Corona-News: Infos, gute Quellen, verlässliche Fakten aus dem Reporterblock von Kai Kupferschmidt

67 Minuten
Die Abbildung ist ein Modell des Coronavirus, das eine Künstlerin erstellt hat.

Liebe Leserin, lieber Leser,

nachdem die Aufmerksamkeit für die WHO-Pressebriefings und die neuesten Zahlen zur Coronakrise inzwischen in allen Medien sehr hoch ist, beenden wir diesen Ticker, der Ihnen hoffentlich gute Dienste geleistet hat.

Bei RiffReporter berichten WissenschaftsjournalistInnen und KorrespondentInnen auf fünf Kontinenten für Sie über die Pandemie. Hier finden Sie unsere umfangreiche Berichterstattung:

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WHO bemüht sich nach Trump-Attacke um Schadensbegrenzung

Mein Kurzbericht von der Pressekonferenz der Weltgesundheitsorganisation am 15.April.: WHO-Chef Tedros kommentiert zu Beginn die Ankündigung von US-Präsident Trump, die Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation einzufrieren. Die USA sei „ein langjähriger und großzügiger Freund der WHO, und wir hoffen, dass dies auch weiterhin der Fall sein wird.“ Er bedauere die Entscheidung des US-Präsidenten. Die WHO prüfe derzeit die Auswirkungen einer Einstellung der US-Finanzierung auf unsere Arbeit.

Tedros fügte hinzu, man werde „mit unseren Partnern zusammenarbeiten, um etwaige finanzielle Lücken zu schließen und sicherzustellen, dass unsere Arbeit ununterbrochen fortgesetzt wird". Auftrag und Mandat der WHO bestehe darin, mit allen Nationen gleichermaßen zusammenzuarbeiten, ohne Rücksicht auf die Größe ihrer Bevölkerung oder Wirtschaft. Covid-19 diskriminiere nicht zwischen reichen und armen, großen und kleinen Nationen und „wir auch nicht.“ Tedros appelliert an den Zusammenhalt: „Dies ist für uns alle eine Zeit, in der wir in unserem gemeinsamen Kampf gegen eine gemeinsame Bedrohung vereint sind“. Er warnt vor getrenntem Vorgehen: "Wenn wir geteilt sind, nutzt das Coronavirus die Risse zwischen uns aus.“

Gleichwohl geht Tedros auf die Kritik von Trump dennoch ein: Die Leistung der WHO bei der Bekämpfung der Pandemie werde von den Mitgliedsstaaten und unabhängigen Stellen überprüft werden. „Zweifellos werden Bereiche mit Verbesserungsbedarf ermittelt, und wir alle werden daraus Lehren ziehen können“, sagt er. Im Moment liege „unser Schwerpunkt, mein Schwerpunkt, darauf, das Coronavirus zu stoppen und Leben zu retten". Die WHO sei vielen Nationen, Organisationen und Einzelpersonen dankbar, die ihre Unterstützung und ihr Engagement für die WHO in den vergangenen Tagen nochmal bekräftigt hätten.

Auf die Frage eines Journalisten aus den USA, ob sich die Entscheidung der USA auf die Einsatzfähigkeit der WHO auswirken werde, antwortet Tedros: „Wir prüfen, wie unsere Programme betroffen sein werden. (…) wir werden versuchen, eventuelle Lücken mit Partnern zu füllen.“

Eine weitere Frage zielt darauf ab, ob es problematisch sei, dass Taiwan nicht in der WHO vertreten ist und ob die Volksrepublik China die ersten Alarmsignale verpasst habe. Mike Ryan, Leiter des WHO-Programms für medizinische Notstandssituationen, betont, dass es am 31. Dezember 2018 mehrere Berichte über eine Häufung von Lungenentzündungen gegeben habe. Sie hätte sich alle auf eine Pressemitteilung der Gesundheitsbehörde von Wuhan bezogen. Zur Taiwanfrage erklärt der Leiter der Rechtsabteilung, Steven Solomon, dass solche Entscheidungen von den WHO-Mitgliedsstaaten getroffen werden: „Die WHO ist Teil der UNO.“ Er sagt, dass die UN-Länder 1971 beschlossen hätten, die Volksrepublik China als einzigen legitimen Vertreter Chinas zu akzeptieren. 1972 hätten sich dem die WHO-Mitgliedstaaten angeschlossen.

Weitere interessante Punkte:

Mike Ryan äußert sich zur Wirksamkeit von körperlichem Abstand: Wir müssten uns alle an neue Formen des menschlichen Miteinanders gewöhnen, während wir versuchen, die Ausbreitung des Virus zu unterdrücken und Impfstoffe zu entwickeln. Die WHO-Epidemiologin Maria Van Kerkhove ermuntert dazu, aufeinander aufzupassen: „Es gibt keinen Lockdown beim Lachen, es gibt keinen Lockdown beim Gespräch mit der Familie“.

Die Journalistin Helen Branswell von StatNews fragt, wie zuverlässig serologische Tests sind und welche Ergebnisse sie zeigen. Maria Van Kerkhove antwortet, es gebe eine große Anzahl von Schnelltests, die jetzt im Handel erhältlich seien. Diese müssten aber noch validiert werden. " Dieser Prozess sei noch nicht abgeschlossen.

Maria Van Kerkhove erwähnt auch erste Ergebnisse, etwa die Heinsberg-Studie und eine weitere Studie aus Dänemark. Leider gebe es noch keine vollständige Dokumentation dazu. Die WHO müsse die Methoden, die dabei zum Einsatz kamen, zunächst gut verstehen, etwa die Spezifität und Empfindlichkeit der Tests. Der Prozentsatz der Menschen, die in diesen ersten Studien als antikörper-positiv befunden wurden, sei „niedriger, als viele Menschen erwartet hatten“.

Nochmals auf den Vorwurf angesprochen, die WHO habe womöglich zu spät gehandelt und sich gegen Flugbeschränkungen ausgesprochen, sagt Mike Ryan: „Wir werden wie nach jeder Pandemie alle von uns allen ergriffenen Maßnahmen überprüfen.“ Die WHO habe am 5. Januar die Welt alarmiert. Jedes Jahr gebe es Millionen und Abermillionen von Fällen atypischer Lungenentzündung auf der ganzen Welt. Es sei eigentlich „ziemlich bemerkenswert, dass eine solche Häufung von 41 bestätigten Fällen in Wuhan detektiert wurde.“ Die Verhängung von Flugbeschränkungen sei aber die souveräne Verantwortung eines jeden Mitgliedsstaates."

Maria Van Kerkhove betont, sie habe sich die WHO-Pressekonferenz vom 14. Januar erneut angehört. Es sei ihre erste Pressekonferenz überhaupt gewesen. (Das bedeutet dann wohl, dass ich jede Pressekonferenz miterlebt habe, die sie jemals gemacht hat…) Damals sei es noch um die Frage gegangen, ob überhaupt eine Übertragung von Mensch zu Mensch stattfinde.

Zum Schluss geht es noch um die Frage, ob die warme Jahreszeit das Virus zurückdrängen werde. Mike Ryan macht keine Hoffnung, dass dem so sein wird. „Wir werden vielleicht lernen müssen, mit diesem Virus zu leben.“ Es besitze die Fähigkeit, sich in verschiedenen Klimazonen auszubreiten. Maria Van Kerkhove schließt mit den Worten, wir müssten das Virus überall dort, wo es auftauche, so aggressiv wie möglich bekämpfen, um ihm keine Chance zu geben, durchzustarten.

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Aktuelle wissenschaftsjournalistische Lesetipps

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Eignen sich die Malaria-Medikamente Chloroquin und Hydroxychloroquin zur Vorbeugung von Covid-19?

9. April 2020

Studien, die untersuchen, ob Chloroqin (ein Medikament gegen Malaria und rheumatische Krankheiten) und andere Medikamente geeignet für die Behandlung von Covid-19-Patienten sind, haben zuletzt viel Aufmerksamkeit bekommen. Aber es gibt auch einige Studien, die herausfinden sollen, ob diese Arzneimittel auch dafür geeignet sind, einer Covid-19-Erkrankung vorzubeugen. Über dieses Thema habe ich diesen Artikel im Science Magazin veröffentlicht, den ich hier kurz zusammenfasse.

Warum gibt es Studien zu dieser Frage? So lange es keine Impfung gibt, die einen Schutz vor Covid-19 bieten kann, wären Medikamente zur Prävention ein großer Segen. Sie könnten den Druck auf die Krankenhäuser reduzieren, verletzliche Bevölkerungsgruppen schützen und das Gesundheitssystem funktionsfähig halten. Sie könnten besonders auch in ärmeren Ländern helfen, Covid-19 zu bekämpfen. Der Malariaforscher Nicholas White meint: “Labile Gesundheitssysteme, in denen einige Ärzt und Pflegekräfte ausfallen, können schnell zusammenbrechen.”

Ein Forschungsansatz beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Prophylaxe nach einem Kontakt mit dem Coronavirus, die sogenannte Post-Expositions-Prophylaxe: PEP. Dann könnten Menschen, die Kontakt zu einem Menschen mit einer bestätigten Infektion hatten, für kurze Zeit Medikamente nehmen, in der Hoffnung, damit die Erkrankung und das Weitertragen des Virus zu verhindern.

Eine solche Studie startete im März in Barcelona. Oriol Mitja, Professor für Infektionskrankheiten und Global Health, leitet das Forschungsteam. Mit der Studie hofft man zeigen zu können, dass Menschen, die bekanntermaßen Kontakt zu infizierten Menschen hatten – medizinische Teams, Bewohner von Pflegeeinrichtungen und Menschen, die im gleichen Haushalt leben – durch die Gabe von Hydroxychoroquin für vier Tage geschützt werden könnten.

Die Methode der Studie erinnert an die Ringstudie zu Ebola: Menschen, die in den vergangenen 5 Tagen circa 15 Minuten Kontakt zu einer Person hatten, bei der eine Infektion frisch bestätigt wurde, werden identifiziert. Anschließend werden sie zufällig einer Probandengruppe zugeteilt: eine Gruppe bekommt Hydroxychloroquin, die zweite wird nicht behandelt (in dieser Studie wird kein Placebo-Medikament eingesetzt). Die Forscher zählen dann, wie viele Probanden in beiden Gruppen nach 14 Tagen jeweils Symptome entwickelt haben. Die Ergebnisse der ersten 1000 Kontakte könnten bereits in den nächsten Tagen veröffentlicht werden.

Viele solcher PEP-Studien starten gerade, zum Beispiel in New York, in Minnesota und Washington.

