Francisco Mojicas 'Salt Lovers' und der Beginn der CRISPR-Forschung (Teil 1)

In den 90er Jahren stoßen mehrere ForscherInnen weltweit auf CRISPR-repeats. Doch es ist ein junger spanischer Wissenschaftler, der die Spur konsequent weiterverfolgt, trotz einiger Rückschläge.

13 Minuten
Blaue Cas9-Moleküle umkränzen den Titel dieses Artikels vor himbeerrotem Hintergrund in den die Titel wichtiger Fachartikel Mojicas eingeblendet sind.

– PDF und EPUB-Versionen der gesamten Episode finden sich für UnterstützerInnen am Ende des Artikels –

Dies ist Teil 1 der dreiteiligen Episode (direkt zu Teil 2, direkt zu Teil3).

Teil 1 ist für alle kostenlos.

Francisco Juan Martínez Mojica wirkt entspannt, wie er so zwischen den Forschungspostern herumspaziert, hier stehen bleibt, dort genauer nachliest. Im großen Saal des Raddisson Blu Astorija Hotels in Vilnius, der alten lettischen Hauptstadt, haben die Vorträge auf dem jährlichen CRISPR-Meeting längst wieder begonnen. Doch der 55-Jährige lässt sich Zeit.

„Es ist das erste Mal, dass ich hier keinen Vortrag halten muss“, erzählt mir Mojica. Sein Tonfall ist freundlich, sein Englisch hat einen weichen spanischen Akzent. Seit das CRISPR-Meeting im Jahr 2008 Premiere im kalifornischen Berkeley feierte und sich schnell zum wichtigsten Treffen der Community mauserte, musste er jedes Jahr aufs Podium. Jetzt genießt er die ungewohnte Ruhe. Mojica kann sich treiben lassen, er muss nur zuhören, wie es weiter mit dem biologischen Phänomen geht, an dessen Entdeckung er maßgeblich beteiligt war.

Eigentlich ist der etwas untersetzte Mann, der nur noch einen schütteren weißen Haarkranz am Kopf trägt, sogar sehr viel „entspannter“ als sonst – weil er sehr müde ist. Als Pionier eines der aktuellen hot topics in der Wissenschaft ist er ein gefragter Redner. Er kommt gerade von einem Trip aus Asien und Australien: „Zwölf Vorträge in dreizehn Tagen, über CRISPR, über unsere aktuelle Forschung …“, erklärt er mit durchaus wachen Augen hinter der eckigen, selbsttönenden Brille. Der CRISPR-Pionier ist ein gefragter Mann, auch außerhalb der Community, denn CRISPR hat sich zu einem Phänomen entwickelt, wie man es lange nicht gesehen hat in den Lebenswissenschaften.

Und so ziehen wir uns zurück in eine ruhige Ecke, und er erzählt mir, wie bei ihm alles begann, und er zum wichtigsten Forscher in der ersten Phase der CRISPR-Geschichte wurde, damals in den 1990er Jahren, als er selbst noch ein junger Forscher war, der Ergebnisse auf Postern präsentierte.

Eine Karte mit einem Ausschnitt des Mittelmeeres. Zu sehen ist die Lage der Stadt Alicante in Spanien, die durch einen roten Punkt markiert ist.
Alicante an der Costa Blanca ist die Hauptstadt der spanischen Provinz Alicante. An der „Universidad de Alicante“ hat Francisco Mojica promoviert und er arbeitet noch heute an dieser Uni. Geboren wurde er im 30 Kilometer entfernten, südwestlich gelegenen Elche. Ganz in der Nähe an der Küste liegen die Salzlagunen von Santa Pola.

Am Anfang steht der Ärger

„Als ich CRISPR zum ersten Mal sah, dachte ich, es sei ein Fehler“, beginnt der Spanier. Er ist während seiner Doktorarbeit an der Universidad de Alicante gar nicht auf der Suche nach diesem eigenartigen genetischen Muster im Genom von Bakterien und Archaeen; genau so wenig wie es ein paar Jahre zuvor schon Yoshizumi Ishino und Atsuo Nakata in Japan (siehe den Artikel „Herr Ishino und die wunderbare Ahnungslosigkeit“) oder Peter Hermanns im Team von Jan van Embden in den Niederlanden waren (siehe den Artikel „CRISPR, Tuberkulose und die Suche des Jan van Embden“). Wie hätten sie auch etwas suchen können, das noch niemand kennt – von dem niemand weiß, dass es existiert.

