Tunesien fürchtet die Auswirkungen der zweiten Welle der Corona-Pandemie

Nachdem das Land Ende Juni nach einer quasi mustergültig gemeisterten ersten Mini-Welle die Grenzen geöffnet hat, gingen die Zahlen schnell wieder in die Höhe – deutlich schneller als im März.

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Eine Krankenpflegerin mit Kittel und Maske sitzt auf einem Krankenbett und schaut einen kleinen Roboter an.

Wie entwickelt sich die Corona-Pandemie in Tunesien?

Nachdem das Land Ende Juni nach einer quasi mustergültig gemeisterten ersten Mini-Welle die Grenzen geöffnet hat, gingen die Zahlen schnell wieder in die Höhe – deutlich schneller als im März. Damals ging das Land bei gut zwanzig bekannten aktiven Fällen in den Lockdown. Jetzt, Ende August und damit knapp zwei Monate nach Öffnung, liegen die Zahlen so hoch, wie sie während der ersten Welle nie waren. Die täglichen Fallzahlen sind teils doppelt so hoch wie während der ersten Welle. Das bestätigt Kritikerïnnen, die es am liebsten gesehen hätten, wenn die Grenzen nur für Personen mit Wohnsitz im Land geöffnet blieben. Doch einen längeren Lockdown hätte sich das Land wirtschaftlich nicht leisten können.

Gleichzeitig lässt sich die Zunahme der Infektionen bei weitem nicht nur mit der Grenzöffnung erklären. Auch in Tunesien ist Ferienzeit, Sommer, und gerade junge Leute gehen aus und feiern oder treffen Freunde. Außerdem finden die meisten Hochzeitsfeiern im Sommer statt. Und, ganz wichtig: Ende Juli war das muslimische Opferfest, das bedeutet: Familien und Freunde treffen sich, und viele Tunesierïnnen reisen durchs ganze Land. Während es sich bei den meisten Infizierten der zweiten Welle am Anfang um Reisende aus dem Ausland handelte, sind in den vergangenen Wochen die lokalen Infektionen in die Höhe geschossen.

Was ist in Tunesien besonders oder anders als in anderen Teilen der Welt?

Auch wenn die absoluten Zahlen aus Deutschland betrachtet auf den ersten Blick fast lächerlich niedrig wirken, stellen sie das Land potentiell vor ein großes Problem. Denn das Gesundheitssystem ist schlecht ausgestattet und droht, mit einer hohen Anzahl von Fällen in kurzer Zeit nicht fertig zu werden. Beispielhaft beobachten lässt sich das am derzeit größten Infektionsherd des Landes, dem Bezirk Gabes im Südosten des Landes. Dort gab es in den vergangenen 14 Tagen mehr als 500 Neuinfektionen, fast alle in der Kleinstadt El Hamma, die rund 40 000 Einwohner hat. Doch El Hamma hat kein funktionierendes Krankenhaus und alle sechs Mitarbeiter des Notarzt-Teams in Gabes, der nächsten größeren Stadt, sind inzwischen selbst mit dem Coronavirus infiziert. Das mittlerweile aufgebaute Feldlazarett des Militärs kommt unterdessen bei Temperaturen von weit über 40°C mit dem Testen und Behandeln kaum hinterher. Während der Gouverneur von Gabes beschwichtigt, die Situation sei unter Kontrolle, schrie der Bürgermeister der inzwischen abgeriegelten Stadt in einem Facebook-Video regelrecht um Hilfe. Das Krankenhaus habe seit elf Jahren keinen ständigen Direktor mehr, keine Verwaltung und zu wenig Ärzte. Den Transport von Kranken und Toten übernehme jetzt die Gemeinde. Ein Greis, der an Covid19 verstorben ist, habe an seinem Todestag vier Stunden vor dem Krankenhaus ausgeharrt und gebettelt, dass sich jemand um ihn kümmere.

All das scheint im Norden in den Großstädten weit weg und kaum jemanden zu beeindrucken. Masken und Abstand sind die Ausnahme, Märkte und Cafés, Kneipen und Clubs voll. Doch auch hier sei es nur eine Frage der Zeit, bis es zu Clustern komme, so die Behörden, zumal sich auch in Tunesien bei der zweiten Welle vor allem junge Leute infiziert haben. 90 % der positiv getesteten Personen zeigten keine Symptome, gab Nissaf Ben Aliya, Leiterin der Tunesischen Beobachtungsstelle für neue Krankheiten, bekannt. Während zu Zeiten des Lockdowns alle positiv Getesteten in extra eingerichteten Quarantänezentren untergebracht wurden, sind diese inzwischen überfüllt. Asymptomatische Personen sollten sich daher zu Hause isolieren – dabei waren es gerade die Quarantänezentren, die es Tunesien ermöglicht hatten, die erste Welle abzuflachen.

Wie geht Tunesien mit Tourismus und Reisen um?

Die Tourismusindustrie hatte in Tunesien Druck gemacht, die Grenzen und Hotels wieder zu öffnen. Denn sie ist ein wichtiger Arbeitgeber. Der Tourismus macht rund zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Die Hotels müssen ein striktes Hygieneprotokoll befolgen. Doch viele Reisende sind letztendlich nicht gekommen. Zum einen liegt das an unterschiedlichen Regularien in den Herkunftsländern. So stuft zum Beispiel das Robert Koch-Institut Tunesien nicht als Risikoland ein, allerdings besteht weiterhin eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Zum anderen gelten in Tunesien eine Reihe von Einschränkungen für Reisende aus verschiedenen Ländern, die vor allem Individualreisende abschrecken.

Das Land hat eine Art Ampelsystem eingeführt. Individualreisende von der grünen Liste müssen nicht in Quarantäne. Wer aus Ländern kommt, die orange eingestuft sind, muss sich zu Hause oder in einem Hotel isolieren und entweder nach einer Woche einen Test machen, oder aber eine weitere Isolations-Woche dranhängen – außer, man kommt im Rahmen einer Pauschalreise und macht speziell organisierte Ausflüge. Aus roten Ländern dürfen überhaupt nur Personen mit Wohnsitz in Tunesien einreisen. Diese werden zwei Wochen lang in staatlicher Quarantäne untergebracht. Deutschland stand lange auf der grünen Liste. Nachdem allerdings die Zahlen konstant steigen, steht es nun wie auch Frankreich, Österreich und die Schweiz auf orange. Negative Tests vor der Abreise sind inzwischen für Reisende aus allen Ländern verpflichtend.

Wie sieht die Situation in Deutschland von Tunesien betrachtet aus?

Die Situation in Deutschland ist in Tunesien kein dominierendes Thema – vielleicht auch, weil bis jetzt kaum Fälle bekannt geworden sind, in denen Reisende aus Deutschland andere infiziert haben. Aber auch, weil der Zugang zu Medien auf französisch, englisch oder italienisch einfacher ist. Hängengeblieben sind allerdings Bilder der Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen, auf die ich immer wieder angesprochen werde, sowie die Lieferung von Tests und Medizinprodukten aus Deutschland am Anfang der Pandemie.