Ein anderer Forschungsansatz besteht in der Prophylaxe vor einem Kontakt mit dem Virus, der sogenannte Prä-Expositions-Prophylaxe: PrEP. Diese Art der Prophylaxe wäre vor allem für medizinische Teams interessant, die ein solche Mittel monatelang nehmen könnten, um ihr eigenes Infektionsrisiko zu reduzieren. Eine große Studie dieser Art wird vom Malaria-Forscher Nicholas White betreut und startet im Laufe des Aprils. Geplant ist, 40.000 Menschen aus medizinischen Berufen in Asien, Europa und Afrika drei Monate lang Hydroxychloroquin, Chloroquin oder ein Placebo-Mittel zu geben und anschließend die Zahl der symptomatischen Infektionen in den einzelnen Gruppen miteinander zu vergleichen.

In einigen Ländern, wie zum Beispiel in Indien, wurden bereits Empfehlungen für Chloroquin und Hydroxychloroquin ausgesprochen. Das ist allerdings eine schlechte Idee, aus fünf Gründen:

  1. Wir wissen nicht, ob dieser Ansatz überhaupt funktioniert
  2. Es gibt Nebenwirkungen, inklusive möglicher schwerer Herzschäden
  3. Es könnte das Infektionsrisiko erhöhen, wenn sich Menschen dadurch in falscher Sicherheit wähnen
  4. Es könnte für einen Mangel an diesen für andere Patientengruppen wichtigen Medikamenten sorgen
  5. Die Medikamentenstudien können in diesen Ländern nicht durchgeführt werden (Indien musste bereits aus der Studie von Nicholas White ausgeschlossen werden.)

Durch solche Empfehlungen verzögert sich also wichtige Forschung, die man für eindeutige Antworten braucht.

Im Moment gibt es noch keine eindeutigen Belege dafür, dass Chloroquin und Hydroxychloroquin gegen Covid-19 wirken. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Medikamente zu spät im Verlauf der Krankheit gegeben wurden. Wenn sich dieser Grund als berechtigt herausstellen sollte, könnten die PEP- und PrEP-Studien die beste Chance bieten, aussagekräftige Antworten zu bekommen.

Neu: Der Pandemie-Podcast von Kai Kupferschmidt, Laura Salm und Nicolas Semak bei 4000Hertz in Kooperation mit RiffReporter:

In diesem Artikel bieten wir RiffReporter fortlaufend News, Impressionen und Einschätzungen live aus den Recherchen des Wissenschaftsjournalisten Kai Kupferschmidt zur Corona-Pandemie. Kai hat molekulare Biomedizin studiert und berichtet seit vielen Jahren über Infektionskrankheiten für Medien wie Science Magazine, ZEIT und FAS.
Wie dieses Angebot funktioniert: Kai teilt auf Twitter hauptsächlich in englischer Sprache seine Recherchen und Erkenntnisse. Hier möchten wir diese und zusätzliche Informationen allen Interessierten auf Deutsch zugänglich machen. Silke Jäger (sj) und Christian Schwägerl (cs) wählen Informationen aus, übertragen sie ins Deutsche und ergänzen Inhalte und Quellen. Kai bearbeitet die Einträge, wenn er zwischen seinen zahlreichen Terminen Zeit dafür hat. Die Texte werden fortlaufend verändert und neuen Erkenntnissen angepasst.
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Sollen alle Menschen Mundschutzmasken tragen? – Neue Handlungsempfehlungen für die Politik

8. April 2020

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine neue vorläufige Handlungsempfehlung für die Verwendung von Mundschutzmasken zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie veröffentlicht. Die Empfehlung hält keine größeren Überraschungen bereit, vieles hatte die WHO bereits zuvor gesagt.

Zuerst fasst das Dokument zusammen, was die WHO über die Verbreitung von Covid-19 weiß. Die meisten Übertragungen des Virus sind auf Tröpfcheninfektionen von Menschen mit Symptomen zurückzuführen, aber auch symptomlose Infizierte tragen zur Ausbreitung bei.

Wie schätzt die WHO die Wissenslage über Mundschutzmasken in der Öffentlichkeit ein? Das lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:

  1. Es gibt Belege dafür, dass Mundschutzmasken dazu beitragen, dass eine infizierte Person weniger Tröpfchen an die Umwelt abgibt und Tröpfchen nicht infizierte Menschen schlechter erreichen.
  2. Es gibt eingeschränkte Belege dafür, dass eine Mundschutzmaske nicht infizierte Menschen davor schützt, sich bei einer infizierten Person aus demselben Haushalt oder bei einer Massenveranstaltung anzustecken.
  3. Es gibt keine Belege dafür, dass eine nicht infizierte Person allein dadurch vor einer Infektion geschützt werden kann, dass alle Mitglieder einer Gemeinschaft Mundschutzmasken tragen.

Welche Empfehlungen leitet die WHO daraus für Politiker ab, die darüber nachdenken, ob sie das Tragen einer Mundschutzmaske in der Öffentlichkeit empfehlen oder anordnen sollten?

Für diese Maßnahme spricht, dass Mundschutzmasken das Risiko reduzieren könnten, dass infizierte Menschen ohne Symptome das Virus unbemerkt weitertragen. Weiterhin wären infizierte Menschen, die zum Schutz ihrer Umgebung eine Mundschutzmaske anlegen, weniger stark stigmatisiert, wenn viele Menschen Masken tragen.

Gegen diese Maßnahme spricht laut WHO, dass Mundschutzmasken eine falsche Sicherheit vermitteln könnten und die Menschen dadurch andere Schutzmaßnahmen, wie zum Beispiel körperlich Abstand zu halten, vernachlässigen. Außerdem könnte eine allgemeine Empfehlung den Mangel an Schutzkleidung für medizinisches Personal verschärfen und die Materialknappheit für dringender benötigte Maßnahmen vergrößern. Weiterhin können Mundschutzmasken zu Schwierigkeiten beim Atmen führen und das Risiko erhöhen, sich an kontaminierten Masken selbst zu infizieren bei einem unsachgemäßen Gebrauch.

Die meisten der Nachteile könnten wahrscheinlich durch eine klare Kommunikation reduziert werden, dass Mundschutzmasken keinen entscheidenden Unterschied machen können. Außerdem könnten Mundschutzmasken für die Bevölkerung von ihr selbst gefertigt werden, um den Mangel für medizinisches Personal nicht zu verschärfen. Trotzdem ist unklar, ob Mundschutzmasken einen Netto-Vorteil bieten können. Dennoch, einen Versuch ist es wohl wert.

Unabhängig davon, welcher Weg gewählt wird, ist es entscheidend, eine durchdachte Kommunikationsstrategie zu entwickeln, damit die Bevölkerung die Umstände, die Kriterien und die Gründe für die Entscheidung nachvollziehen kann. Was bei der Vorstellung der Handlungsempfehlung verpasst wurde, ist der Hinweis, dass begleitende Forschung sinnvoll ist. Die WHO hat neben diesen Empfehlungen für Mundschutzmasken für die Bevölkerung auch spezielle Empfehlungen. Menschen, die sich vermutlich mit dem Virus angesteckt haben oder angesteckt sein könnten, weil sie milde Symptome haben, sollten nach Möglichkeit eine Atemschutzmaske tragen, die sie mindestens einmal am Tag wechseln sollten. Wer im selben Haushalt wie eine solche Person wohnt oder sich im gleichen Zimmer aufhält, sollte ebenfalls eine Atemschutzmaske tragen, so die Empfehlung.

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Erste klinische Studie für ein Arzneimittel gegen Covid-19 angelaufen

3. April 2020

Es gibt in diesen Tagen auch gute Nachrichten: Forscher in Dänemark haben begonnen, ein Arzneimittel an Menschen zu testen, in das einige Hoffnung gesetzt wird. Erst vor circa einem Monat zeigten Zellversuche, dass der Wirkstoff das Virus stoppen konnte. In diesem Artikel im Science Magazin wird diese Forschung ausführlicher vorgestellt. Hier erkläre ich kurz die Strategie der Forscher und warum sich damit eine Hoffnung für Covid-19-Patienten verbindet.

Der Bedarf ist offensichtlich: Im Moment haben wir nur nicht-pharmazeutische Möglichkeiten, auf die Pandemie zu reagieren, wie beispielsweise körperlich Abstand zu halten. Bis eine Impfung soweit sein wird, dass sie eingesetzt werden kann, werden noch viele Monate vergehen. Wirksame Arzneimittel wären deshalb eine große Hilfe.

Um die Krankheit Covid19 zu behandeln, könnten Ärzte zwei Dinge tun:

  1. Das Virus selbst bekämpfen und davon abhalten, sich zu vermehren
  2. Die Immunantwort reduzieren, die dafür verantwortlich sein könnte, dass es zu den deutlichen Schäden in der letzten Phase eines schweren Krankheitsverlaufs kommt

Wahrscheinlich wird eine Kombination dieser beiden Ansätze den größten Erfolg bringen.

Stanley Perlman forscht zu Coronaviren an der Universität von Iowa und sagt dazu im Interview: “Wenn Sie nur das Virus bekämpfen und nicht gleichzeitig die Immunantwort des Wirts (also des Menschen, der sich infiziert hat), könnte es passieren, dass Sie nichts erreichen. Wenn Sie nur die Immunantwort des Wirtsorganismus reduzieren und den Virus an sich nicht bekämpfen, könnte das zu einer Steigerung der Virusvermehrung führen. Das wäre ebenfalls ein Problem.”

Bei Strategie Nummer 1, Bekämpfung des Virus, gibt es wiederum zwei Wege:

  1. Das Virus direkt anvisieren, zum Beispiel, indem man die Proteine blockiert, die das Virus für sich selbst produziert. Nach dieser Wirkweise funktionieren andere Arzneimittel, die gerade in einer großen Studie getestet werden: Remdesevir (ein Ebola-Mittel) und Kaletra (ein HIV-Mittel)
  2. Den Wirtsorganismus anvisieren

Nevan Krogan vom Gladstone Institut in Kalifornien sagt dazu: “Das Virus kann allein nicht bestehen. Zum Überleben und für seine Vermehrung ist es auf unsere Gene und unsere Proteine angewiesen.” Daraus ergibt sich eine Strategie: Man muss etwas finden und blockieren, das das Virus von seinem Wirt braucht, worauf er selbst verzichten kann. Forscher nennen diese Strategie “Wirt-basierte Therapie”.

Das Arzneimittel, das ich in meinem Artikel vorstelle, heißt Camostat Mesylate. Es ist ein Beispiel für eine Wirt-basierte Therapie. Aber wie genau funktioniert es?