Mojica erforscht etwas völlig anderes. Als er dann CRISPR findet, ärgert er sich zunächst. Er hält es für ein Artefakt der Polymerase-Kettenreaktion (PCR), dieser damals neuen, revolutionären Labormethode, mit der man winzigste Spuren DNA millionenfach vervielfältigen kann und somit Mengen erzielt, die zur DNA-Analyse und Sequenzierung ausreichen.

Portrait von Francisco Mojica zwischen zwei wichtigen Fachartikeln seiner CRISPR-Forschung vor himbeerrotem Hintergrund.
Francisco Mojica und die Titelseiten zweier seiner wichtigsten Fachartikel: Links der Artikel aus dem Jahr 1993, in dem erstmals CRISPR-repeats bei einem Vertreter der Archaeen (Haloferax mediterranei) beschrieben werden, rechts der Artikel aus dem Jahr 2000, in dem Mojica erstmals berichtet, wie weit verbreitet CRISPR-repeats (die er damals noch SRSR nennt) auf dem Stammbaum des Lebens zu finden sind.

1992 führen er und sein Chef Francisco Rodriguez-Valera als erste an der Universität von Alicante eine PCR durch. Sie tun sich schwer, denn ihnen fehlt die Erfahrung. „Wir hatten viele Probleme damit. Meistens erhielten wir gar keine oder nur einzelne Banden auf den Gelen, die wir anlegten“, sagt Mojica. Die Methode ist damals neu, schon das Aufreinigen der DNA ist komplex und fehleranfällig. Hinzu kommt: Francisco Mojica arbeitet mit ganz besonderen Einzellern, die nur unter sehr besonderen Bedingungen existieren. Es sind nicht mal Bakterien.

Die Spanier untersuchen mikroskopisch kleine, einzellige Organismen, die auf einem ganz eigenen, dicken Hauptast des Stammbaums des Lebens sitzen: Die Archaeen. Das sind bakterienähnliche Einzeller, die aber doch so anders sind, dass sie als eine ganz eigene von drei großen Lebensformen auf der Erde gelten; sie sitzen zwischen den Bakterien, mit denen sie die Gruppe der Prokaryoten bilden (weil beide Einzeller ohne Zellkern sind), und den Eukaryoten, den Lebewesen, deren Zellen ein Karyon, einen Zellkern besitzen. Zu Letzteren gehören wir Menschen sowie die Tiere, Pflanzen und Pilze (siehe Grafik).

Stammbaum von Bakterien, Archaeen und Eukaryoten
Der Stammbaum des Lebens wie ihn sich Forscher seit den 1990er Jahren in etwa vorstellen. Es gibt drei Hauptäste: Bakterien und Archaeen sitzen auf den ersten beiden Ästen. Diese Einzeller ohne Zellkern bilden die Gruppe der Prokaryoten. Den dritten Stamm bilden die Eukaryoten, mit Zellen, die einen Zellkern besitzen. Auf diesem Ast sitzen wir Menschen zusammen mit vielen anderen Mehrzellern wie Tieren, Pflanzen und Pilze, aber auch Einzellern wie den Schleimpilzen oder der Amöbe.

In der Gruppe der Archaeen kennen Mikrobiologen viele Mikroben, die das Extreme lieben und folglich Extremophile heißen. Mojicas Forschungsobjekte bevorzugen es salzig, es sind halophile, salzliebende Lebewesen, die besonders viel Salz vertragen und sogar benötigen, um gut zu gedeihen. Der Spanier sammelt diese speziellen Mikroben an einem außergewöhnlichen Ort: den Salzlagunen von Santa Pola, dreißig Kilometer südlich von Alicante.

