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Das Menschenzeit-Projekt, Folge 3: Wie das Leben selbst die Welt von heute schuf

10 Minuten
Eine Kolonie von Cyanobakterien unter dem Mikroskop.

Was zuletzt geschah: Im Jahr 2000 stellte der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen eine bahnbrechende Idee zur Diskussion: Die Menschheit verändert die Erde so grundlegend und langfristig, dass eine neue geologische Erdepoche, das Anthropozän, begonnen habe. Doch sind wir Menschen die ersten Lebewesen, die das tun?

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Wenn Sie gerade ein bisschen Zeit haben, wie wäre es mit einem Spaziergang? Egal ob Sie im Flachland leben, in der Nähe von Bergen oder an einer Küste – bei Ihrem Ausflug wird Ihnen, wenn Sie einmal die Alltagsfragen zur Seite schieben und Ihre Sinne für die Umgebung öffnen, faszinierende Geologie begegnen. Jede Landschaft, auch die von Städten, ist Ergebnis von harten, unbelebten physikalischen Kräften, die über viele Tausend oder sogar viele Millionen Jahre gewirkt haben: zum Beispiel von Magmaströmen tief im Inneren der Erde, die das Gestein geformt und Erdplatten transportiert haben; von Meerwasser, das die Linien der Küstenlinien geschaffen hat; von Flüssen, die tiefe Täler eingeschnitten haben.

Solche Orte gibt es auch mitten in Städten, zum Beispiel in Berlin, zwischen Heidelberger Platz und Hohenzollerndamm. Eine viel befahrene Straße führt vom Platz hinab zu den Geschäften und Cafés des westlichen Stadtzentrums. Der Höhenunterschied zwischen oben und unten beträgt keine zwanzig Meter. Radfahrer freuen sich auf dem Weg hinab über den extra Schwung, den sie in der ansonsten eher flachen Hauptstadt bekommen. Autofahrer werden das Gefälle kaum wahrnehmen.

Der Erdgeschichte lauschen

Der kleine Abhang hat aber eine große Geschichte. Er war einst das Ufer eines gigantischen Flusses, der am Ende der letzten Eiszeit hier verlief. Dieser „Urstrom“ war gefüllt mit dem Schmelzwasser von Gletschern, die sich während der Eiszeit des Pleistozäns nördlich von Berlin über Zehntausende Jahre hinweg bis zu mehrere Hundert Meter hoch aufgetürmt hatten.

Wer den kleinen Abhang hinunter radelt, hört Autos. Aber man kann mit geschlossenen Augen versuchen, sich die Motorengeräusche als den Sound tosender Wassermassen vorzustellen, die hier vorbeigerauscht sind und dabei die Landschaft aus Sand und Steinen erzeugt haben, aus der Berlin seit dem 13. Jahrhundert gewachsen ist. Das andere Ufer des früheren Flusses liegt neun Kilometer entfernt, wo sich der Prenzlauer Berg erstreckt. Der Fluss muss also riesige Dimensionen gehabt haben und lässt die kleine Spree, die heute durch das Zentrum der Stadt fließt, noch mehr wie ein Rinnsal wirken.

Wer seine Sinne für Erdgeschichte öffnet und beim Anblick von Steinen, Küsten und Flussläufen die lange Vorgeschichte der Natur wahrzunehmen versucht, für den wird jeder noch so kleine Ausflug zu einem fantastischen Abenteuertrip. (1,2)

Dieses Gefühl kann sich noch stärker an Orten einstellen, an denen uns nicht nur das Ergebnis unbelebter Kräfte begegnet, sondern etwas ungleich Erstaunlicheres: Die gewaltigen Spuren früherer Lebewesen.

Aufeinandergestapelte Leichen

Denn vor uns Menschen haben bereits viele andere Lebewesen den Lauf der Erdgeschichte verändert. Die Erde, wie wir sie heute kennen, ist nicht allein das Ergebnis von unbelebten Kräften wie Wasser, Sonnenlicht, Erdwärme und Gestein. Sie ist in ihrer Form und auch in ihrem Funktionieren in einer langen planetaren Evolution aus und durch Lebewesen entstanden. Geologie und Biologie sind eng miteinander verwoben. (3)

Aufnahme einer Talstraße. Im Hintergrund sieht man ein Gebirge.
Berge, aus Meeren gewachsen: Die Karnischen Alpen im Friaul gehören zu den Südlichen Kalkalpen. Die Plattentektonik hat früheren Meeresboden und Rifflagunen nach oben gedrückt und charakteristische Formen geschaffen.
Erst die Aktivität von Cyanobakterien hat die Atmosphäre geschaffen, wie sie sie kennen – samt schützender Ozonschicht. Die Mikroorganismen waren die ersten Revolutionäre der Erdgeschichte.
Erst die Aktivität von Cyanobakterien hat die Atmosphäre geschaffen, wie sie sie kennen – samt schützender Ozonschicht. Die Mikroorganismen waren die ersten Revolutionäre der Erdgeschichte.
Aufnahme eines Sees mit Algenblüten. Ein grüner Film treibt auf der Wasseroberfläche.
Wenn Seen überdüngt sind und es wärmer wird, kann es wie hier am Taihu-See in der chinesischen Provinz Jiangsu zu Algenblüten kommen. Sind nicht nur Grünalgen, sondern auch Cyanobakterien beteiligt, wird es für Menschen wegen Giften im Wasser gefährlich.