Camostat Mesylate bindet an ein Protein in menschlichen Zellen, das TMPRSS2 heißt. Das Virus SARS-CoV-2 benötigt dieses Protein, um effizient in menschliche Zellen eindringen zu können. Auf dem Virus befindet sich oben eine Proteinspitze, die an den ACE2-Rezeptor der Zellen andockt. Anschließend “schneidet” TMPRSS2 in die Proteinspitze ein. Wenn TMPRSS2 diese Spaltung nicht verursachen würde, könnte das Virus nicht in die Zelle eindringen. Das funktioniert in Zellkulturen im Labor. Die Forscher konnten das vergangenen Monat mit einer Virus-Probe eines Patienten aus Deutschland und Lungenzellen zeigen.

Weil das Medikament in Japan bereits zugelassen ist, konnten die dänischen Forscher in Rekordzeit eine klinische Studie auflegen und planen bereits für heute erste Tests an Patienten. Was immer in der Medikamentenforschung gilt, gilt auch hier: Es besteht das Risiko, dass es nicht funktioniert. Aber es ist ein weiterer Versuch, Fortschritt in der Covid19-Behandlung zu erreichen.

Camostat Mesylate ist als Tablette verfügbar und daher gegebenenfalls einfacher einzusetzen, als ein verwandter Wirkstoff, der ebenfalls in Japan zugelassen ist: Nafamostat Mesylate muss injiziert werden, kann aber möglicherweise ein weiterer Kandidat für ein Arzneimittel gegen Covid19 sein.


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Sind Mundschutzmasken für die Bevölkerung sinnvoll oder nicht?

Zusammenfassung der WHO-Pressekonferenz vom 30. März 2020

“Covid19 setzt die Gesundheitssysteme in vielen Ländern unter Druck”, sagt Dr. Tedros zu Beginn der WHO-Pressekonferenz. Er fährt fort mit den Erfahrungen, die man aus früheren Seuchenausbrüchen hat, wonach Todesfälle, die nicht auf das Virus zurückzuführen sind, dramatisch zunehmen, wenn Gesundheitssysteme überwältigt werden. “Obwohl wir mitten in einer Krise sind, muss die grundlegende Gesundheitsversorgung aufrecht erhalten werden”, sagt Tedros. Er erwähnt, dass die Einbindung von pensioniertem medizinischem Personal und Medizinstudenten dabei helfen kann. Außerdem ist es sinnvoll, Behandlungszentren für an Covid19 erkrankte Menschen einzurichten. Die WHO hat dazu einen Leitfaden veröffentlicht, der Unterstützung geben soll zur Umgestaltung von Stationen oder ganzen Kliniken und zur Errichtung von Behandlungszentren in Zelten. Wie sich Screening-Stationen in Kliniken aufbauen lassen oder Gemeinschaftseinrichtungen für Erkrankte mit milden Verlaufsformen ist ebenfalls Thema.

Tedros äußert sich auch zum Mangel an Schutzkleidung und andere Materialien für medizinisches Personal. Er ruft alle Nationen dazu auf, die Produktion zu erhöhen und sicherzustellen, dass das Material angemessen verteilt wird.

“Wir sehen, dass viele Länder im Moment die Bewegungsfreiheit ihrer Bürger einschränken. Dabei kommt es auch darauf an, die grundlegende Würde und das Wohlergehen aller Menschen zu respektieren, ” betont Tedros. Dazu sei es wichtig, dass Regierungen ihre Bürger darüber informieren, wie lange sie planen, die Einschränkungen aufrecht zu erhalten, ältere Bürger und andere verletzliche Gruppen unterstützen und sicherstellen, dass Menschen, die ohne Einkommen dastehen und verzweifelt um ihr Essen, Pflegeutensilien und anderes bangen, Hilfe bekämen.

Im Frageteil waren Medikamente Thema: Empfiehlt die WHO den Wirkstoff Chloroquin (ein Mittel, das gegen Malaria eingesetzt wird)? Dazu sagt Mike Ryan: “Um es deutlich zu sagen: Es gibt derzeit keinen Nachweis, dass ein Medikament gegen Covid19 wirkt.” Bei einer Reihe von Arzneimitteln gibt es Hoffnung, aber randomisierte Studien sind entscheidend. Die WHO plane derzeit nicht, diese Kandidaten in größerem Stil auszuprobieren und unterstütze das auch nicht. Das liegt zum einen daran, dass diese Medikamente benötigt werden, um sie gegen die Krankheiten einzusetzen, gegen die sie wirksam sind, um Patienten nicht zu gefährden, die auf diese Arzneimittel angewiesen sind.

Ryan betont, dass es einige Mittel gibt, die unter Laborbedingungen gegen das Virus Wirkung zeigen. Chloroquin gehöre dazu, es sei aber noch nicht klar, ob es auch im Menschen effektiv wirke und zudem sicher sei. Forschung sei nötig, um herauszufinden, wie die spezifische Wirkung des Arzneimittels auf die Erkrankung aussehe. Es sei zudem unwahrscheinlich, dass Arzneimittel wie Chloroquin Covid19 heilen, aber möglicherweise könne es den Verlauf verkürzen oder die Symptome abschwächen.

Ein anderes Thema waren Beatmungsgeräte, die in Afrika fehlen. Ryan weiß, dass dies ein Problem ist, aber betont, dass es auch ein Problem ist, den für die Beatmung nötigen Sauerstoff zur Verfügung zu haben. Die Möglichkeit der Sauerstoffzufuhr könne Leben retten.

Etwas verwirrend waren die Antworten, die die WHO auf die Frage nach dem Sinn von verpflichtendem Mundschutz in Österreich gab. Sowohl Mike Ryan als auch Marie van Kerkhove stellen heraus, dass die WHO nicht zu generellem Tragen von Mundschutz rät, weil die Belege fehlen, dass sie wirklich helfen sich vor infektionen zu schützen (offenbar bezogen auf denjenigen, der den Mundschutz trägt). Aber die Annahme Österreichs ist, dass die Übertragung verlangsamt wird, wenn Menschen Mundschutz tragen, die nicht wissen, dass sie infiziert sind. Ryan kannte jedoch nicht den genauen Inhalt der Verordnung, deshalb könnte es zu Missverständnissen kommen, wenn berichtet würde, dass die WHO diese Maßnahme für falsch halte.

“Die Bewegungseinschränkungen haben uns ein wenig Zeit verschafft”, sagt van Kerkhove. “Und dieses kleine Zeitfenster sollte sinnvoll genutzt werden, um Prozesse zu etablieren, mit denen sich das Virus entschlossen verfolgen lässt.”

Marie van Kerkhove sagt, dass es wenig quantitative Forschung über Mundschutzmasken gebe, und kommt auf Maßnahmen zu sprechen, die einen nachgewiesenen Effekt haben: zu Hause bleiben, Hände waschen, körperlich Abstand halten.

Weiterhin wurden Fragen nach Tests gestellt: Wie viele sind nötig? Ryan erklärt, dass in Ländern, in denen viele Tests gemacht werden, zwischen drei und 12 Prozent der Ergebnisse positiv seien. Die WHO würde sich wünschen, so Ryan weiter, dass auf 10 negative Tests höchstens ein positiver käme. Wenn sich das Verhältnis ändere, könnte das darauf hindeuten, dass viele Infizierte übersehen würden.

Ein Portrait von Kai Kupferschmidt
Der Wissenschaftsjournalist Kai Kupferschmidt beschäftigt sich intensiv mit Infektionskrankheiten und arbeitet zur Corona-Epidemie für führende Medien wie „Science Magazine“.

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WHO-Pressekonferenz vom 20. März: „Jeden Tag erreichen wir mit Covid-19 einen neuen tragischen Höhepunkt"

WHO-Generalsekretär Tedros eröffnet die Pressekonferenz mit den Worten: "Jeden Tag erreichen wir mit Covid-19 einen neuen tragischen Höhepunkt, wie es aussieht.” 210.000 Fälle insgesamt und 9000 Todesfälle, so sehen die Zahlen von heute aus. Aber es gibt auch Hoffnung. Wuhan meldete heute zum ersten Mal keine neuen Infizierten seit Beginn des Ausbruchs. Tedros stellt fest: “Wuhan macht dem Rest der Welt Hoffnung, denn es zeigt, dass sich selbst die ernsteste Lage ändern lässt.” Er betont, dass weiterhin Vorsicht geboten sei, denn die Situation könne sich jederzeit auch wieder ändern. Dennoch gäbe das Beispiel aus vielen Städten und Ländern anderen Hoffnung und mache Mut.

Tedros richtete aber auch eine Warnung an jüngere Menschen: Sie werden vom Virus nicht verschont. Er sagte, Daten aus vielen Ländern machten deutlich, dass in der Gruppe der unter 50-jährigen ein signifikant großer Anteil stationäre medizinische Betreuung brauche. Diese Menschen spricht er direkt an: “Covid-19 kann auch euch für Wochen ins Krankenhaus bringen und sogar töten. Und selbst, wenn ihr nicht krank werdet, entscheidet ihr unter Umständen darüber, ob jemand anderes krank wird und sterben könnte, wenn ihr Kontakte pflegt oder sie jetzt meidet.”

Besonders Länder, die kein hoch entwickeltes Gesundheitssystem haben, liefen Gefahr, signifikante Krankheits- und Todesraten zu bekommen. Tedros sagt: “Diese Sorge ist inzwischen sehr real und dringend geworden.”

Eine weitere Hauptsorge ist immer noch, wie sich das Gesundheitspersonal vor Ansteckung schützen kann, so lange es Lieferengpässe für Schutzkleidung gibt. Die WHO hat inzwischen einige Hersteller in China gefunden, die die WHO mit diesen Basis-Schutzmaterialien beliefern werden. So will die WHO diejenigen unterstützen, die den dringendsten Bedarf haben. Außerdem arbeitet die WHO daran, mehr Corona-Tests zur Verfügung zu stellen, weil der weltweite Bedarf steigt. Die WHO benötigt dafür Tests, die von unabhängigen Stellen evaluiert worden sind. Die Organisation arbeitet mit einer Stiftung für innovative neue Diagnostik zusammen, um Labore unter Vertrag zu nehmen, die neue diagnostische Methoden evaluieren.

Tedros gibt auch Ratschläge, wie man zu Hause gesund bleiben kann:

  • Ernähren Sie sich gesundTrinken Sie Alkohol und gezuckerte Getränke in MaßenRauchen Sie nichtTreiben Sie 30 Minuten Sport, Kinder 60 MinutenWenn es erlaubt ist, gehen Sie nach draußen, gehen Sie spazieren oder laufenWenn Sie nicht nach draußen gehen können, nutzen Sie Online-Tranings-Videos, machen Sie Yoga, oder laufen Sie Treppen hoch und runter

Journalisten und Journalistinnen aus verschiedenen Ländern stellten Fragen, die von Dr. Ryan, dem WHO-Direktor des Gesundheits-Notfall-Ressorts, und der Epidemiologen Marie van Kerkhove beantwortet werden.

