Ist die Corona-Pandemie eine Chance für afrikanische Forschungsstandorte?

Afrikanische Wissenschaftlerïnnen sind oft auf Kooperationen oder die Unterstützung wohlhabender Länder angewiesen. Corona könnte eine Veränderung bringen.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
8 Minuten
Das Bild zeigt Medikamente und eine Spritze in einem Labor

Afrikanische Wissenschaftlerïnnen wollen nicht länger am Katzentisch sitzen. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie bislang auf Kooperationen oder die Unterstützung wohlhabender Länder angewiesen. Das schafft Probleme, sowohl was die Inhalte der Forschung, als auch deren Umsetzung und die Akzeptanz in der Bevölkerung angeht. In der Corona-Pandemie sehen afrikanische Forscherïnnen nun die Chance, das zu ändern.

Südafrika hat nicht lange gezögert, als die Weltgesundheitsorganisation, WHO, zur Mitarbeit am ‚Solidarity Trial‘ aufgerufen hat, einer umfassenden klinischen Studie, in der die Wirksamkeit von vier bereits existierenden Medikamenten – Remdesivir, Lopinavir/Ritonavir, Interferon beta-1a, Hydroxychloroquine – bei der Covid-19-Behandlung miteinander verglichen wird. Auch Nigeria, Ägypten, Sambia und Tunesien nehmen daran teil.

Einige afrikanische Länder kennen diese Medikamente bereits von der Behandlung von Ebola-, HIV- oder Malaria-Patienten. Der Kontinent ist mit diversen Infektionskrankheiten vertraut, ebenso wie mit der Durchführung klinischer Studien.

Vorschriften und ethische Richtlinien seien ebenso strikt wie in Europa, betonte WHO-Generalsekretär Tedros Ghebreyesus, nachdem Aussagen französischer Ärzte in einer Debatte des TV-Senders LCI Anfang April für Empörung gesorgt hatten.

Jean-Paul Mira, Chefarzt am Pariser Cochin-Krankenhaus, sagte im Zusammenhang mit Studien, die klären sollen, ob eine BCG-Tuberkulose-Impfung den Krankheitsverlauf bei Covid-Patienten abmildern könnten: „Sollten wir diese Studien nicht in Afrika durchführen, wo es keine Gesichtsmasken, keine Medikamente und keine Wiederbelebungs-Maßnahmen gibt?“

Der „Nachhall einer kolonialen Mentalität“

Zwar hat sich der Arzt mittlerweile für seine Äußerung entschuldigt, aber sie belegt die tiefsitzenden, pauschalen Vorurteile gegenüber dem Kontinent. „Dieser Nachhall einer kolonialen Mentalität muss aufhören. Die WHO wird dies nicht zulassen“, reagierte Tedros Ghebreyesus, der wiederholt die Bedeutung internationaler Solidarität bei der Bekämpfung der Pandemie betont hat.

Afrikanische Länder wollen nicht nur Nutznießer dieser Solidarität sein, sondern ihren Teil zur Forschung beitragen. Das Knowhow ist vorhanden und davon profitiert auch der Rest der Welt.

Derzeit wird in Kapstadt eine Studie mit dem, von den französischen Ärzten diskutierten, BCG-Impfstoff durchgeführt, natürlich nach internationalen Standards. Jeder Säugling erhält diese Impfung in Südafrika, weil sie einen schweren Verlauf einer Tuberkulose-Erkrankung im Kindesalter verhindert. Es wird vermutet, dass diese Impfung, aufgefrischt, auch vor schweren Covid-Verläufen schützt.

Wenn sich diese These bestätigt, wäre es eine gute Nachricht für viele überstrapazierte und unterfinanzierte Gesundheitseinrichtungen in Ländern wie Südafrika, in denen Tuberkulose fast eine Volkskrankheit ist.

Studie eines Covid-Ausbruchs in einem Krankenhaus

Aber es gibt auch weniger spezifische Studien mit allgemeingültigen Ergebnissen. So wurde beispielsweise erst kürzlich eine südafrikanische Studie veröffentlicht, die die Verbreitung des Virus im St. Augustine‘s Krankenhaus in Durban detailliert rekonstruiert. Es ist die weltweit umfangreichste Studie eines SARS-CoV2-Ausbruchs in einem Krankenhaus.

Sie belegt unter anderem, dass Patienten sich selten gegenseitig ansteckt haben, sondern dass das Virus in erster Linie durch das Krankenhauspersonal und medizinische Instrumente übertragen wurde. Ergebnisse, die auch für andere Hospitäler wichtig sind.

Ein weiteres Beispiel ist eine laufende Studie des südafrikanischen Blutspende-Dienstes, SANBS. Ihr Leiter, Jonathan Louw, gehörte zu den ersten Corona-Patienten des Landes und war ebenfalls einer der ersten, der nach seiner Genesung Blutplasma für die Forschung spendete. SANBS ist damit eine der wenigen internationalen Bluttransfusions-Dienste, die die Wirkung derartigen Blutplasmas auf Covid-Patienten untersucht.