Biologie? Was ist das?

Mojica kennt die Salinen ebenso gut wie die nahegelegenen Strände der Costa Blanca. Der Forscher wurde 1963 im zwanzig Kilometer entfernten Elche geboren. Er ist dort aufgewachsen und wohnt dort noch heute. Der kleine Mojica wächst mit dem Geruch von Schuhmacherleim auf. Seine Eltern haben eine Schusterei, einen kleinen Familienbetrieb, bei dem alle dem Vater helfen: Franciscos Mutter und seine drei älteren Schwestern unterstützt von zwei älteren Mitarbeitern. Francisco muss nur in den Schulferien oder später in den Semesterferien helfen. Seine Eltern lassen ihm völlige Freiheit, bei dem, was er einmal machen will. Als er ihnen erklärt, dass er Biologie studieren möchte, lautet die Antwort: „Was ist das?“ Mojica lacht, wenn er davon erzählt. Als sein Vater wissen will, was er damit anfangen kann, antwortet der Sohn: „Ich weiß es nicht wirklich, aber ich liebe es.“ Sein Vater, der Schuhmacher, der wie sein Sohn die Natur liebt, zeigt Verständnis: „Okay, genieße dein Studium, und wir werden sehen, was danach passiert.“

Mojica studiert in der ersten Hälfte der 1980er Jahre Biologie mit Schwerpunkt Biochemie an der Universität von Valencia, noch unsicher, was er im Anschluss machen wird. Dann gibt ihm der Wehrdienst in Alicante ausreichend Zeit, über seine Zukunft nachzudenken. Da die Universität direkt gegenüber seiner Dienststelle liegt, reift in ihm der Gedanke, es dort zu versuchen.

Er fragt in drei Gruppen nach, ob er eine Doktorarbeit beginnen könne. Bei der vierten Anlaufstation, der Mikrobiologie-Abteilung, erhält er 1989 schließlich eine Teilzeit-Stelle. Er soll die Wasserqualität an den Hauptstränden von Alicantes Küste bestimmen. Parallel kann er seine Promotion in der Arbeitsgruppe eines gewissen Francisco Rodriguez-Valera beginnen. Mojica ist 26 Jahre alt.

Landkarte Alicante und Elche.
Das geographische Dreieck, indem Francisco Mojica den größten Teil seines Lebens verbringt. An der Universität von Alicante hat er seinen Doktor in Biologie gemacht und dort arbeitet er noch heute als Professor der Physiologie, Genetik und Mikrobiologie.
Landkarte auf der die Städte Elche und Santa Pola abgebildet sind.
In Elche ist er geboren, aufgewachsen und dort lebt er noch heute.
Landkarte der Salzlagunen in Santa Pola.
In den Salzlagunen von Santa Pola hat er geforscht. Dort wachsen die salzliebenden Mikroben wie Haloferax mediterranei und Haloferax volcanii, Archaeen, bei denen er als erster CRISPR-repeats nachgewiesen hat.
Landkarte der Meerwasserbecken
In den seichten Becken der Salzlagunen von Santa Pola befindet sich Wasser mit unterschiedlichem Salzgehalt und verschiedenen salzliebenden Archaeen. Diese Unterschiede bringen die unterschiedlichen Farben der Becken hervor.

Einzeller, die das Salz lieben

Der Mikrobiologe Rodriguez-Valera vom Departamento de Genetica Molecular y Microbiología erforscht seit Ende der 1970er Jahre die salzliebenden Einzeller der Lagunen von Santa Pola, nur eine halbe Stunde von der Universität entfernt. Laut Rodriguez-Valera sind sie weltweit die mikrobiologisch am besten untersuchten Habitate mit derart hohen Salzgehalten.