Ryan stellt fest, dass viele Länder die in China erprobten Maßnahmen auf ihre eigene Situation anpassen. Körperlicher Abstand verlangsame die Ausbreitung des Virus, könne aber die Übertragung nicht vollständig verhindern, betont er. Dadurch könne aber wertvolle Zeit gewonnen werden. Dennoch gelte „Das Virus jagen!“ weiterhin als genereller Grundsatz: testen, Infizierte finden, Kontakte nachvollziehen, Isolation und Quarantäne.

Wie viel Schutzausrüstung weltweit fehle, ließe sich schwer ermitteln, so Ryan. Denn wie viel tatsächlich gebraucht würde, ließe sich im Vorhinein schwer schätzen. Außerdem gäbe es keine Angaben dazu, wie viel Schutzausrüstung in den einzelnen Ländern noch verfügbar sei. Weiterhin werde es immer schwieriger, vorhandenes Material zu verteilen, weil Schiff- und Flugverkehr stark eingeschränkt seien. Van Kerkhove erklärt zur Situation in Indien, dass es empfehlenswert sei, in allen Verdachtsfällen zu testen und wenn Symptome auftreten. Nur so ließe sich nachvollziehen, wie sich das Virus verbreite.

Ryan sagt: “Die größte unter den vielen Tragödien ist, dass wir einen Teil unseres Gesundheitspersonals verlieren werden.” Er lobt die Anstrengungen, die bisher unternommen wurden und betont, dass alles getan werden müsse, um diese mutigen Menschen vor einer Coronavirus-Infektion zu schützen. Er appelliert an alle: “Wenn Sie sich zu Hause um eine erkrankte Person kümmern, tragen Sie eine Atemschutzmaske. Ansonsten überlassen Sie diese Masken dem medizinischen Personal, das Covid-19-Patienten pflegt, die Symptome wie Husten oder Schnupfen haben. Durch sie wird die Infektion vorangetrieben.” Van Kerkhove ergänzt, dass die Masken nicht gehortet werden dürften. Ryan stellt fest, dass Gesundheitssysteme unter der Last der Aufgabe zusammenbrechen: “Das ist nicht nur ein bisschen schlimmer als wir es gewohnt sind. Das ist nicht normal!”

Auf die Frage, wie weit weg die Welt noch von einem Impfstoff sei, antwortet van Kerkhove, dass die Anstrengungen intensiviert würden. Es würde an mindestens 20 Impfstoff-Kandidaten geforscht. Die Impfstoff-Tests seien nötig, weil ein schlechter Impfstoff noch gefährlicher sein könne als ein gefährliches Virus. Man müsse vorsichtig sein, wenn man einen Impfstoff entwickle, den die meisten Menschen auf der Welt bekommen werden. Es sei noch viel Arbeit nötig, um sicherzugehen, dass der Impfstoff sicher sei, in ausreichender Menge hergestellt werden könne, für alle Menschen verfügbar sei und breite Akzeptanz fände, schließt Ryan.

(Autor: Kai Kupferschmidt, Übersetzung und Redaktion: Silke Jäger)


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Aktuelle wissenschaftsjournalistische Lesetipps 19./20. März

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Weltweit 15.123 neue Corona-Infizierte

Neue Fallzahlen vom 18. März 2020 (Stand: 18.03., 24.00 Uhr, CET)

Kurze Erinnerung: Der WHO-Report unterscheidet jetzt nicht mehr zwischen Fällen in China und außerhalb Chinas, sondern zwischen verschiedenen Weltregionen. Das ist hilfreich, um die Ausbreitung des Virus in verschiedenen Regionen der Welt besser zu beurteilen.

Global

  • Gesamtzahl der Fälle: 191.127 (+15.123)
  • Todesfälle: 7807 (+786)

In Montenegro ist das Virus SARS-CoV-2 neu aufgetreten.

Region Westlicher Pazifik

  • Gesamtzahl der Fälle: 91.845 (+312)
  • Todesfälle: 3357 (+23)

Europa

  • Gesamtzahl der Fälle: 74.760 (+10.911)
  • Todesfälle: 3352 (+604)

Südost-Asien

  • Gesamtzahl der Fälle: 538 (+63)
  • Todesfälle: 9 (+1)

Östliches Mittelmeer

  • Gesamtzahl der Fälle: 18.060 (+1552)
  • Todesfälle: 1010 (+140)

Amerikanischer Kontinent

  • Gesamtzahl der Fälle: 4979 (+2234)
  • Todesfälle: 68 (+18)

Afrika

  • Gesamtzahl der Fälle: 233 (+42)
  • Todesfälle: 4 (+0)

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Neues zur Arzneimittelforschung gegen Covid19

Zusammenfassung der WHO-Pressekonferenz vom 27. März 2020

Dr. Tedros, der Direktor der Weltgesundheitsorganisation, startet die regelmäßige Pressekonferenz der WHO am 27. März mit der Nachricht, dass es inzwischen mehr als eine halbe Million bestätigte Infektionen gibt und 20.000 Menschen am Virus gestorben sind. “Das sind tragische Zahlen”, sagt Tedros. “Aber wir sollten auch an diejenigen denken, die die Krankheit überstanden haben. Das sind Hunderttausende weltweit.”

Tedros hatte den Staatsoberhäuptern der G20-Staaten am Tag zuvor gesagt, sich im Kampf gegen das Virus zusammenzutun und die “wirtschaftliche und innovative Macht der G20-Staaten zu nutzen, um die Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die man braucht, um Leben zu retten”. Er sagt: “Seuchenausbrüche sind Teil des Lebens. Aber wie viel Schaden sie anrichten, das können wir beeinflussen.”

Es gibt auch gute Nachrichten: “Die ersten Patienten aus Norwegen und Spanien sind für die sogenannte Solidarity-Studie gelistet worden. Das ist eine beispiellose Studie, die uns helfen wird, schnell zu belastbaren Erkenntnissen zu kommen.” Mehr als 45 Nationen unterstützen die Studie. “Je mehr Länder teilnehmen, desto schneller können wir mit Ergebnissen rechnen”, sagte Tedros. Details zur Studie und um welche Behandlungen es dabei geht, gibt es in diesem Text bei Riffreporter, der auf Englisch im Magazin Science erschienen ist.

Es ist ein gutes Zeichen, wenn Tedros erklärt, warum Vorsicht trotzdem geboten ist: “Die Geschichte der Medizin ist gespickt mit Beispielen von Arzneimitteln, die auf dem Papier oder bei ersten Tests vielversprechend aussahen, aber ihr Versprechen bei der Anwendung in Menschen nicht halten konnten oder sogar schädlich waren. So lange wir nichts genaues wissen, sollten sich alle zurückhalten, Arzneimittel zu verwenden, zu denen nicht in Studien belegt werden konnte, dass sie bei Covid19 wirken.” Tedros betont: “Wir müssen auf die Evidenz setzen. Da gibt es keine Abkürzung.”

Gesundheitsminister von 50 Nationen, darunter aus China, Japan, Südkorea und Singapur, hatten sich zuvor über die Erfahrungen mit der Pandemie und die Schlüsse, die sie daraus ziehen, ausgetauscht:

  • frühes Finden von Infizierten und Isolation
  • Kontakte finden und unter Quarantäne setzen
  • medizinische Versorgung optimieren
  • die Maßnahmen gut erklären, um Vertrauen aufzubauen und die Menschen zum Mitmachen zu motivieren

Tedros macht sich Sorgen um den weltweiten Mangel an Schutzkleidung. Er sagt: “Das ist jetzt die größte Gefahr für unsere Möglichkeiten, Leben zu retten.” Er beendet seine Ausführungen damit, was auch der Gesundheitsminister Singapurs schon herausstellte: “Wir stehen erst am Anfang dieser Pandemie. Wir müssen besonnen bleiben, zusammenhalten und zusammen arbeiten.”

Im Fragenteil der Konferenz ging es zum Beispiel um die asymptomatischen Verläufe. Mich interessierte, ob es dazu serologische Untersuchungen gibt. Die Epidemiologin Marie van Kerkhove sagte dazu: “Wir warten gespannt auf die Ergebnisse dieser Untersuchungen. Aber sie liegen uns noch nicht vor.” Interessant dazu: Eine große Zahl von Forschern hat sich zusammen getan, um serologische Untersuchungen durchzuführen und die dafür notwendigen Daten zusammenzutragen. Dieses Projekt trägt den Namen Solidarity 2. Ein anderes Projekt mit dem Namen Solidarity 3 wird Mittel testen, die verhindern sollen, dass Menschen an Covid19 erkranken, die sogenannte Chemo-Prophylaxe.

Marie van Kerkhove erklärte zu den asymptomatischen Verläufen, dass viele Menschen, die für asymptomatisch gehalten werden, vor dem Auftreten der ersten Symptome gefunden werden, die dann oft einen oder zwei Tage später erst auftreten. Das wichtigste sei, zu verstehen, wann infizierte Menschen andere anstecken. Die Ausbreitung wird vor allem von den Menschen vorangetrieben, die bereits Symptome haben, aber vor allem solche, die sehr mild sind. Das ist ein wichtiger Grund dafür, warum die Krankheit so viele Schwierigkeiten macht.

Andere Fragen drehten sich darum, ab welchen Infiziertenzahlen man damit rechnen muss, die Krankheit nicht mehr kontrollieren zu können. Marie von Kerkhove wies darauf hin, dass mit zunehmenden Tests auch mehr Infizierte gefunden werden und die Zahlen dadurch überwältigend sein könnten. “Aber es muss getestet werden, damit man weiß, wo das Virus ist.” Und Mike Ryan betonte in diesem Zusammenhang, dass es darauf ankäme, Länder mit hohen Fallzahlen zu unterstützen und nicht zu verurteilen.

Auf die Frage, wie die Situation in Afrika sei, antwortete Ryan, dass der Kontinent eine junge Bevölkerung habe, was ein Vorteil bei Covid 19 sein könne. Außerdem gäbe es in Afrika viel Erfahrung im Umgang mit Infektionskrankheiten und eine gute Resilienz im Zusammenhang mit diesen Ereignissen. Andererseits gäbe es in Afrika viele Risikogruppen, zum Beispiel HIV-Infizierte.

Ein weiteres Thema waren die Menschenrechte, die durch einige der Maßnahmen im Kampf gegen das Virus unter Druck geraten. Ryan führt aus, dass die WHO die Bedenken darum sehr ernst nehme. Fragen zu Überwachung, persönliche Daten, Datenschutz und der Eingriff in Persönlichkeitsrechte müssten beantwortet werden. Es sei gut, wenn Menschen sich überzeugen ließen, Maßnahmen einzuhalten und dadurch weiterhin Selbstbestimmtheit möglich sei. “Das muss aber ein zeitlich begrenztes Geschenk sein, das einem klaren Zweck dient und nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden darf.”

