Warum Radfahrer mehr Platz brauchen

Anleitung zum Bau der fahrradgerechten Stadt

5 Minuten
Der Mann liegt quer mit ausgestreckten Armen auf einem grünen Radweg und lächelt in die Kamera. Der Himmel ist blau.

Eine Autobahn kann fast jeder Mensch in wenigen Strichen so skizzieren, dass selbst Unbeteiligte sie sofort erkennen. Wer einen Radweg zeichnen soll, hat es deutlich schwerer. Der Grund ist simpel: Vordenker der autogerechten Stadt, wie Le Corbusier und der Deutsche Hans Bernhard Reichow, haben präzise Visionen nebst Anleitungen und Skizzen zum Bau schicker Straßen für schnellen Pkw-Verkehr hinterlassen. Jahrzehntelang folgten Planer ihrem Schema. Radwege dagegen wurden und werden noch immer aus verbleibenden Restflächen zusammengeschustert. Vielerorts bilden sie Flickenteppiche, sehen immer wieder anders aus und bekommen manchmal sogar bizarre Formen wie der Zick-Zack-Radweg in Berlin.

Blick auf einen Radweg mit einem zickzack-ähnlichen Pflastermuster.
Über den Zickzack-Radweg in Berlin wurde bundesweit berichtet
Ein Mann mit kurzen braunen Haaren steht in blauem Anzug und weißem Hemd mit verschränkten Armen vor einer Wand. Er trägt eine Brille.
Heinrich Strößenreuther war der Mitinitiator vom Volksentscheid Fahrrad
Eine große Menschenmenge in vorwiegend hellblauen T-Shirts steht auf der Straße vor einer Häuserfront. Im Vordergrund steht ein Mann in Anzug, der ein geöffnetes Buch hoch über seinen Kopf hält und in die Kamera lächelt.
Volksentscheid Fahrrad: die Aktivisten haben in gut drei Wochen ca. 107.000 Unterschriften gesammelt. Mitte: Heinrich Strössenreuther
Eine Fahrradspur auf einer Straße mit parkendem Autos. Im Vordergrund ist das Piktogramm eines Fahrrades zu sehen, direkt dahinter liegt ein materielles, blaues Sportrad.
Wohlfühlen auf Spurbreite „K“ nennt Strößenreuther ausreichend breite Radwege, die vom schnellen Autoverkehr klar getrennt sind

Das Besondere an seinem Buch ist, dass er neben dem technischen Vorgehen auch die soziologische und psychologische Seite der Radverkehrsplanung anspricht. Die scheint momentan fast noch wichtiger zu sein als die reine Lehre zur Stadtplanung.

Radelnde Frauen als Indikator guter Planung

„Wenn Frauen häufiger als Männer auf dem Rad anzutreffen sind, dann stimmt die Infrastruktur, sonst nicht“, sagt Strößenreuther. Frauen gelten in den Niederlanden und Kopenhagen seit langem als Gradmesser für gelungene Planung. Nur wenn sie sich sicher fühlen, nehmen sie das Rad anstelle des Autos für kurze Wege – zur Kita, zum Einkaufen oder zu Nachmittagsterminen.

Um sichere Radwege zu schaffen, muss der Autoverkehr Platz abgeben, langsamer werden und die absolute Zahl der Pkw in den Städten sinken. All diese Maßnahmen provozieren Konflikte. Strößenreuther kennt die Flut aus Beschwerden, die anrollt, sobald an Autospuren oder Parkplätzen gekratzt wird. Deshalb liefert er neben dem Leitfaden zur Fahrradstadt Fakten und Argumente, um Wellen der Empörung in der Bevölkerung zu glätten. Er sagt jedoch auch deutlich: Politiker und Planer, die Autofahrern Platz wegnehmen, brauchen Mut und ein dickes Fell.

Platz für Radfahrer verdoppeln

Dabei ist der Platzzuwachs für Radfahrern überschaubar. Von drei auf gerade mal sechs Prozent will Strößenreuther in der Hauptstadt die Fläche für Radfahrer verdoppeln. Mit seiner „Agentur für clevere Städte“ und Studenten der Berliner Best-Sabel-Hochschule hat der Verkehrsexperte 2014 rund 200 Straßen der Hauptstadt vermessen. Dabei haben sie festgestellt, dass für Autofahrer 58 Prozent der Verkehrsflächen reserviert sind, Fußgänger erhalten 33 Prozent, während für Radfahrer gerade mal drei Prozent bleiben. Diese Werte sind keine Ausnahme. Professor Stefan Gössling, der zum Thema Mobilität und Emissionen forscht, hat in Freiburg nachgemessen und kam auf vergleichbare Ergebnisse.

Das Buch „Der Berlin-Standard“
„Der Berlin Standard“ ist im Thiemo Graf Verlag erschienen und kostet 39,90 Euro