Labortechniker Justice Mzimela steht mit weißem Kittel in einem Labor bei Durban
Labortechniker Justice Mzimela in Durban

Südafrika ist schon lange einer der Leuchttürme in der panafrikanischen Forschungslandschaft. Führende Wissenschaftlerïnnen vom Kap sind international anerkannt. Sie haben sich insbesondere in der HIV- und Tuberkulose-Forschung einen Namen gemacht, so wie Helen Rees, die nun den südafrikanischen Teil des ‚Solidarity Trial‘ leitet und bereits betont, dass Südafrika auch bei der Erforschung eines SARS-CoV2-Impfstoffes eine große Rolle spielen werde.

Das sei auch deshalb so wichtig, so Südafrikas Gesundheitsminister Zweli Mkhize bei einer Pressekonferenz, weil „die Länder, die maßgeblich an der Erforschung eines Impfstoffes mitgearbeitet haben auch die ersten sind, die diese Impfung erhalten.“

Tatsächlich habe Südafrika einen reichen Erfahrungsschatz mit Blick auf Infektionskrankheiten, aus der es jetzt für die Corona-Forschung schöpfen kann, meint Mia Malan, Gründerin und Chefredakteurin des ‚Bhekisisa Centre for Health Journalism‘.

Wichtig sei es nun, sich nicht in wissenschaftlichen Machtkämpfen zu verstricken, die Pandemie zu politisieren und somit Gefahr zu laufen, das Vertrauen der Bevölkerung zu verlieren, warnt sie nach einem ersten medialen Schlagabtausch renommierter Wissenschaftler am Kap. „Wir sollten aus unserer Erfahrung mit HIV lernen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht wieder ein Fundament für Misstrauen und Leugnung schaffen, so wie es bei HIV der Fall war.“

Die Chancen stehen gut. Im Gegensatz zu Ex-Präsident Thabo Mbeki, der auf Verschwörungstheoretiker statt Wissenschaftler hörte, hat die Regierung unter Cyril Ramaphosa und mit dem hervorragenden Gesundheitsminister und Arzt Zweli Mkhize bislang aus Sicht der WHO die richtigen Maßnahmen ergriffen. Die Forscher des Landes sind bekannt und vieles, was nun bei der Bekämpfung der Pandemie vonnöten ist, vorhanden.

Erfahrung mit PCR- und Antikörper-Tests

So nutzt Südafrika die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), die nun zum Nachweis einer Covid-19-Infektion verwendet wird, schon lange im Zusammenhang mit HIV. „Unsere Kapazitäten und Erfahrung damit sind größer als die vieler anderer Länder“, betont Mia Malan. „Das kommt uns nun zu Gute.“

Südafrikas medizinischer Forschungsrat ‚Medical Research Council‘ erforscht derzeit außerdem die Effizienz und Genauigkeit von Antikörper-Tests. Auch sie sind alte Bekannte aus der HIV-Forschung.

Wenn sie sich auch bei Corona bewähren sollten, hätte das gerade für Länder wie Südafrika große Vorteile, so Malan, auch wenn sie die PCR-Tests natürlich nicht ersetzen. „Wir könnten diese Tests nutzen, um Hotspots zu kartieren und ein genaueres Bild von der Prävalenz zu bekommen.“

Weitere Vorteile seien vergleichsweise niedrige Kosten, bessere Verfügbarkeit und die Tatsache, dass die Tests nicht schwierig durchzuführen seien. „Für PCR-Tests braucht es geschulte Labor-Fachkräfte, aber die Antikörper kann eine Krankenschwester bestimmen, die das Blut abgenommen hat.“

Porträtfoto von Mia Malan, der Chefredakteurin vom Bhekisisa Centre for Health Journalism
Mia Malan, Chefredakteurin Bhekisisa

Führende Wissenschaftlerïnnen und Forschungsinstitute in Südafrika sind daher auch an etlichen wichtigen Covid-Studien beteiligt, ihre Stimme wird international gehört und geschätzt. So ist der südafrikanische Epidemiologe Salim Abdool Karim beispielsweise als einer der Hauptredner zur internationalen Covid-19-Konferenz im Juli eingeladen worden. Andere, international weniger bekannte Forscher aus Südafrika und anderen Teilen des Kontinents kämpfen allerdings noch um Anerkennung.

In vielerlei Hinsicht, sei die Forschungslandschaft noch immer kolonial geprägt, kritisiert Mia Malan. „Es ist gang und gäbe, dass Forscher aus Industriestaaten für ein paar Wochen nach Afrika fliegen, uns Ratschläge für unsere Gesundheitssysteme geben und einen Artikel für ein Fachjournal schreiben.“ Dabei kämen diese Forscher aus einem ganz anderen Kontext. Lokales Wissen und Erfahrungen würden häufig ignoriert.

Das Problem mit der Augenhöhe

Zudem scheint es ein Problem der Augenhöhe zu geben: Afrikanische Wissenschaftlerïnnen, die an diesen Studien beteiligt sind, deren Wissen zentral ist, die das Vertrauen der Bevölkerung genießen und ohne die sich viele dieser Forschungsprojekte kaum umsetzen lassen, werden meist nur als Co-Autorïnnen genannt.