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Neu in „Science Magazine": Die Macht der Modelle

Nach meiner Berichterstattung zum Ebola-Ausbruch in Liberia hatte ich mir eigentlich vorgenommen, mich von Artikelprojekten über die Modellierung von Epidemien fernzuhalten, während diese in vollem Gang sind. Jetzt habe ich aber zusammen mit Martin Enserink doch einen solchen Artikel geschrieben, der frisch in Science Magazine erschienen ist. Einige Gedanken zum Thema:

Fangen wir mit den grundlegenden Schwierigkeiten an, die es bei Simulationsmodellen gibt. Für Wissenschaftsjournalisten sind das Folgende:

  1. Die meisten von uns sind mehr geübt im Lesen und Schreiben über Zellkulturen als im Interpretieren von Simulationsmodellen. Wir neigen dazu, die Schätzungen zu ignorieren oder zu unterschlagen, die in einem solchen Modell enthalten sind – vorausgesetzt wir verstehen sie überhaupt.
  2. Simulationsmodelle scheinen die schlimmsten Instinkte bei Journalisten zu wecken. Meistens endet es damit, dass wir die extremen Szenarien betonen und die Unsicherheiten dabei oder die Varianz der möglichen Ergebnisse außer acht lassen.

Eine der schrecklichen Nebenwirkungen, die entstehen, wenn man mit diesen Projektionen um sich wirft, ist, dass es die Tragödien überspielt und die Unterschiede zwischen den Zahlen betont, obwohl es um Tausende von Menschenleben geht. 550.000 Fälle? Mehr als 1 Million? 1,4 Millionen? Such dir was aus. Alles irgendwie dasselbe. Eines der Ebla-Modelle, über das ich geschrieben habe, war das des Centre of Disease Control.

Es enthielt auch ein Szenario, in dem Ebola lokal begrenzt wird und die Infektionszahlen dadurch wesentlich niedriger waren. Und genau dieses bewahrheitete sich, war aber in den wenigsten Medienberichten Thema. Dabei ist offensichtlich, was man daran lernen kann:: Ohne Maßnahmen zur lokalen Eingrenzung wird die Situation sehr schlimm.

Warum schreibe ich trotzdem jetzt wieder über Modelle? Weil sie eine immens große Rolle in der Covid-19-Pandemie spielen. Ganze Städte und Landstriche wurden abgeriegelt aufgrund von schnell durchgerechneten Vorhersagen – oft ohne ein ordentliches Prüfverfahren. “Damit ist eine große Verantwortung verbunden”, meinte Caitlin Rivers von der Johns Hopkins Universität.

So wie wir Journalisten mit Simulationsmodellen umgehen, gibt Anlass zu zweifeln, dass Politiker besser sind. Die meisten Akademiker “tauchen sozusagen in die neue Welt ein, wenn ein Notfall eintritt”, sagt Caitlin Rivers. Sie schlägt deshalb eine Art Nationales-Infektionskrankheiten-Vorhersage-Zentrum vor.

Ein Beispiel: Großbritannien hat zuerst die Strategie von “dem Virus die Stirn bieten” ausgerufen, worauf die Ausführung zur Herdenimmunität hindeuteten. Sie war ganz klar von den Simulationsmodellen beeinflusst, die Politikern vorgelegt – und von Devi Sridhar, Professorin für Public Health und Richard Horton, Chefredakteur der medizinischen Zeitschrift The Lancet – lautstark kritisiert worden. Diese Strategie wurde inzwischen geändert, hin zu der von den meisten anderen europäischen Ländern gewählten.

Der Grund, warum diese Modelle im Moment so wichtig sind, ist, dass wir derzeit so wenig Erfahrung im Umgang mit dem SARS-CoV-2-Virus haben und keine Medikamente oder eine Impfung zur Verfügung steht. Aber weil das Virus und die Krankheit, das es versursacht, so neuartig sind, gibt es auch mehr Unsicherheiten in den Modellen als bei anderen Infektionskrankheiten, zum Beispiel über die saisonale Grippe.

Die frühen Pläne zur Eindämmung von Covid-19 in Großbritannien basierten auf dem Bedarf an Intensivbetten durch die Grippe. Man nahm an, dieser Bedarf sei bei Covid-19 vergleichbar. Als Daten aus Italien nahelegten, dass mehr Intensivbetten gebraucht werden, stellte sich heraus, dass die Eindämmungsstrategie zu einer Überforderung des britischen Gesundheitssystems NHS führen würde.

Die Debatte in Großbritannien wurde von der Suche nach einem Mittelweg bestimmt zwischen dem Herunterfahren des gesamten Landes und dem, das Virus seinen Weg gehen zu lassen. Wenn man die Unsicherheiten bedenkt, die mit den der Debatte zugrunde gelegten Simulationsmodellen verbunden sind, ist diese Suche nach dem Mittelweg eine große Wette. Oder wie es Bill Hanage, Professor in Harvard ausdrückte: “Es ist, als ob du beschlossen hättest, den Tiger zu reiten, obwohl du nicht weißt, wo er sich gerade aufhält, wie groß er ist oder wie viele Tiger es tatsächlich gibt.”

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Aktuelle wissenschaftsjournalistische Lesetipps

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Lässt sich der Abschwung der Wirtschaft während einer Pandemie überhaupt verhindern?

Gedanken zu einem schwierigen Dilemma. Von Kai Kupferschmidt

23. März. Ich kann leider nicht über alle Aspekte berichten, die mit der Corona-Pandemie zusammenhängen. Deshalb empfehle ich heute die Ausführungen von Chris Hayes, einem Journalisten-Kollegen des US-amerikanischen Senders MSNBC. Vorweg der Hinweis, dass sich so gut wie alle Experten einig sind, dass es wichtig ist, zuerst die Anzahl der Covid-19-Fälle zu reduzieren und anschließend zu diskutieren, welche Maßnahmen noch verhältnismäßig sind. Chris Hayes sagt Folgendes:

“Ich beobachte vor allem am rechten Rand des politischen Spektrums, dass eine Idee populärer wird, wonach wir doch dem Virus einfach freien Lauf lassen und unsere Wirtschaft nach Möglichkeit nicht einschränken sollten. Es scheint mir deshalb wichtig zu sein, auf etwas sehr Grundlegendes hinzuweisen.

Zuerst: Es stimmt natürlich, dass wir in einem schrecklichen Dilemma sind, weil wir zwischen einer ungebremsten Pandemie und einem Abschwung der Wirtschaft wählen sollen, die einer Depression gleichkommt. Wir müssen einen Weg finden, wie wir das Virus kontrollieren können, während wir gleichzeitig eine Art Normalität aufrecht erhalten. Der Schlüssel dafür ist Eindämmung: Testen, direkte Kontakte zurückverfolgen und Behandlung. Bis zu diesem Punkt ist es in den USA noch ein langer Weg.

Aber wenn wir nur mal annehmen, dass wir zu dem Schluss kämen, die Kosten für das Kontrollieren des Virus seien zu groß und der Gewinn nicht sicher genug, und wir außerdem nicht recht überzeugt sind, dass es sich lohne, Hunderte und Tausende, wenn nicht gar Millionen von Leben zu schützen – vor allem, diejenigen, die alt sind und krank –, sollten wir uns in Bezug auf die Wirtschaft vielleicht Folgendes vorstellen: Wenn wir die Kontaktsperren aufheben und jeden zurück an die Arbeit schicken, werden unzählige Menschen krank. Man hätte also Betriebe, in denen die Hälfte der Belegschaft fehlte. Das würde für alle möglichen Wirtschaftszweige zutreffen. Für Menschen, die im Stromsektor arbeiten oder in der Wasserversorgung und im Abwassermanagement etc.

Und damit nicht genug. Gleichzeitig würden wir erleben, dass sich die Krankenhäuser füllten und damit unzählige Horror-Geschichten auftauchten, auch von sterbenden Menschen, die nicht an Covid-19 leiden, sondern mit anderen Krankheiten keine medizinische Behandlung bekämen. Viel mehr Menschen hätten Angst sich zu infizieren und würden freiwillig zu Hause bleiben.

Das bedeutet, selbst wenn sich einige Menschen mehr Sorgen um unsere Wirtschaftskraft machen, es ist einfach nicht klar, ob es tatsächlich die Möglichkeit gibt, dass die Wirtschaft während einer Pandemie weiter funktioniert. Auch, wenn man keine Betriebe aus Vorsicht schließt. Fakt ist, man riskiert, dass man mit dem Schlechtesten aus beiden Welten dasteht: massenhaft Kranke und Tote UND eine Wirtschaft, die extrem leidet.”


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Wir sind jetzt alle Wuhan

Was wir in den vergangenen vier Wochen dazugelernt haben. Von Kai Kupferschmidt

22. März. Kaum zu glauben, dass erst ein Monat vergangen ist, seit ich auf Twitter (Thread vom 22. Februar) darüber schrieb, dass wir am Anfang einer neuen Phase der Epidemie stehen und wie wichtig es ist, Zeitfenster zu nutzen. Damals war noch nicht klar, ob wir eine Pandemie erleben werden – und wo stehen wir jetzt?

Das Virus hat sich mit unglaublicher Geschwindigkeit um die Erde verbreitet. Die WHO fasste das am vergangenen Donnerstag so zusammen: Es dauerte 90 Tage, bis wir die ersten 100.000 Infizierten sahen, 12 Tage, bis wir die zweiten 100.000 Infizierten sahen und 4 Tage bis zu den dritten 100.000 Fällen. Die Anzahl der bestätigten Fälle beträgt am 23. März um 13.00 Uhr 343.421 (Quelle, genesen sind seit Beginn des Ausbruchs 100.165, gestorben 15.308).

Von Anfang an bestand die Sorge, dass es mehr Wuhans geben würde. Es gab eine merkwürdige Selbstsicherheit in vielen Regionen und Ländern, dass eine Situation wie wir sie in Wuhan gesehen haben, dort nicht möglich seien. Bruce Aylward (WHO) beschrieb es in meinem Interview mit ihm so: “Viele meinten, dass es in China so weit kommen konnte, weil das Land nicht ausreichend vorbereitet war, und dass das dortige System ganz anders funktioniert als in vielen westlichen Ländern. Daran zeigt sich, dass es wenig Wissen darüber gibt, wie fortschrittlich die öffentliche Gesundheitsfürsorge in China ist und wie gut das Gesundheitswesen funktioniert.”

Bergamo gab Aylward Recht. Auf welch verheerende Weise! Überwältigte Krankenhäuser, völlig erschöpfte ÄrztInnen und Pflegekräfte, die in Aufrufen und Briefen um Unterstützung flehen, Militär-Lkw, die die Toten aus der Stadt bringen müssen, weil die Krematorien überlastet sind.

