Johannesburg – Stadt der Einwanderer

Migrations-Geschichte beim Dinner

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
11 Minuten
Grüne teils noch geschlossene alte Schliessfächer im Tresorraum, dekoriert mit einer Lichterkette

Johannesburg ist eine Stadt der Migranten. Einwanderer aus allen Teilen der Welt haben die „Stadt des Goldes“ mit aufgebaut und geprägt – auch kulinarisch. Bei einem Dinner in der Innenstadt werden teils unbekannte Kapitel dieser Geschichte erzählt. Das ist auch ein wichtiges Signal in Zeiten fremdenfeindlicher Gewalt.

Es ist schon dunkel in Downtown Johannesburg. Eine Zeit, in der viele Einwohner die Innenstadt eher meiden. Früher war sie eine No-Go-Area, bis heute ist der Ruf nicht gerade großartig. Der Anblick von verwahrlosten Straßenzügen und Junkies, die sich auch bei Tag auf dem Bürgersteig einen Schuss setzen, Nachrichten von Überfällen und Autodiebstählen wirken abschreckend. Glaubt man populistisch-fremdenfeindlichen Parolen, dann sind „die Ausländer“ daran schuld und nicht etwa die haarsträubende Misswirtschaft der eigenen Regierung.

Fremdenfeindliche Populisten

So wiederholte etwa Johannesburgs ehemaliger Bürgermeister Herman Mashaba, 80 Prozent der Innenstadt-Bewohner seien illegale Einwanderer. Das ist falsch, wie Studien belegen, fiel aber auf fruchtbaren Boden bei all den Südafrikanern, die einen Sündenbock für ihre Misere suchen: : Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Drogen. Nicht zum ersten Mal eskalierte Anfang September vor diesem Hintergrund die fremdenfeindliche Gewalt, bewaffnete Mobs zogen durch die Straßen, plünderten Geschäfte, prügelten und töteten.

Ein Blick auf eine Straßenkreuzung im Zentrum Johannesburgs, Geschäfte, Händler, Passanten
Downtown Johannesburg

Es sei zynisch, dass die Vorfahren dieser Bürgerïnnen, die die Stadt für sich zurück erkämpfen wollen, oftmals erst nach jenen der Migranten nach Johannesburg gezogen seien, sagt Gerald Garner, der an diesem Abend auf dem Gandhi-Platz auf seine Gäste wartet. „Johannesburg ist eine Stadt der Migranten. Doch diese Geschichte ist in Vergessenheit geraten.“ Das will er ändern. Garner hat mehrere Bücher über Johannesburg verfasst und das Unternehmen ‚Joburg Places‘ gegründet.

Kulinarische Migrationsgeschichte

Er führt Touristen wie Südafrikanerïnnen durch die Innenstadt, lässt sie hinter die chaotischen Fassaden von Vierteln wie ‚Little Ethiopia‘ schauen und veranstaltet ‚Storytelling Dinners‘, bei denen er die Migrationsgeschichte seiner multikulturellen Heimatstadt erzählt und kulinarisch auf der Zunge zergehen lässt. Nach und nach trudeln seine Gäste ein, wie von ihm empfohlen mit Taxen und Uber, denn er ist zwar ein glühender Fan seiner Heimatstadt, aber nicht naiv. Er begrüßt sie wie alte Freunde und führt sie in ein eher unscheinbares Gebäude, das sich jedoch als kleine Sensation entpuppt. Eine verwinkelte Kellertreppe führt hinab zur ‚Zwipi-Underground-Bar‘.

Ein paar Gäste bestellen an der Zwipi-Underground-Bar ihre Drinks, davor steht ein gedeckter Tisch, das Licht ist gedämpft
Zwipi-Underground-Bar

Mit einem Aperitif in der Hand werden die Gäste zu ihren Tischen gebracht. Liebevoll eingedeckt, mit Lichterketten geschmückt – hinter massiven Stahltüren. Denn das Dinner findet in historischen Tresorräumen statt. „Dieses Gebäude war mal eine Bank, 1904 erbaut, und der Tresor sieht noch ziemlich genau so aus, wie damals“, erzählt Garner.