In den seichten, rund drei Fußballfelder großen, natürlichen Becken – getrennt durch schmale Erdstege – steht das Wasser nur dreißig Zentimeter hoch. Dort wird seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert Salz durch Meerwasserverdunstung gewonnen. Aus dem Wasser des Mittelmeeres mit fast 3,7 Prozent Salzgehalt entstehen durch Verdunstung unter der sengenden Sonne der Costa Blanca Becken mit unterschiedlichen Salzkonzentrationen. Sie reichen von fast zehn über fast zwanzig bis weit über dreißig Prozent. Zum Vergleich: Das Tote Meer hat durchschnittlich etwa 28 Prozent Salzgehalt, Süßwasser unter 0,1 Prozent. Nur hoch spezialisierte Lebewesen schaffen es, unter solch unwirtlichen Bedingungen der spanischen Lagunen und in dieser Hitze zu überleben. Eines davon ist Haloferax mediterranei, ein Einzeller, den Rodriguez-Valera selbst als Erster 1983 entdeckt und beschrieben hat.

Francisco Mojica soll nun herausfinden, wie es Haloferax mediterranei schafft, sich an wechselnde Salzkonzentrationen im Wasser anzupassen. Auffallend ist die Fähigkeit der „salt lovers“, Gasblasen im Zellinneren zu bilden. Die Blasen sind sogar unter dem Mikroskop als silberglänzende Punkte zu erkennen und erlauben es den Einzellern, im Wasser zu schweben. Die Vesikel werden besonders vom Salzgehalt der Umgebung beeinflusst. Und so konzentriert sich Mojica darauf, die Aktivität der daran beteiligten Gene im ringförmigen Chromosom zu untersuchen – nur um eines Tages festzustellen, dass eine Gruppe deutscher Max-Planck-Forscher schneller war. Sie veröffentlichen die Ergebnisse im Juli 1990, während der Doktorand noch mitten in der Arbeit steckt.

Pech für den jungen Forscher. Glück für die CRISPRhistory.

Mojica muss sich nach diesem Rückschlag neue Ziele setzen, ohne das zentrale Thema seiner Arbeit zu ändern. Er konzentriert sich auf Regionen im Genom der Archaeen, die bisher nicht genauer beschrieben sind, die sich aber scheinbar verändern, sobald sich die Salzkonzentration der Umgebung wandelt. Diese Abschnitte will der Doktorand analysieren. Und eben dabei treten die erwähnten Probleme mit der PCR auf.

PCR, die lustige Dinge macht

Irgendwann bekommen die Forscher es dann in den Griff. Auf den Gelen sind viele schöne, klare Banden zu sehen. Sie entstehen durch unterschiedlich lange Teilstücke der analysierten DNA-Sequenz. Doch was sie sehen, verwirrt sie zunächst.

Bandenmuster der CRISPR-Sequenzen, die Francisco Mojica in seinen Archaebakterien entdeckt hat.
Bandenmuster einer Sequenzierung vom 21. August 1992. In den gelb markierten Bereichen befinden sich die Wiederholungssequenzen.

Sie finden ungewöhnliche, sich wiederholende Banden-Muster. Das Enzym, dass bei der PCR für das Kopieren der Sequenzen eingesetzt wird, scheint fehlerhaft zu sein: „Wir dachten, vielleicht vollführt die Polymerase irgendwelche lustigen Dinge und kommt immer wieder an die exakt gleiche Stelle zurück und liest sie immer und immer wieder ab“, sagt Mojica. Die Forscher wiederholen die PCR und erhalten wieder das Muster.

Schließlich analysieren sie die gesamte Sequenz: „Statt nur vier oder fünf Wiederholungen wie zu Beginn, spürten wir sehr viel mehr auf“, erzählt er. Sie haben irgendetwas Besonderes entdeckt. Es muss DNA-Sequenzen geben, die sich regelmäßig wiederholen, Genforscher nennen sie repeats.

Der erste Artikel

Die Entdeckung dieser repeats beschreiben Mojica und seine KollegInnen zusammen mit den Ergebnissen ihrer Forschung zur Anpassung an den Salzgehalt bei Haloferax mediterranei 1993 in der Augustausgabe von Molecular Microbiology auf den Seiten 613 bis 621.

Ausschnitt aus der DNA-Sequenz von H. mediterranei, die Mojica und seine KollegInnen im Artikel von 1993 veröffentlichten. Die Wiederholungssequenzen sind gelb markiert, dazwischen liegen die spacer-Sequenzen. Dies ist die erste Beschreibung von CRISPR-repeats bei Archaeen.