Es wird weitere Bergamos geben. Die Nachrichten aus New York und London verheißen nichts Gute. Die Regierungen in USA und Großbritannien haben sehr spät reagiert. Es gab weniger Aufrufe zum Abstand halten und weniger Tests als in anderen Ländern. Und in Lateinamerika und Afrika stehen wir erst am Anfang der Virus-Ausbreitung.

Die USA ist erst aufgewacht, nachdem klar wurde, dass sich das Virus im Staat Washington unentdeckt verbreiten konnte. Trevor Bedford vom Krebsforschungszentrum in Seattle gibt in einem Twitter-Thread vom 1. März einen Einblick am Beispiel von zwei Genom-Strängen des Virus, welche enormen Auswirkungen dieses Zögern hatte. So viel Zeit und damit Menschenleben wurden vergeudet.

Der Höhepunkt an Fällen auf den Intensivstationen in Wuhan folgte vier Wochen nach dem Höhepunkt der Infiziertenzahlen. Es wird also Wochen brauchen, bis wir die Folgen dieses Zögerns beurteilen werden können. Es kommt mir so vor, als ob dieser doch recht einfache Zusammenhang von vielen immer noch nicht recht verstanden wurde.

Jeder kennt Beispiele, die zeigen, dass es gelingen kann, das Virus zurückzudrängen: China, Hong Kong, Singapur, Südkorea. Wir haben schon viel dazu gehört, was in diesen Ländern gut funktioniert hat und was andere daraus lernen könnten und was nicht. Ich habe zusammen mit meinem Kollegen Jon Cohen einen Artikel zu diesem Thema im Magazin Science veröffentlicht.

Im Moment besteht Einigkeit darüber, dass es gilt, aus diesen Beispielen zu lernen und das SARS-CoV-2-Virus komplett einzudämmen.

Wir sind jetzt alle Wuhan.

Dazu sind drastische Maßnahmen nötig, um die Weiterverbreitung des Virus zu reduzieren, Infizierte zu finden und zu isolieren, ihre Kontakte nachzuverfolgen und unter Quarantäne zu stellen. Das wird eine Herausforderung, aber wir wissen, dass es funktionieren kann. Allerdings wird das Folgen haben. Die große Frage ist: Was passiert danach, wenn klar ist, dass wir diese Maßnahmen nicht 18 Monate aufrecht erhalten können?

Ein Blick in die Länder, die schon eine Weile so vorgegangen sind:

China

In Wuhan bestehen die Einschränkungen für das öffentliche Leben weiterhin. In anderen Regionen werden sie vorsichtig gelockert und das öffentliche Leben startet langsam wieder. China strengt sich extrem an, einreisende Infizierte zu finden, lenkt Flüge um und testet alle, die ins Land kommen, um sie unter Quarantäne zu stellen – egal, ob der Test positiv oder negativ ausfällt. Trotzdem könnte sich das Virus wieder stärker verbreiten. Wir können aus dem, was in China passiert, ebenso lernen wie aus dem, was in Wuhan Anfang des Jahres passierte. Man kann nur hoffen, dass die Antwort schnell genug kommt.

Singapur

Singapur kämpft. Die Infiziertenzahlen sind in den vergangenen Tagen gestiegen. Das Land hat jetzt einen Einreisestopp für alle Kurzzeit-Touristen verhängt. Sie mussten sich davor bereits in 14-tägige Quarantäne begeben.

Hong Kong

Auch hier gibt es steigende Infektionszahlen. Simulationsrechnungen legen nahe, dass die Reproduktionszahl – also die Anzahl der Menschen, die von einem Infizierten angesteckt werden – seit einigen größer als 1 ist. Das bedeutet, dass sich das Virus wieder ausbreitet. Gabriel Leung von der medizinischen Hochschule Hong Kong sagt: “Ich rechne damit, dass wir am Anfang eines lokalen Ausbruchs stehen.”

Was passiert da in Singapur und Hong Kong?

Gabriel Leung vermutet, dass die erneute Gefahr mit Ermüdung in der Bevölkerung zu tun hat: “Wir waren die Vorbilder für viele, weil wir früh mit der Eindämmung begonnen haben. Und das haben wir auch sehr konsequent durchgezogen, nicht wahr? Das machen wir jetzt bereits seit zwei Monaten und die Menschen sind langsam sehr erschöpft.”

So sieht also die kommende Herausforderung aus, nachdem Länder erfolgreich die Ausbreitung reduzieren konnten. Am Ende muss man die Maßnahmen und ihre Folgen gegeneinander abwägen und wie das am besten gelingen könnte, darüber sollten wir jetzt nachdenken. (RiffReporter-Beitrag von Alexander Mäder zu diesem Thema)

In dem Moment, wo es geschafft ist, das Virus einzudämmen und die Reproduktionszahl um 1 herum zu halten, kann es gelingen den Ausbruch nicht zu einer sich schnell entwickelnden Katastrophe werden zu lassen. Gibt es Maßnahmen, die man zurücknehmen kann, ohne Gefahr zu laufen, dass die Reproduktionszahl wieder steigt? Das sind die Fragen, die wir als nächstes beantworten müssen.

Ich hoffe sehr, dass es Menschen gibt, die die passende Ausstattung, die Intelligenz und die Erfahrung haben, um Antworten zu finden.


Informationshygiene: Das perfide Spiel von Wolfgang Wodarg

Vielleicht haben Sie schon von Videos und Interviews des früheren SPD-Bundestagsgeordneten Wolfgang Wodarg gehört, der vor einer „Panikmache" warnt und Forschern wie dem Virologen Christian Droste unterstellt, sich Fördermittel und Einfluss verschaffen zu wollen. Wir als Wissenschaftsjournalisten müssen uns solche Videos beruflich anschauen.

Es ist erschreckend zu sehen, wie im Fall Wodarg eine perfide Mischung aus Selbstverständlichkeiten zum Einlullen, Halbwahrheiten zur Vortäuschung von Kompetenz, unhaltbaren Behauptungen über Wissenschaftler und gefährlichem Verharmlosen präsentiert wird. Leider sehen und teilen Hunderttausende Menschen so etwas in sozialen Medien. (cs)

Kai Kupferschmidt sagt zu seinem Umgang mit solchen Falschinformationen in unserem Interview:

Ob es sich lohnt, diese Falschinformationen gezielt anzugehen, ist in jeden Einzelfall eine schwierige Frage. Die Gefahr ist, dass man etwa Verschwörungstheorien dadurch nur weiter verbreitet. Ich habe für mich entschieden, dass meine Zeit im Moment besser eingesetzt ist, wenn ich versuche, verlässliche Informationen zu gewinnen als wenn ich gegen Windmühlenflügel kämpfe.

Wir arbeiten daran, die Fragen und Punkte, die nun die Öffentlichkeit bewegen, allgemeinverständlich und vor allem sachlich korrekt aufzubereiten.

Faktenchecks zum Fall Wodarg gibt es unter anderem von Correctiv. Christian Drosten stellt sich im neuen NDR-Podcast (Folge 16) Fragen dazu, benennt Punkte, an denen die Wissenschaft noch nicht sicher ist und erklärt auch, warum sich das Modellieren einer Pandemie sehr schwierig gestaltet.

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Neu im Riff

  • Was uns das Erbgut des Erregers verrät: Genanalysen haben zur Vermutung geführt, das Virus sei aus Bayern nach Italien gelangt. Doch das geben die Daten nicht her. Dafür spannende Einblicke, wie der Erreger mutiert. Report von Kai Kupferschmidt
  • Wie Afrika auf die Pandemie reagiert: Home Office, Quarantäne und Hamsterkäufe sind auch in Afrika angesagt, trotz vergleichsweise geringer Fallzahlen von Covid-19-Erkrankungen. Einen größeren Ausbruch könnten viele Staaten kaum verkraften. Erfahrungen im Umgang mit anderen Epidemien könnten jedoch ein strategischer Vorteil sein. Ein Stimmungsbild aus Tunis, Nairobi und Durban – von unseren drei Afrika-Korrespondentinnen.
  • Die Geographie der Pandemie: Neue Landkarten der „Worldmapper“ Tina Gotthardt und Benjamin Hennig
Hinweis für Verlage: Sie können unsere Beiträge für Ihr redaktionelles Angebot nutzen und dazu Rechte erwerben. Bei Interesse bitte einfach Email an

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Die WHO ändert ihre Zählweise für die Pandemie

Neue Fallzahlen vom 18. März 2020 (Stand: 17.03, 10 Uhr, CET)

Die WHO veröffentlichte ihren Fallzahlen-Report vom 17. März erst am 18. März morgens. Der Report unterteilt jetzt nicht mehr zwischen Fällen in China und außerhalb Chinas, sondern zwischen verschiedenen Weltregionen. Ein weiteres Zeichen dafür, dass wir es mit einer echten Pandemie zu tun haben.

Man kann darüber streiten, wie nützlich diese Darstellung der Fallzahlen in dieser Phase des Ausbruchs ist und was die Zahlen aussagen: Die tatsächliche Verbreitung des Virus? Die Anzahl der Testungen? Wie gut einzelne Länder ihre Zahlen melden? Aber ich finde es sehr nützlich eine tägliche Meldung über den Wissensstand der WHO zu haben, um Fallzahlen zu vergleichen. Ich werde mir die Meldung also weiterhin anschauen und sie weitergeben.

Global

  • Gesamtzahl der Fälle: 179.112 (+11526)
  • Todesfälle: 7426 (+475)

8 Länder und Territorien, in denen das Virus SARS-CoV-2 neu aufgetreten ist: Guam, Somalia, Bahamas, Aruba, Jungferninseln (USA), Benin, Liberia, Tansania

Region Westlicher Pazifik

  • Gesamtzahl der Fälle: 91.779 (+289)
  • Todesfälle: 3357 (+23)

Europa

  • Gesamtzahl der Fälle: 64.198 (+8507)
  • Todesfälle: 3108 (+428)

Südost-Asien

  • Gesamtzahl der Fälle: 508 (+124)
  • Todesfälle: 9 (+2)

Östliches Mittelmeer

  • Gesamtzahl der Fälle: 16 786 (+330)
  • Todesfälle: 873 (+3)

Amerikanischer Kontinent

  • Gesamtzahl der Fälle: 4910 (+2234)
  • Todesfälle: 68 (+18)

Afrika

  • Gesamtzahl der Fälle: 228 (+42)
  • Todesfälle: 4 (+1)

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Aktuelle Lesetipps 17./18. März

Unsere Lesetipps – heute von Christian Schwägerl – führen Sie zu Medien, die für Qualitätsjournalismus bekannt sind. Für Inhalte dieser Seiten übernehmen wir aber explizit keine Haftung (außer natürlich für interne RiffReporter-Links).

