möchten, sind überwiegend die Frauen für die Alltagsarbeit zuständig. Frauen arbeiten vier Mal so häufig in Teilzeit wie Männer. Sie kümmern sich um Kindererziehung, Haushalt und oft auch um die Pflege älterer Angehöriger. Das kostet Zeit, Kraft und Energie, die ihnen an anderer Stelle für ihren Beruf fehlt. Zumindest wird das von vielen Arbeitgebern so gesehen. Und oft werden Beschäftigte, die ihre Berufslaufbahn für Kindererziehung oder Pflege unterbrochen haben oder Teilzeit arbeiten, mit geringeren Einkommen, weniger interessanten Aufgaben und Karrierenachteilen „bestraft“.

Untersuchungen zeigen auch, dass die Leistung von Mitarbeiter*innen in Teilzeit schlechter bewertet wird, weil ihnen durch die Teilzeit automatisch der Makel anhängt, dass sie nicht mehr hundert Prozent für das Unternehmen zur Verfügung stünden. In der Folge haben sie schlechtere Chancen bei Gehaltsverhandlungen und beruflichen Aufstiegen, was ihr Einkommen dauerhaft auf einem niedrigeren Niveau hält.

Wie stehen denn dann Vollzeit arbeitende, kinderlose Frauen im Vergleich zu Männern da?

Auch sie verdienen weniger als Männer – auch bei vergleichbarer Ausbildung und vergleichbarem Karriereweg in vergleichbaren Tätigkeiten, etwa in Führungspositionen. Sie erhalten auch weniger Boni und nicht-monetäre Leistungen wie Dienstwagen, und sie führen kleinere Teams und Unternehmensbereiche.

Weniger Fördergeld für männerdominierte Unternehmen

Sie sagen, es könnte sehr viel gegen den Gender Pay Gap getan werden. Was wäre der wichtigste erste Schritt?

Bisher sind die geschlechtsbezogenen Daten zum Verdienst lückenhaft. Würden die Gehälter mit einem Genderindex – ähnlich wie bestimmte Verantwortungs- oder Nachhaltigkeitskennzahlen bei börsennotierten Unternehmen – veröffentlicht, könnte das den Gender Pay Gap vermindern. Ein Hinweis darauf ist der etwas höhere Frauenanteil in den Vorständen der 30 größten Konzerne im DAX. Diese Unternehmen stehen viel stärker im Licht der Öffentlichkeit und auch in der öffentlichen Kritik.

Wie kann ein solcher Index genau wirken?

Die Gehälter aller Mitarbeiter*innen sind in den Personalabteilungen bekannt, so dass hier Berechnungen vorgenommen werden können, wer auf welcher Position wie viel verdient. Dabei müssen aber auch die Eingruppierung und mögliche Zuschläge, Boni und nicht-finanzielle Leistungen berücksichtigt werden. Ähnlich wie Verantwortungs- und Nachhaltigkeitskennzahlen könnten solche geschlechtsrelevanten Kennzahlen in den Quartalsberichten ausgeflaggt und in den Jahresberichten veröffentlicht werden. Führungskräfte müssten daran gemessen werden, inwieweit sie auch diese Kennzahlen erreichen. Solche Kennzahlen könnten dann auch bei der Vergabe von Subventionen, bei staatlichen Zuwendungen, Investitionen oder Krediten berücksichtigt werden. Ein Vorbild gibt es bereits: Schon heute orientieren sich Investmentfonds an Nachhaltigkeitsindizes. Damit würde der Index eine Lenkungswirkung entfalten. Die Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern würde sich verkleinern.

Vorstellungsgespräche hinter dem Vorhang

Welche weiteren Maßnahmen könnten Ihren Forschungen zufolge die Gehaltslücke von Frauen zu Männern verkleinern?

Es klingt vielleicht erstaunlich, aber ein hilfreiches Instrument wären auch anonyme Bewerbungsgespräche. Die US-Ökonominnen Claudia Goldin und Cecilia Rouse konnten vor gut zwanzig Jahren bei Bewerbungsgesprächen für Symphonieorchester zeigen, dass mehr Frauen zum Zug kamen, wenn alle Bewerbenden hinter einem Schirm saßen und nicht sichtbar waren. Männer werden offenbar sonst schon wegen ihres äußeren Auftretens bevorzugt ausgewählt. Ihr Geschlecht färbt ab auf die Wahrnehmung ihrer Leistung. In der Wissenschaft wird das als Halo-Effekt bezeichnet: Eine Eigenschaft strahlt aus auf die Wahrnehmung der gesamten Person.