Screenshot: Anhäuser/Journal of Bacteriology

Es ist erst die dritte Beschreibung von CRISPR-Sequenzen weltweit, zwei Jahre nach den Niederländern Peter Hermanns und Jan van Embden bei Mycobacterium tuberculosis (siehe den Artikel „CRISPR, Tuberkulose und die Suche des Jan van Embden“) und sechs Jahre nach der allerersten Beschreibung durch die Japaner Yoshizumi Ishino und Atsuo Nakata bei Escherichia coli (siehe den Artikel „Herr Ishino und die wunderbare Ahnungslosigkeit“).

Titelseiten der ersten drei Arbeiten zu CRISPR-Sequenzen.
Dies sind die Titelseiten der ersten drei Arbeiten, in denen Forscher erstmals CRISPR-repeat-Sequenzen bei einer Art beschrieben: Bei Escherichia coli (li.), bei Mycobacterium tuberculosis (mitte), bei Haloferax mediterranei (re.). In allen drei Arbeitsgruppen in Japan, Niederlande und Spanien folgte eine weitere Arbeit, die die Sequenzen näher beleuchtete.

Genau wie die beiden anderen Arbeitsgruppen geht Mojica auf die sich wiederholenden Sequenzen – die repeats – nur kurz im Ergebnisteil des Artikels ein, und markiert sie in der transkribierten DNA-Sequenz, die sie Buchstabe für Buchstabe abbilden.

Der Faden der Japaner

Für die Zusammenfassung zu Beginn des Artikels scheint das Ergebnis nicht bedeutend genug, dafür erwähnen die AutorInnen die regelmäßig unterbrochenen, gleich langen repeats kurz im Diskussionsteil. Aber anders als die Niederländer verweisen sie auf die sehr ähnlichen Strukturen, die Nakata und seine Kollegen bei E. coli 1989 im zweiten Artikel der japanischen Arbeitsgruppe beschrieben hatte (siehe den Artikel "Herr Ishino und die wunderbare Ahnungslosigkeit"). Mojica nimmt den Faden auf, den die Japaner ausgelegt haben, und den die Niederländer damals übersahen:

„Das Vorhandensein der 30 Basenpaare langen Tandemwiederholungen im Klon m122 scheint auf ein sehr besonderes DNA-Merkmal hinzudeuten. Ähnliche Strukturen treten im E. coli-Chromosom auf, die sich wahrscheinlich in nicht kodierenden Regionen befinden, aber ihre biologische Rolle ist derzeit unbekannt (Nakata et al. 1989). In unserem Fall sind weitere Studien notwendig, um ihre Funktion zu klären.“

(Die Arbeit der Niederländer wird Mojica selbst erst ein paar Jahre später entdecken.)

Dass er die zweite Arbeit der Japaner zitieren kann, ist eine Mischung aus Glück und Fleiß: „Wir hatten damals ja kein PubMed, “ sagt er, und meint damit die größte Datenbank für biomedizinische Fachartikel der medizinischen Nationalbibliothek der USA im Internet. Mit PubMed finden Forscher heute in Sekundenschnelle Artikel zu bestimmten Suchbegriffen oder Autoren. PubMed ging aber erst 1996, drei Jahre nach Mojicas Artikel, online.

Für seine Literatur-Recherche steht dem Doktoranden lediglich eine kleine, klassische Bibliothek zur Verfügung. Sie hält nur die Jahrgänge von vier Fachjournalen der Mikrobiologie auf Papier bereit. „Wenn man nach einem bestimmten Thema suchte, wälzte man ein dickes Buch mit den Inhaltsverzeichnissen der Ausgaben“, erzählt Mojica. Sobald er darin etwas entdeckt, geht er ans Regal, sucht den schweren Einband des Jahrgangs mit der entsprechenden Ausgabe und nimmt ihn heraus, um den Artikel zu studieren. Das Problem: Es gibt sehr viele Artikel zu Wiederholungssequenzen. In den Genomen all der Arten des Planeten wimmelt es nur so von repeats in den unterschiedlichsten Längen und Abfolgen.