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Vorsicht bei Meldungen zu Ibuprofen und Covid-19

Heute berichteten einige Medien, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davor warne, Ibuprofen einzunehmen, wenn der Verdacht besteht, mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 infiziert zu sein. Ich habe gerade mit der WHO telefoniert und erfahren, dass diese Darstellung im besten Fall als falsche Interpretation der Tatsachen bezeichnet werden muss.

Die Wahrheit ist: Die WHO nimmt die Befürchtungen wahr, dass Ibuprofen einen negativen Effekt auf den Verlauf der Erkrankung haben könnte. Sie sagt: “Wir sammeln gerade Belege zu diesen Befürchtungen, damit wir dazu eine offizielle Empfehlung abgeben können. Wir haben bei einer ersten Sichtung der Literatur keine Veröffentlichungen von klinischen Studien oder Beobachtungsdaten dazu gefunden.”

Die WHO führt diese Befürchtungen auf einen Brief zurück, der an das medizinische Fachjournal The Lancet geschickt wurde. Darin war die Hypothese enthalten, Ibuprofen könne den Verlauf von Covid-19 ungünstig beeinflussen, ohne dass dafür Quellen oder eine Datengrundlage mitgeliefert wurden. Bisher hat auch die WHO keine Daten gefunden, die diese Hypothese stützen würden.

Man muss also abwarten, was die offizielle Empfehlung der WHO zu dieser Frage sein wird. Es wäre möglich, dass sie rein vorsichtshalber allen Patienten empfehlen wird, kein Ibuprofen einzusetzen. Das würde allerdings einen problematischen Präzedenzfall schaffen in einer sich immer weiter entwickelnden Epidemie, eben weil die Datengrundlage für eine solche Empfehlung bislang fehlt.

Es könnte Daten aus Frankreich oder anderen Ländern geben, die die entscheidenden Schlussfolgerungen zulässt. Aber ich habe diese Daten bisher nicht gesehen und es hätte schon reichlich Zeit seit den ersten Meldungen zu dieser Hypothese gegeben, diese Belege bekannt zu machen. Vor allem, wenn man bedenkt: Was vor der Gesundheitskrise eine Zeitstunde war, ist in Covid-Standard-Zeit gemessen ein ganzer Tag – so viel passiert im Moment.

Zwar sagte WHO-Sprecher Lindmeier heute mit Bezug auf Menschen, die solche Mittel ohne ärztliche Behandlung direkt aus der Apotheke beziehen: „Wir raten, im Verdachtsfall Paracetamol und nicht Ibuprofen einzunehmen." Was derzeit als „Warnung der WHO vor Ibuprofen“ die Runde macht, ist in Wirklichkeit aber nur ein “Wir müssen noch warten, bis wir Belege haben”. Auf den Punkt gebracht sagt die WHO nur, dass es keine Belege für irgendein Risiko bei Ibuprofen gibt. Aber wenn man es nicht verschrieben bekommen hat, kann man auch erst mal eine Alternative nehmen, bis man über ein mögliches Risiko bei Ibuprofen überhaupt mit Sicherheit Aussagen machen kann.

17.3., 20.30 Uhr. RiffReporter hat bei den Wissenschaftlern angefragt, auf deren Zuschrift an das Journal The Lancet die aktuelle Diskussion zurückgeht (siehe weiter unten). Wir haben um die Nennung von Studien bzw. Hinweise auf Datenquellen gebeten, die zu der Hypothese in der Zuschrift geführt haben, dort aber fehlen. Wenn es eine Antwort gibt, aktualisieren wir diesen Text. Update 18.3., 13.20: Die Forscher haben den Erhalt unserer Anfrage bestätigt, aber noch keine inhaltliche Antwort gegeben. Wir haben erneut darum gebeten.

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Aktuelle Lesetipps 16. März

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Vermehrt Fallmeldungen aus Afrika

15. März: Neue Fallzahlen von der WHO sind verfügbar. (Stand 15.3., 10 Uhr, MEZ):

China:

  • Gesamtzahl der Fälle: 81048 (+27 seit letzter Veröffentlichung)
  • Todesfälle insgesamt: 3204 (+10)

Außerhalb von China:

  • Gesamtzahl der Fälle: 72469 (+10955)
  • Zahl der Länder: 143 (+9)
  • Todesfälle: 2531 (+333)

Gebiete und Länder, in denen Covid-19 neu aufgetreten ist: Curaçao (niederländische Karibikinsel), Kasachstan, Namibia, Zentralafrikanische Republik, Kongo, Äquatorialguinea, Swasiland, Mauritanien, Mayotte (Insel bei Madagaskar, die zu Frankreich gehört)

Es fällt auf: In Afrika steigt die Zahl der Fälle. 6 von 9 Ländern und Gebieten, in denen erstmals Fälle auftreten, sind auf dem afrikanischen Kontinent. Aus vier Ländern gibt es Berichte über Übertragungen vor Ort: Südafrika, Algerien, Senegal und Kamerun.

Neue Fälle in ausgewählten Ländern:

  • Italien: +3497
  • Spanien: +1522
  • Iran: +1365
  • Frankreich: +829
  • Deutschland: +733
  • UK: +342
  • Österreich: +733
  • Schweiz: +234
  • Norwegen: +157
  • Niederlande: +155
  • Schweden: +149
  • Griechenland: +130

Offenbar haben die USA keine neuen Zahlen bekanntgegeben

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Aktuelle Lesetipps

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Informationshygiene: Zu Ibuprofen und Covid-19

14. März: Ich habe gerade eine Whatsapp-Nachricht von einer Freundin erhalten, in der sie mich nach meiner Meinung zu einem Gerücht fragte, das zu Covid-19 zirkuliert. Es bleibt schockierend für mich, wie schnell sich Falschinformationen verbreiten und wie schwer es im Vergleich ist, verlässliche Informationen zu verteilen. Das in einer Whatsapp-Sprachnachricht enthaltene Gerücht scheint in Deutschland bereits weit gestreut worden zu sein (Anm. cs: Das stimmt, ich habe es gerade von einer besorgten Verwandten geschickt bekommen).

Eines gleich vorneweg: Die Sprachnachricht, die ich erhalten habe, scheint eine gezielte Fälschung zu sein, vorgetragen in einem freundlichen, besorgten Tonfall. Es geht um eine Verbindung zwischen der Einnahme des bekannten Medikaments Ibuprofen und der Krankheit Covid-19, angeblich herausgefunden von Forschern der Uni Wien.

Die Medizinische Universität Wien hat den Inhalt der Nachricht in einem Tweet klar und deutlich dementiert.

Aber woher könnte die Falschinformation kommen? Quelle könnte diese Zuschrift im Wissenschaftsjournal „The Lancet“ sein. Die Autoren, Wissenschaftler vom Universitätsspital Basel und von der Aristoteles-Universität in Thessaloniki, äußern sich darin zu der Frage, warum Diabetes-Patienten und Menschen mit Bluthochdruck besonders schwer an Covid-19 erkranken zu scheinen. Sie schreiben, dass es daran liegen könnte (Anm: Hervorhebungen durch cs), dass einige dieser Patienten mit Hemmstoffen für das “angiotensin converting enzyme” (ACE) behandelt werden.

Bei diesen Medikamenten gibt es in der Tat aus einigen Studien Hinweise darauf, dass die Wirkstoffe zu einem Anstieg von ACE2 führen, dem Rezeptor, den das Virus SARS-CoV2 nutzt, um in menschliche Zellen zu gelangen. Die Autoren schreiben im Lancet, sie „hypothetisierten daher, dass die Behandlung von Diabetes und Bluthochdruck mit ACE2-stimulierenden Medikamenten das Risiko erhöht, schweres und tödliches COVID-19 zu entwickeln“.

In der Zuschrift an The Lancet steht zudem auch, dass „ACE2 auch durch Thiazolidindione und Ibuprofen erhöht werden kann“. Dieser eine Satz könnte der Hintergrund der Fake-Sprachmitteilung auf Whatsapp sein. Wie gut die Datenlage dafür ist, dass Ibuprofen wirklich zu einer Erhöhung führt, kann ich auf die Schnelle nicht einschätzen. In der Zuschrift an Lancet findet sich allerdings keine Quelle für diesen Satz. Selbst wenn die Datenlage dafür gut ist, heißt das noch nicht, dass das für das neue Coronavirus oder für den Verlauf der Krankheit wirklich etwas Ausschlaggebendes verändert. Dahinter steht eine lange Kette von Annahmen, von denen keine wirklich gesichert ist.

Kurz: Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es eine vage Hypothese, aber keine guten medizinischen Daten, die sie in irgendeiner Weise stützen.

Gegen die Infodemie

Was lernen wir daraus? Wir haben es mit einem neuen Virus zu tun, von dessen Existenz wir erst vor relativ kurzer Zeit erfahren haben. In vielen Fragen sind schnelle und klare Antworten aus der Wissenschaft nicht zu erwarten. Es wird in den kommenden Wochen viele Hypothesen geben. Einige davon werden sich als richtig herausstellen, viele als falsch. Seien Sie als MediennutzerIn bitte vorsichtig, was Sie in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten verbreiten. Wenn Sie nicht einschätzen können, ob eine Nachricht wahr ist oder nicht, und sie nicht von einer verlässlichen Quelle mit Fachwissen kommt, dann ist es besser, sie nicht weiterzuleiten. Wir reden derzeit viel über Handhygiene. Lassen Sie uns auch ein wenig Informationshygiene betreiben. Auch das kann Leben retten. Nicht umsonst warnt die WHO vor einer „Infodemie“.

Wir WissenschaftsjournalistInnen tun unser Bestes, um die Forschung zum Corona-Virus im Blick zu behalten und verfolgen, welche Ergebnisse mit fundierter Methodik publiziert werden. Die Ungewissheiten, mit denen wir dabei konfrontiert sind, sind einerseits frustrierend. Andererseits sind sie ehrlich gesagt aber auch faszinierend, ja sogar aufregend – unter anderem wegen ihnen bin ich Wissenschaftsjournalist geworden. Im Moment haben wir zum Thema Ibuprofen aber – ich sage es nochmal – nur eine sehr vage Hypothese und keine guten medizinischen Daten, die diese Hypothese stützen. Wenn es bessere Belege geben sollte, würden wir Wissenschaftsjournalisten darüber informieren.

Fachgesellschaft beruhigt Ärzte und Patienten

Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hat übrigens soeben eine Erklärung abgegeben: „Die Spekulation über die Sicherheit der Behandlung von ACE-i oder ARB im Zusammenhang mit COVID-19 hat keine solide wissenschaftliche Grundlage oder Beweise, die sie stützen.“ Die Fachgesellschaft empfiehlt „Ärzten und Patienten dringend, die Behandlung mit ihrer üblichen blutdrucksenkenden Therapie fortzusetzen, da es keine klinischen oder wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass die Behandlung mit ACEi oder ARBs wegen der Covid-19-Infektion abgebrochen werden sollte".