Dinner hinter Stahltüren

„Wir haben ihn so erhalten, damit auch Sie das Gefühl haben, einen vergessenen Tresor zu entdecken, der 40 Jahre lang nicht genutzt worden ist.“ Neugierig betrachten die Gäste Schweißspuren an einer Stahltür und einen schmalen Raum mit Schließfächern, bevor sie sich um ihren Gastgeber versammeln.

Hinter einer schweren roten Tresortür steht ein hübsch gedeckter Tisch
Dinner im Tresor

„Wie viele von Ihnen wurden in Johannesburg geboren?“, fragt er in die, schon rein äußerlich, multikulturelle Runde. Nur drei der rund zwanzig, überwiegend südafrikanischen, Gäste heben die Hand. Mehr als der Durchschnitt bei unseren Dinnern, bemerkt Garner. Am Ende des Abends würden sie mehr über die Stadt wissen, als die meisten anderen, die hier leben, über Einwanderer aus allen Teilen der Welt, die die Stadt mit ihren heute über 5,5 Millionen Bürgerïnnen aufgebaut haben und prägen. Anspruch auf Vollständigkeit erhebe er nicht, sagt Garner, dessen eigene Vorfahren aus England und Deutschland stammen: „Wenn ich von allen Migranten-Gruppen erzählen würde, wären wir hier für mindestens drei Wochen und würden hunderte Gänge verspeisen.“

Junge Metropole auf uraltem Land

Sehr viel sei in vergleichsweise kurzer Zeit passiert. 1886 gegründet, ist Johannesburg eine der jüngsten Millionenmetropolen der Welt. Gleichzeitig liegt sie in einer uralten Gegend, nur rund 40 Kilometer von diesem Bankgebäude liegt die ‚Wiege der Menschheit‘. Es ist ein Mythos, dass hier niemand gelebt hat, bevor Gold entdeckt wurde. Garner erzählt von Tswana-Siedlungen, von abtrünnigen Zulu-Kriegern und von Buren, die sich in der Gegend als Farmer ansiedelten. Letztere brachten ihre Sklaven aus den damaligen holländischen Kolonien in Südostasien mit, die sogenannten Cape Malay. An sie erinnert eine der beiden Vorspeisen: Butternut Suppe, indonesisch angehaucht, mild gewürzt. Ein vermeintlich südafrikanischer Klassiker. Aber wie passt die zweite Vorspeise, chinesische Teigtaschen, zu Johannesburg?

In einer asiatisch anmutenden blau-weißen Schale schwimmen chinesische Teigtaschen in klarer Brühe
Chinesische Teigtaschen
Gerald Garner steht in schwarzer Lederjacke im Tresorraum und erzählt seinen Gästen von der Geschichte Johannesburgs
Garner und Gäste
Zwischen den Hochhäusern Johannesburgs steht eine Statue Gandhis auf dem gleichnamigen Platz
Gandhi Square
Die Kellnerin serviert dem Paar Crous und Sarawan gerade den nächsten Gang, auf dem Tisch steht eine Sektflasche im Kühler.
Crous und Sarawan
Die Köchin Princess Bulelwa Mbonambi strahlt über das ganze Gesicht, als sie den Nachtisch dekoriert.
Princess Bulelwa Mbonambi
Auf dem Teller liegt Carapau – Markele nach mosambikanischer Art – zwei ganze Fische aus Spinat mit Zitronenscheiben garniert.
Carapau
Baklava wird auf einem hübschen zweifarbigen Teller als Nachspeise serviert
Baklava wird als Nachspeise serviert
Dominierend sind die schweren roten Metalltüren im alten Tresor-Raum, der Boden ist schwarz-weiß-gekachelt, Lichterketten sorgen für eine Dinner-Atmosphäre
Tresor-Raum