„Sie werden nicht gleichwertig behandelt. Das ist inakzeptabel und muss sich ändern“, so Malan, die ihr Argument mit der hypothetischen Frage unterstreicht, was wohl geschehen würde, wenn sich afrikanische Forscher in den USA so gebaren würden.

Die Corona-Pandemie könnte nun den Wandel bringen, jedenfalls ist das die Hoffnung vieler afrikanischer Wissenschaftlerïnnen und Forschungsinstitute. Aus Sicht der unabhängigen panafrikanischen Wissenschaftsakademie, ‚Africa Academy of Sciences‘ (AAS), verdeutlicht die Pandemie, wie wichtig Investitionen in Forschung und Entwicklung sind. Bereits 2006 hatten sich die Staaten der Afrikanischen Union auf ein Budget von mindestens einem Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts geeinigt.

Peanuts für die Forschung

Doch kein Land hat dieses Ziel erreicht. Südafrika kam ihm mit einem Anteil von 0,82% wenigstens nah. Doch im weltweiten Vergleich ist auch das wenig: Die USA geben 2,8% ihres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus, Deutschland sogar 3,1%.

Im vergangenen Jahr betrug Afrikas Anteil an den weltweiten Ausgaben in diesem Bereich nur 0,9 Prozent. „Die meisten afrikanischen Wissenschaftler sind deshalb von Fördermitteln aus dem Ausland abhängig. Das sollte nie passieren“, sagte AAS-Exekutivdirektor Nelson Torto gegenüber dem Online-Magazin ‚Quarz‘.

Angesichts der Corona-Pandemie hat seine Wissenschaftsakademie bereits Fördermittel in einer Höhe von drei Millionen US-Dollar gesichert, sie unterstützt Wissenschaftler dabei, neue Fördertöpfe zu finden und sie hat in einer Umfrage nach den Forschungsprioritäten des Kontinents gefragt. Eines der vorrangigen Ziele ist es demnach, Behandlungskonzepte für schwere Krankheitsverläufe für die Regionen zu entwickeln, in denen es keine Intensivstationen gibt.

Das Bild zeigt Medikamente und eine Spritze in einem Labor
Medikamente in einem Labor

Die unterschiedliche Lebensrealität in vielen afrikanischen Ländern muss sich auch in der Forschung niederschlagen, das ist auf dem Kontinent Konsens. Mehrere hundert klinische Studien werden mit Blick auf die Pandemie derzeit weltweit durchgeführt oder sind geplant, aber nur an vergleichsweise wenigen sind afrikanische Forscher beteiligt.

Das sei ein Fehler, schreibt Monique Wassuna, von der ‚Drugs for Neglected Diseases initiative‘, in einem Kommentar im britischen Guardian. Afrika brauche maßgeschneiderte Forschung. Es gehe etwa darum, Einweisungen in Krankenhäuser auf ein Minimum zu reduzieren und das Vertrauen der lokalen Bevölkerung zu gewinnen.

Wenn die „Lösung für Afrika“ nur Probleme bringt

Die Gesundheitsjournalistin Mia Malan nennt in diesem Kontext das Beispiel eines Verhütungs-Implantats, das von einer australischen Pharmafirma entwickelt und als „Lösung für Afrika“ geradezu gefeiert wurde. Das Implantat verhütet drei Jahre lang eine Schwangerschaft, das ist natürlich ein Vorteil für afrikanische Frauen, die nicht alle drei Monate für ein Rezept zum Arzt oder in eine Klinik fahren können.

Aber die Forscher hatten die kulturellen Gegebenheiten ignoriert. „Es gab riesige Probleme mit der Akzeptanz in vielen ländlichen Gemeinden“, erzählt Malan. Es habe das Gerücht gegeben, dass das Implantat ins Gehirn wandern könne, außerdem habe das Implant die Regelblutung verstärkt, was für die Frauen inakzeptabel gewesen sei. „Viele Ärzte sprachen nur noch vom ‚Outplantat‘, weil sie so viele Implantate wieder entfernen mussten.“

Im Zweifelsfall: Nicht praktikabel

Doch nicht nur unterschiedliche Kulturen müssen bei der Forschung berücksichtigt werden, es geht auch um infrastrukturelle und klimatische Bedingungen. Viele Impfungen reagieren empfindlich auf hohe Temperaturen und müssen kühl gelagert werden. Das ist entscheidend für die Wirksamkeit.

„Aber viele afrikanische Länder haben Probleme bei der Stromversorgung, in vielen ländlichen Kliniken gibt es keine Kühlschränke“, betont Malan. Auch das müsse bei der Entwicklung einer Covid-Impfung beachtet werden. „Ansonsten stehen wir im Zweifelsfall mit einem großartigen Forschungsergebnis da, das aber in Afrika nicht praktikabel ist.“

Das war ein Artikel des Online-Magazins „Afrika-​​Reporter“ – eine Übersicht unserer Beiträge finden Sie hier. Dieser Beitrag wurde aus Mitteln eines Recherchefonds der Wissenschaftspressekonferenz gefördert.

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