Eine letzte Anmerkung: Unabhängig von der konkreten Verbindung zwischen Ibuprofen und Covid-19, gibt es eine allgemeine Diskussion, ob Medikamente wie Ibuprofen (Forscher nennen diese “nicht-steroidale Antirheumatika”, englisches Kürzel: NSAIDs) bei einer Infektionen der Atemwege nachteilig sein können. Ein simpler Grund könnte sein, dass Menschen, die diese Medikamente nehmen, damit ihre Symptome unterdrücken, später zum Arzt gehen und dann eher einen schwereren Verlauf haben. Das ist ein Thema für einen anderen Zeitpunkt. Was jetzt wichtig ist: Lassen Sie uns auf die Sachen konzentrieren, von denen wir wissen, dass sie helfen: Hände waschen, Abstand halten und so weiter, anstatt uns von Dingen ablenken zu lassen, für die es kaum Belege gibt und deren Effekt unklar ist.

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In den USA gibt es noch immer Großveranstaltungen

5. März. Frankreich und Israel haben Versammlungen mit mehr als 5000 Personen verboten, die Schweiz solche mit mehr als 1000 Personen versammelt. Und in den USA gibt es weiter riesige Versammlungen in Gebieten, die am schwersten vom Covid19-Ausbruch betroffen sind?! Es ist hart, das mit anzusehen.

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Gute Quellen

(cs)

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Wasch Dir die Hände jetzt, nicht an einem anderen Tag

4. März: Die Kinopremiere des neuen James-Bond-Films wird wegen der Corona-Epidemie verschoben. Was wir jetzt zusätzlich brauchen ist ein Video, in dem man sieht, wie James Bond sich ordentlich die Hände wäscht.

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Die Geografie der Epidemie ändert sich weiter

4. März: Neue Zahlen von der WHO sind verfügbar. (Stand der Meldungen 4.März, .10 Uhr):

China:

  • Gesamtzahl der Fälle: 80422 (+120 seit letzter Veröffentlichung)
  • Todesfälle insgesamt: 2984 (+38)

Außerhalb von China:

  • Gesamtzahl der Fälle: 12699 (+2103)
  • Zahl der Länder: 76 (+4)
  • Todesfälle: 214 (+48)

Länder, in denen Covid-19 neu aufgetreten ist: Argentinien, Chile, Polen, Ukraine

Während in China der Zuwachs der Fälle deutlich geringer geworden ist, sind folgende Länder jetzt Hotspots oder auf dem Weg dazu:

  • Iran: +835
  • Südkorea: +516
  • Italien: +466
  • US: +44
  • Deutschland: +39
  • Spanien: +37
  • Frankreich: +21
  • Malaysia: +21

(Tweet)

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Keinen Bullshit teilen und einander helfen

4.März: Weil man von den vielen Informationen, Pressekonferenzen und Fragen immer wieder überwältigt sein kann, einige allgemeine Hinweise:

  • Bitte verbreiten Sie keine unbegründeten Gerüchte. Sie spielen in diesem Geschehen eine wichtige Rolle! Es gibt eine Menge guter Informationen da draußen, verbreiten Sie diese.
  • Wenn Sie auf Twitter sind, hier einige verläßliche Accounts: @cmyeaton, @MarionKoopmans, @JeremyKonyndyk, @JeremyFarrar, @mlipsitch, @BogochIsaac, @EckerleIsabella, @aetiology, @maiamajumder, @angie_rasmussen @T_Inglesby @MackayIM, @AdamJKucharski, @BhadeliaMD, @alexandraphelan, @BillHanage, @CT_Bergstrom. Zudem: @WHO @ECDC_EU @CDCgov. JournalistInnen: @fischblog, @juliaoftoronto, @laurahelmuth, @sxbegle, @amymaxmen, @marynmck
  • Akzeptieren Sie, dass es vieles gibt, was wir einfach nicht wissen. Es gibt eine Menge erstaunlicher Menschen, die unglaubliche Arbeit leisten und versuchen, die Fragen zu beantworten, die wir alle beantwortet haben wollen. Mit einigen spreche ich jeden Tag. Aber es braucht Zeit, die Antworten zu finden! Und diese Experten sind Menschen wie wir alle.
  • Immer daran denken: Keine Panik! Denn a) es gibt keinen Grund dazu, b) es hilft Ihnen nicht, mit dem umzugehen, was auch immer kommt, und c) Douglas Adams hat das schon gesagt, und er war ein Genie.
  • Das Wichtigste ist: Achtet auf die Sorgen der anderen. Vielleicht haben Sie selbst das Gefühl, dass diese Epidemie nichts Schlimmes ist. Ihr 80-jähriger Nachbar oder ein HIV+-positiver Wissenschaftsjournalist sind vielleicht anderer Meinung. Sozial Abstand zu halten kann bedeuten, dass wir in den kommenden Wochen körperlich alle weiter voneinander entfernt bleiben. Wir sollten das kompensieren, indem wir uns noch mehr als sonst umeinander kümmern.

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Drehscheibe Bayern bisher nur eine Vermutung

4.März: Zur heutigen Diskussion über den Ursprung der Infektionen in Europa gibt es jetzt eine großartige (und zudem schön aufbereitete) Ressource darüber, was genetische Sequenzen von SARSCoV2 uns über die Verbreitung von Covid-19 erzählen. Es macht deutlich, dass die Vermutung, der bayerische Cluster habe die europäische Ausbreitung über Italien ausgelöst, bisher nur eine reine Hypothese ist. Der Erreger könnte auch auf zwei getrennten Wegen nach Europa gelangt sein. „Im Moment können wir nicht mit Sicherheit sagen, welches Szenario richtig ist.“ Diese Analysen sind wichtig, aber sie sind mit vielen Vorbehalten versehen. Denken Sie bitte daran! (Tweet, Quelle)

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WHO: Mehr neue Tote außerhalb von China als in China

4.März: Neue Zahlen zu Covid-19-Erkrankungen von der WHO:

China:

  • Gesamtzahl der Fälle: 80304 (+130 seit letzter Veröffentlichung)
  • Todesfälle insgesamt: 2946 (+31)

Außerhalb von China:

  • Gesamtzahl der Fälle: 10566 (+1792)
  • Zahl der Länder: 72 (+8)
  • Todesfälle: 166 (+38)

Es ist der erste Tag, an dem mehr Menschen außerhalb von China gestorben sind als in China.

Neue Länder:

In diesen Ländern wurden erstmals Fälle von Covid-19 registriert: Andorra, Jordanien, Lettland, Marokko, Portugal, Saudi-Arabien, Senegal, Tunesien.

Hotspot: Iran

Wie ich hier erklärt habe, stimmen die Zahl der Todesfälle und der gemeldeten Erkrankungen schlecht zusammen. Es ist von einer deutlich höheren Zahl von Erkrankungen auszugehen.

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Weltbank gibt Krisenmittel frei

3.März., 23 Uhr: Die Weltbank kündigt ein erstes Paket von bis zu 12 Milliarden Dollar zur Unterstützung des Kampfes gegen Covid-19 an. „Das Covid-19-Unterstützungspaket wird anfangs Ressourcen in Höhe von bis zu 12 Milliarden Dollar – davon 8 Milliarden Dollar neu – im Schnellverfahren zur Verfügung stellen.

Der Chef des britischen Wellcome Trust, @JeremyFarrar, sagt, dass die Mittel „einen großen Einfluss auf die weltweite Antwort auf diese schon heute ungeheuer herausfordernde Epidemie" haben werden werden. Farrer: „Dies ist nicht einfach eine Gesundheitskrise – es ist eine globale Krise, die bereits jeden Bereich der Gesellschaft betrifft. Dieses Engagement der Weltbank ist notwendig, wenn wir eine Chance haben wollen, eine langfristige Katastrophe weltweit abzuwenden.“ (Link zur Weltbank)

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WHO warnt vor Engpässen bei medizinischer Ausrüstung

3.März: Ernüchternde WHO-Pressemitteilung, die davor warnt, dass „schwere und zunehmende Störungen der weltweiten Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung – verursacht durch steigende Nachfrage, Panikkäufe, Horten und Missbrauch – Leben in Gefahr bringen“, und zwar durch Covid-19 und auch durch andere Infektionskrankheiten. Die WHO schätzt, dass pro Monat 89 Millionen medizinische Masken, 76 Millionen Untersuchungshandschuhe und 1,6 Millionen Schutzbrillen für die Reaktion auf Covid-19 benötigt werden. Um die steigende weltweite Nachfrage zu befriedigen, muss die Industrie nach Schätzungen der WHO die Produktion um 40 Prozent steigern. Seit Beginn des Ausbruchs von „sind die Preise stark gestiegen“. Die Preise für chirurgische Masken haben sich versechsfacht, die für N95-Atemschutzmasken haben sich verdreifacht und die für Kittel verdoppelt. „Die Lieferung kann Monate dauern, und Marktmanipulation ist weit verbreitet, wobei die Bestände häufig an den Höchstbietenden verkauft werden.“ (Tweet, WHO-Pressemitteilung)

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Ebola-Epidemie ebbt ab, Corona-Epidemie wird komplizierter

3. März: Während sich WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus darüber freut, dass in den vergangenen zwei Wochen keine neuen Ebolafälle aufgetreten sind, warnt er, dass „während eine Epidemie zu Ende zu gehen scheint, eine andere zunehmend kompliziert wird".

Weltweit:

  • Gesamtzahl der Fälle: 90893
  • Todesfälle insgesamt: 3110

Neue Fälle nach Ländern:

  • China: 129 neue Fälle
  • Außerhalb von China: 1848 neue Fälle
  • 80 Prozent der neuen Fälle in Südkorea, im Iran und in Italien
  • 12 weitere Länder berichten von ersten Covid-19-Fällen

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Wichtige Unterschiede zwischen Covid-19 und Influenza

3. März: WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus weist auf Unterschied zwischen Covid-19, das durch das neue Corona-Virus ausgelöst wird, und der saisonalen Influenza-Grippe hin: „ Menschen, die zwar infiziert, aber noch nicht krank sind, sind die Hauptursache für die Grippe, aber offenbar nicht für Covid-19."

Weitere Unterschiede:

  • Covid-19 verursacht eine schwerere Erkrankung als die saisonale Grippe
  • Es gibt keine Impfstoffe oder Therapeutika zur Behandlung von Covid-19
  • Für die Influenza ist Eindämmung keine tragfähige Strategie („Es ist einfach nicht möglich"), aber für Covid-19 schon.