Mojicas Suche zieht sich über Wochen, vielleicht sogar Monate hin, so genau erinnert er sich nicht mehr. Der Vorgang ist ähnlich repetitiv wie die Sequenzen, nach denen er sucht: Inhaltsverzeichnisse nach verdächtig klingenden Titeln und Schlüsselbegriffen durchstöbern, Ausgabe und Seitenzahl notieren, den entsprechenden Band aus dem Regal hieven, den Artikel aufschlagen, überfliegen, nur um wieder und wieder festzustellen, dass es um andere repeats geht.

Bis der Spanier eines Tages – endlich – einen Titel im Journal of Bacteriology aus dem Jahr 1989 entdeckt; Atsuo Nakatas Text über repeats bei E. coli: „Unusual Nucleotide Arrangement with Repeated Sequences in the Escherichia coli K-12 Chromosome“ (siehe den Artikel: „Herr Ishino und die wunderbare Ahnungslosigkeit“).

Der Autor von der Universität von Osaka ist Mojica nicht bekannt. Als er aber den Artikel durchliest, schlägt sein Herz schneller. Nakata und seine Kollegen beschreiben Wiederholungssequenzen, die genauso aufgebaut sind wie seine: „Sie sprachen von repeats in Escherichia coli, die regelmäßig unterbrochen waren, die etwa dieselbe Länge hatten wie unsere und die palindromisch waren, auch wenn die eigentliche repeat-Sequenz ziemlich unterschiedlich ausfiel.“ (Was ist palindromisch? Siehe hier für eine Animation und Erklärung).

(In Nakatas Artikel entdeckt er auch, dass es in dessen Arbeitsgruppe Yoshizumi Ishino war, der bereits 1987 das prägnante repeat-spacer-Muster in E. coli erstmals beschrieben hatte. Mojica führt den Artikel indes in keinem seiner drei Artikel in diesen Jahren auf.)

Der direkte Vergleich der repeat- und spacer-Sequenzen offenbart, wie ähnlich die Strukturen bei Escherichia coli (Ishino und Nakata) und dem Archaeon Haloferax mediterranei (Mojica und Rodriguez-Valera) sind. Zugleich zeigt sich, wie unterschiedlich die Sequenzen der repeats ausfallen. (Start der Animation durch Klick auf Check!)

Mojica ist elektrisiert: „Es war so erstaunlich, dass das Bakterium E. coli und diese salzliebenden Archaeen so ähnliche repeats besitzen.“ Eine Struktur, die so auffällig gebaut ist und auf dem Stammbaum des Lebens auf gleich zwei der drei Hauptäste zu finden ist, könnte etwas sehr Grundlegendes sein.

Stammbaum von Mikroben
Haloferax mediterranei und Escherichia coli besitzen beide ein überraschend ähnliches repeats-spacer-Muster, obwohl sie verwandtschaftlich sehr, sehr weit auseinander liegen, auf jeweils einem der drei Hauptäste des Stammbaums des Lebens.

Mojica weiß, was er in den nächsten Jahren erforschen will.

Damit gibt es Anfang der 1990er Jahre drei Forschungsgruppen in der Welt, die die CRISPR-repeat-Sequenzen kennen: in Japan, in den Niederlanden und in Spanien. Doch nur ein Forscher wird die Spur in den nächsten Jahren konsequent weiterverfolgen, um dem Geheimnis des repeat-spacer-Musters auf die Spur zu kommen: Francisco Juan Martínez Mojica.

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Lies weiter in Teil 2: Wie Francisco Mojica versucht, zu erforschen, welche Rolle die CRISPR-repeats spielen, und wie er dabei einen Rückschlag nach dem anderen hinnehmen muss …

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Mojica, F. J. M., et al. (1993): Transcription at different salinities of Haloferax mediterranei sequences adjacent to partially modified Psfl sites, Molecular Microbiology, Band 9, Nr. 3, Seite 613–621

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