Covid-19: Jetzt beginnt die große Suche nach dem Wirkstoff, der Coronaviren hemmt

In Rekordzeit lässt die Weltgesundheitsorganisation weltweit erproben, ob bereits zugelassene Medikamente gegen das neuartige Coronavirus wirken. Von Kai Kupferschmidt

13 Minuten
Das Bild zeigt eine große Zahl von weißen Tabletten auf einem Haufen. Das soll symbolisieren, dass es bisher keinen Wirkstoff gibt, aber mit Hochdruck nach ihm gesucht wird.

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Zum Autor: Kai Kupferschmidt hat molekulare Biomedizin studiert und arbeitet als Wissenschaftsautor in Berlin, vor allem für „Science Magazine", wo dieser Beitrag auf Englisch erschienen ist.

Ein Wirkstoffcocktail, der gegen HIV eingesetzt wird; eine Malaria-Pille, die erstmals während des Zweiten Weltkriegs getestet wurde; ein neues antivirales Medikament, das im Kampf gegen Ebola enttäuscht hat. Könnte eine dieser Therapien Patienten mit der Coronavirus-Krankheit (Covid-19) vor schweren Symptomen schützen und Leben retten?

Vor einigen Tagen kündigte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine weltweite Studie mit dem Namen „SOLIDARITY“ an. Ziel ist es herauszufinden, wie man Infektionen mit dem neuen Coronavirus und die gefährliche Atemwegserkrankung, die das Virus bei manchen auslöst, behandeln kann.

Es ist ein beispielloses Projekt: Ein Wettlauf mit der Zeit, der Versuch inmitten einer tödlichen Pandemie, verlässliche wissenschaftliche Daten zu sammeln, auszuwerten und im Erfolgsfall für die Bekämpfung der Seuche einzusetzen. An der Studie sollen Tausende von Patienten in Dutzenden Ländern teilnehmen. Der Aufbau der Studie, die in wenigen Tagen beginnen soll, ist denkbar einfach gewählt, damit selbst Krankenhäuser daran teilnehmen können, die mit einem Ansturm von Covid-19-Patienten konfrontiert sind.

Wenn eine Person mit einem bestätigten Fall von Covid-19 als geeignet angesehen wird, kann der Arzt die Daten des Patienten auf einer WHO-Website eingeben, einschließlich aller zugrunde liegenden Erkrankungen, die den Verlauf der Krankheit ändern könnten, wie zum Beispiel Diabetes oder eine HIV-Infektion.

Der Teilnehmer muss eine Einverständniserklärung unterschreiben, die gescannt und elektronisch an die WHO geschickt wird. Nachdem der Arzt angegeben hat, welche Medikamente in seinem Krankenhaus verfügbar sind, wird für den Patient auf der Website nach dem Zufallsprinzip festgelegt, ob er eines der zu testenden Medikamente oder die im Krankenhaus übliche Standardbehandlung für Covid-19 erhält.

Die Zeit ist knapp und es steht viel auf dem Spiel

„Danach sind keine weiteren Messungen oder Dokumentationen mehr erforderlich“, sagt Ana Maria Henao Restrepo, Referentin in der Abteilung für Impfstoffe und Biopharmazeutika der WHO. Die Ärzte erfassen den Tag, an dem der Patient das Krankenhaus verlassen hat oder gestorben ist, die Dauer des Krankenhausaufenthalts und ob der Patient Sauerstoff oder Beatmung benötigt hat, sagt sie. „Das ist alles.“

Die Zeit ist knapp und es steht viel auf dem Spiel: Da etwa 15 Prozent der Covid-19-Patienten an einer schweren Krankheit leiden und die Krankenhäuser überlastet sind, sind Behandlungen dringend erforderlich. Anstatt also von Grund auf neue Wirkstoffe zu entwickeln und zu testen, deren Entwicklung und Erprobung Jahre dauern kann, versuchen Forscher und Gesundheitsbehörden Medikamente, die bereits für andere Krankheiten zugelassen und als weitgehend sicher bekannt sind, auf neue Weise einzusetzen. Die Wissenschaftler befassen sich auch mit nicht zugelassenen Medikamenten, die in Tierversuchen mit den beiden anderen tödlichen Coronaviren, die die Atemwegserkrankungen SARS und MERS verursachen, gut abgeschnitten haben.

Medikamente, die das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 daran hindern, sich zu vermehren oder es auf andere Weise beseitigen, könnten nicht nur das Leben schwerkranker Patienten retten, sie könnten auch prophylaktisch verabreicht werden, um Gesundheitspersonal und andere Personen mit hohem Infektionsrisiko zu schützen. Die Behandlungen könnten die Zeit verkürzen, die Patienten auf der Intensivstation verbringen, und so dazu beitragen, einen Engpass an Krankenhausbetten zu verhindern.

Wissenschaftler haben Dutzende von bestehenden Verbindungen zur Prüfung vorgeschlagen. Die WHO konzentriert sich zunächst auf diese vier Therapien:

  • eine experimentelle antivirale Substanz namens Remdesivir
  • die eng verwandten Malariamedikamente Chloroquin und Hydroxychloroquin
  • eine Kombination von zwei HIV-Medikamenten, Lopinavir und Ritonavir
  • und dieselbe Kombination plus Interferon-beta, ein Botenstoff den das menschliche Immunsystem nutzt, um Viren zu lähmen

Einige Daten über die Anwendung dieser Mittel bei Covid-19-Patienten sind bereits bekannt. Die Anwendung der HIV-Kombination etwa ist in einer kleinen Studie in China gescheitert. Aber die WHO hält eine großangelegte Studie mit mehr Patienten für gerechtfertigt.

Das Symbolfoto stellt einen Patienten auf der Intensivstation eines Krankenhauses dar. Ein Monitor stellt Informationen über seinen Gesundheitszustand dar.
Mehr als 500.000 Menschen wurden zwischen Dezember 2019 und März 2020 mit dem neuartigen Virus SARS-CoV-2 infiziert, viele von ihnen mussten zur Behandlung auf die Intensivstation. Die Angst geht um, dass die Pandemie in den kommenden Wochen das Gesundheitssystem noch stärker überfordern könnte als es in einzelnen Regionen und Städten schon jetzt der Fall ist. Der Suche nach einem Wirkstoff kommt deshalb zentrale Bedeutung zu.
Das Symbolfoto zeigt eine Wissenschaftlerin im Labor. Sie trägt einen Mundschutz und hat eine Pipette in der Hand, mit der sie etwas in eine Petrischale träufelt. Auch ein Mikroskop ist auf dem Bild dargestellt.
Mit Hochdruck arbeiten Wissenschaftler (Symbolfoto) daran, Wirkstoffe gegen die Krankheit Covid-19 zu identifizieren. Die Weltgesundheitsorganisation hat nun eine Studie initiiert, bei der in zahlreichen Länder die Wirksamkeit von Medikamenten untersucht wird, die für andere Krankheiten bereits zugelassen sind. Deren Einsatz ist leichter als bei einem komplett neu entwickelten Medikament, das erst alle Stufen der Zulassung durchlaufen müsste.