Viele halten also einen Mann aufgrund seines Geschlechtes und Auftretens für den besseren Arbeitnehmer. Was lehrt denn der Blick in die Betriebe?

Das Gegenteil! Unternehmen mit einem höheren Anteil von Frauen im Management sind nachweislich erfolgreicher. Das zeigen beispielsweise Studien der Unternehmensberatungsfirmen Catalyst und McKinsey. In den Unternehmen, die höhere Frauenanteile in Führungspositionen haben, hat Diversity einen höheren Wert. Diversity bedeutet die Unterschiedlichkeit in der Belegschaft nach Geschlecht, Alter, Hautfarbe, sexueller Orientierung und vielen anderen Eigenschaften. Und damit geht einher, unterschiedliche Ansichten und Lebensweisen wertzuschätzen. Wenn man Diversity ernst nimmt, sieht man in erster Linie die Leistung eines Beschäftigten und weniger die Person, die sie erbringt. Solche Unternehmen versuchen auch, Chancengleichheit herzustellen, indem sie Mitarbeiter*innen bei ihren alltäglichen Belastungen unterstützen, zum Beispiel durch eine Betriebs-Kita oder flexible Arbeitszeitmodelle. Davon haben tatsächlich auch die Unternehmen etwas, weil es die Arbeitszufriedenheit und damit auch die Produktivität erhöht.

Wenn Kassierer*innen die neuen Popstars wären

Auf politischer Ebene wird vor allem eine Frauenquote für verschiedene Führungsebenen diskutiert. Würde sie nicht auf lange Sicht mehr Chancengleichheit mit sich bringen?

In der Tat wäre eine Frauenquote sinnvoll. Für die Hochschulen wird zum Beispiel das so genannte Kaskadenmodell empfohlen, das auch bei der Deutschen Telekom unterhalb der Vorstandsebene angewandt wurde. Der Anteil an Frauen in der gesamten Belegschaft muss sich demnach auf allen Hierarchieebenen widerspiegeln. Sind 30 Prozent der Beschäftigten weiblich, sollte auch im Management jede dritte Kraft weiblich sein. Das allein reicht aber nicht aus.

Weshalb genügen Quote und Genderindex nicht, um die Verdienstlücke zwischen den Geschlechtern endlich zu schließen?

Der Gender Pay Gap ist auch gesellschaftlich verwurzelt. Wir haben eben darüber gesprochen, dass von Frauen ausgeübte Berufe in der Regel schlechter bezahlt werden als typische „Männerberufe“. Das zeigt auch die gesellschaftliche Wertschätzung für diese Berufe, die hier in Geld gemessen wird. Es braucht also einen Wertewandel. Wir müssen Berufe in Erziehung und Bildung, in der Pflege und im sozialen Bereich besser entlohnen, weil sie für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig sind. In anderen Frauenberufen – Kassiererin, Verkäuferin, Reinigungskraft und vielen anderen – deren Wichtigkeit uns während der Pandemie so richtig bewusst wurde, ist es genauso. Dann würden sich auch mehr Männer für diese Berufe entscheiden.

Traditionelle Paare und wegfallende Vätermonate

Und auch die unbezahlte Arbeit im Haushalt, für die Familie und pflegebedürftige Angehörige müsste mehr von Männern übernommen werden. Aber wie kommen wir dahin?

Wenn diese Sorgearbeit als wertvoller gesellschaftlicher Beitrag anerkannt würde – auch bei Arbeitgebern – würden auch mehr Männer sie übernehmen. Dazu gehört auch, dass Väter stärker ermutigt und dabei unterstützt werden, Sorgearbeit zu leisten. Die neuere Elternzeit Plus ist ein guter Weg, weil sich beide Eltern in gleichem Ausmaß Teilzeitarbeit und Familienarbeit teilen können. Das ist für Männer attraktiver als die normale Elternzeit, weil sie dann den Bezug zu ihrem Beruf nicht verlieren. Vielleicht brauchen wir auch mehr Vätermonate, die wegfallen, wenn Väter sie nicht nehmen. Denn Befragungen unter Vätern zeigen, dass diese die Zeit mit ihrer Familie umso stärker schätzen lernen, je länger und intensiver sie ist. Dann wollen Väter die aktive Beteiligung an der Familienarbeit auch nicht wieder aufgeben und stellen fest, dass das wertvolle Zeit ist, die das Leben bereichert.

