FinTechs Sklaven

Mobile Kredite treiben viele Kenianer in die Überschuldung

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
9 Minuten
Aufnahme aus dem Innenhof eines Wohnblocks. Rechts am Geländer stehen drei Kinder, die in die Kamera lächeln.

Das mobile Bezahlen ist in Kenia schon seit 12 Jahren weit verbreitet und wurde lange als Mittel gegen Armut gefeiert: Geld sei dadurch selbst im letzten Winkeln des Landes schnell verfügbar, so die Argumentation. Ein Vorteil, weil die wenigsten Kenianer ein Konto haben und Geld bis vor 12 Jahren physisch von Ort zu Ort bewegt werden musste. Das mobile Bezahlen spare also Zeit und Geld. Seit einigen Jahren werden auch Kredite online angeboten, und aus Euphorie über die „FinTech“-Revolution in Kenia wird langsam Sorge.

Franklin Ouma führt mich in das kleine Zimmer, das er mit seiner Familie in Mathare bewohnt, einem der größten Slums in Nairobi. Geschätzte zwölf Quadratmeter hat er für sich, seine Frau und ihre beiden Kinder. Ein Vorhang trennt den Raum in zwei Bereiche: das „Wohnzimmer“ und das „Schlafzimmer“. Ein Gaskocher bildet die „Küche“, die Alutöpfe und Plastikteller sind auf einem Regal in einer Ecke des Wohnbereichs gestapelt. Außerdem gibt es dort zwei Plastikstühle, von denen einer zerbrochen ist, ein Band hält ihn notdürftig zusammen. Franklin zieht den Vorhang etwas zur Seite und gibt den Blick in das „Schlafzimmer“ frei. „Du siehst ja selbst, dass wir noch nicht einmal ein Bett haben“, sagt der 40-Jährige. „Wir schlafen auf einer dünnen Matte, die wir abends auf den Boden legen. Eine für mich und meine Frau, eine für die Kinder.“

Ein Mann mit Glatze und blauem Polohemd steht vor einem Haus.
„Wir sind Sklaven der FinTech-Konzerne“, sagt Franklin Ouma.

Franklin ist vor etwa anderthalb Jahren aus einer Kleinstadt im Westen des Landes nach Nairobi gezogen. Seitdem hat er es nicht geschafft, für die einfachsten Möbel zu sparen. Sein Geld verdient er als Fahrer für Uber, eine Technologie-Plattform, die Taxifahrten per App vermittelt und in Kenia sehr erfolgreich ist. Kunden lieben die App, weil sie für eine Uber-Fahrt deutlich weniger zahlen, als für eine „normale“ Taxifahrt. Die Kehrseite ist: Für Franklin und viele andere Fahrer reichen die Einnahmen nicht. Eines seiner Probleme ist, dass das Auto nicht ihm gehört. Jeden Monat muss er dem Besitzer umgerechnet 350 Euro bezahlen. „Wenn ich dann auch noch die Spritkosten abziehe, bleibt kaum etwas übrig“, rechnet der Familienvater vor. Möbel sind da seine letzte Sorge. Was er irgendwie erübrigen kann, steckt er in die Ausbildung seiner Kinder. Seine siebenjährige Tochter Hazel Zawadi schickt er in eine Privatschule, seinen vierjährigen Sohn Joshua in eine private Vorschule. Dabei sind die staatlichen Grundschulen offiziell kostenfrei, wobei meist doch irgendwelche Gebühren erhoben werden. Die staatlichen Grundschulen seien zwar günstiger, aber völlig überfüllt, meint Franklin. Klassengrößen von über 100 Schülerinnen und Schülern sind keine Seltenheit. Also zahlt Franklin jeden Monat umgerechnet zwanzig Euro an die privaten Einrichtungen. Das klingt wenig, ist aber für Franklin eine riesige Investition. Die Relation wird deutlicher man bedenkt, dass diese Summe zwei Drittel seiner monatlichen Miete entspricht.

Weil sein Einkommen hinten und vorne nicht reicht, hat er vor fünf Monaten einen ersten Kredit aufgenommen – und zwar ebenfalls per App. „Seitdem habe ich jeden Monat einen neuen Kredit aufgenommen“, erzählt er. „Schon den ersten konnte ich kaum zurückzahlen.“ Nachdem er ihn bedient hatte, sei er komplett pleite gewesen und habe neues Geld aufnehmen müssen. „Wenn Du einmal mit diesen mobilen Krediten anfängst, kannst du nicht mehr damit aufhören.“ Die Zinsen seien zu hoch und die Rückzahlungsfristen zu kurz. „Das ist wie eine andere Form der Abhängigkeit, weil man immer wieder Geld leihen muss, um überleben zu können.“

Ein Mann mit Glatze und eine Frau mit kurz rasierten Haaren stehen vor einem Haus.
Franklin Ouma und seine Frau Eunice Anyango vor ihrem Zimmer in Mathare in Nairobi.