Abrüsten im Straßenverkehr

Eine Gruppe von Expertïnnen hat ein Konzept entwickelt, mit dem Stadt- und Verkehrsplaner den Einsatz kleinerer Fahrzeuge in der Innenstadt fördern können

vom Recherche-Kollektiv Busy Streets:
12 Minuten
Autos stehen in zwei Reihen vor einer roten Ampel

Der VW-Golf gehört zu den Lieblingsautos der Deutschen. Immer wieder landet er auf Platz 1, wenn Rankings, die beliebtesten oder meistverkauften deutschen Autos auflisten. Dabei hat er sich in den vergangenen Jahrzehnten ziemlich verändert. 1974 war der Golf 1,61 Meter breit und 3,70 Meter lang. 2022 ist er mit 1,79 Meter genauso breit wie das größte Mercedes-Benz-8-Modell der Siebzigerjahre.

Dieses Wachstum in ein zentrales Problem für den Stadtverkehr. Mit fast jedem Modellwechsel werden die Autos größer. Damit schafft die Automobilindustrie Fakten in den Städten. Denn im Gegensatz zu den Autos wachsen Straßen und Plätze nicht. Wo früher 26 VW Golf parkten, reicht der Platz heute nur noch für 23. „Wir brauchen eine Abrüstung im Verkehr von groben zu feineren Fahrzeugen“, sagt Otto-Zimmermann, ehemaliger Generalsekretär des Weltstädteverbandes für nachhaltige Entwicklung, ICLEII. Mit einer Gruppe von Experten aus der Stadt- und Verkehrsplanung hat er im September an der Universität Kassel deshalb das Konzept »Feinmobilität« entwickelt.

Ein Mann steht neben einem langgezogenen Fahrzeug mit einem Sitz
Konrad Otto-Zimmermann wirbt seit Jahren für feinere Fahrzeuge

Busy Streets: Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) passt jetzt das Bemessungfahrzeug für Pkw und damit die Standards für Parkplätze an die stetig wachsendenr Autos an. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Konrad Otto-Zimmermann: Handwerklich ist das Vorgehen der FGSV sicherlich sauber. Aber die Philosophie dahinter ist meines Erachtes nach falsch. Die Forschungsgesellschaft ermittelt anhand des Fahrzeugbestands die Maße des Durchschnittsfahrzeugs, das von 85 Prozent aller Fahrzeuge nicht überschritten wird. Weil die Fahrzeuge immer größer werden, übernimmt die FGSV unkritisch diesen Status und zementiert die Autoaufblähung für weitere Jahrzehnte, anstatt normativ zu denken und Anreize zum Flächensparen zu setzen. Wir sollten uns nicht vom Markt die Größe unserer Parkplätze diktieren lassen.

Busy Streets: Wie können die Kommunen gegensteuern?

Konrad Otto-Zimmermann: Der Stadtraum ist für Kommunen die wichtigste Stellschraube. Sie sollten entscheiden können, welchen Fahrzeugtypen sie wie viel Platz einräumen. Lassen sie in einem Straßenabschnitt wenige riesige Autos parken, oder ist es nicht flächengerechter, stattdessen mehr kleine Fahrzeuge dort parken zu lassen? Bislang fehlte den Kommunen dazu das Handwerkszeug. Mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Kassel, des VCD und der SRL haben wir das Konzept „Feinmobilität“ entwickelt. Damit geben wir ihnen eine neue Fahrzeug-Klassifizierung nach Größe und Gewicht in die Hand. Wir haben eine Maßeinheit verwendet, die jeder kennt: Produktgröße. Wir unterscheiden sieben G-Klassen von XXS, XS und S über M bis zu L, XL und XXL.

Busy Streets: Welche Fahrzeuge haben Sie für ihr Konzept Feinmobilität erfasst?

Konrad Otto-Zimmermann: Wir haben die gesamte Räderwelt vom Rollschuh über Fahrräder und elektrische Leichtfahrzeuge bis zum Geländefahrzeug betrachtet. Rund 100 Fahrzeuge wurden systematisch erfasst. Damit kommen auch all die Fahrzeuge oberhalb des Fahrrads und unterhalb des Autos mit einer sinnvollen Kategorie und einem Verkehrsraum zur Geltung. Die FGSV kennt nur ein Bemessungsfahrzeug Pkw und Bemessungsfahrzeuge Fahrrad und Motorrad.

Das Schaubild zeigt 23 verschiedene Fahrzeuge mit drei oder vier Rädern
Das Angebot an Elektrokleinstfahrzeugen wächst stetig und umfasst ein breites Spektrum vom E-Minicar bis zum motorisierten Lastenrad
Während einer Messe stehen verschiedene kleine Elektrofahrzeuge in einer Reihe auf einer Straße
Allerdings muss die neue Fahrzeugklasse mit zwei bis vier Sitzen noch bekannter werden
Zwei Wohnmobile mit Aufsatz parken vor einem Wohnhaus
„ Wer heute im Erdgeschoss lebt und aus dem Fenster schaut, blickt, wenn er Pech hat, nur noch auf Autoseiten“, sagt Konrad Otto-Zimmermann