Aber auch die Entscheidungen der Paare selbst spielen eine Rolle: Bisher nehmen Mütter viel mehr und länger Elternzeit als Väter.

Ja, bei der Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sind die meisten Paare noch sehr traditionell. Untersuchungen zeigen: Wenn Paare ihr erstes Kind bekommen, überlegen sie sehr genau, wer die längere Elternzeit oder wer überhaupt Elternzeit nimmt. Und damit nimmt ein Teufelskreis seinen Anfang. Weil durch den Gender Pay Gap Frauen normalerweise weniger verdienen als ihre Partner, nehmen sie meistens die längere Elternzeit. Dadurch sinken aber ihre Chancen auf Vollzeitarbeit und Karriere. Wenn Männer grundsätzlich mehr verdienen als Frauen, leiten sie daraus ab, dass ihre Arbeitszeit mehr wert ist als die ihrer Partnerinnen – und dann kümmern sie sich entsprechend noch stärker um ihre Karriere und übernehmen weniger Aufgaben in der Familie und im Haushalt. Damit schließt sich der Kreis.

Was sind die Folgen dieses systematischen Gender Pay Gaps?

Die Folge ist, dass Frauen im Lebensverlauf weniger Lebenseinkommen erwirtschaften als Männer. Ihre Ersparnisse sind geringer, und sie erhalten im Alter weniger Rente. Solange sie mit einem Mann verheiratet sind, der ein gutes Einkommen verdient und beide gemeinsam über das Familieneinkommen verfügen – das war in den 1970er und 1980er Jahren vor allem in Westdeutschland das Leitbild von Ehe und Familie – sind sie gut versorgt. Aber viele Ehen werden geschieden, und Frauen sind nicht mehr von vornherein unterhaltsberechtigt. Mehr Frauen als Männer sind alleinerziehend – auch das hat einen negativen Einfluss auf ihre Einkommenschancen. Altersarmut ist ein Problem von Frauen.

Wie sich Frauen vor der Verdienstlücke schützen

Sie sagen, es ist für Frauen hilfreich, sich des Lohnunterschieds bewusst zu sein und sich für Gehaltsverhandlungen argumentativ zu rüsten. Wie können sich Frauen wappnen?

Frauen sollten sich vor jedem Bewerbungsgespräch und vor jeder Gehaltsverhandlung über die üblichen Gehälter für die jeweilige Tätigkeit informieren. Die App https://www.paygapapp.org/ gibt Auskunft über geschlechtsbezogene Lohnunterschiede. Wird ein niedrigerer Lohn angeboten, als für diese Tätigkeit normalerweise gezahlt wird, würde ich die eigene Qualifikation und ihren Gewinn für das Unternehmen herausstellen.

Es scheint weniger hilfreich zu sein, als Frau betont selbstbewusst und bestimmt aufzutreten, was bei Männern als Sicherheit und Verhandlungsstärke wahrgenommen wird. Untersuchungen zeigen, dass ein und dasselbe Verhalten bei Männern und Frauen unterschiedlich bewertet wird, je nachdem, ob es dem Geschlechterstereotyp entspricht, also den gesellschaftlichen Vorstellungen darüber, wie Männer und Frauen normalerweise sind und wie sie sich zu verhalten haben. Damit geraten Frauen in eine schwierige Situation: Von ihnen wird eher Freundlichkeit und Zugänglichkeit erwartet, was ihnen aber gleichzeitig als Verhandlungsschwäche ausgelegt wird. Wenn sie aber zu selbstbewusst auftreten, werden sie leicht als „Zicke“ wahrgenommen, mit der man nicht arbeiten möchte.

Was bedeutet das für Gehaltsverhandlungen?

Es ist schwierig, hier klare und konkrete Tipps zu geben. Der Grat akzeptierten Verhaltens ist bei Frauen leider schmaler. Vor diesem Hintergrund kann ich Frauen nur raten, sicher und freundlich aufzutreten, authentisch zu sein und ihren eigenen Wert zu kennen – und Abstand zu nehmen von Unternehmen, in denen sie Gefahr laufen, schlechter bewertet und entlohnt zu werden.

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