„Ich habe Angst, dass mein Sohn mich nicht mehr erkennt“
Lasse steckte sich in Ischgl an. Er hatte Glück: Er war nicht lebensgefährlich krank. Trotzdem hat das Virus sein Leben nachhaltig verändert
Meine Freunde und ich fahren jedes Jahr zum Skifahren, immer in unterschiedliche Orte, dieses Jahr, im März, war Ischgl dran. Wir wollten uns eigentlich eine nette Woche machen, durch die Gegend ziehen, ein bisschen feiern, Skifahren. Aber schon nach zwei Tagen explodierte die Lage. Erst wurde die „Kitzloch“-Bar geschlossen, dann wurden Skilehrer krank. Spätestens jetzt war klar: Hier passiert etwas, was wir nicht kontrollieren können. Das war uns zu heikel. Wir fuhren mit dem nächsten Zug nach Hause. Einen Tag später wurde Quarantäne ausgerufen für das ganze Tal.
Wir waren mehr als 15 Leute in der Reisegruppe – alle wurden später positiv getestet, bis auf eine Mitreisende. Aber wir gehen davon aus, dass sie falsch negativ getestet wurde. Bei mir ging es schon in Ischgl los, mit einem leichten Husten. Auf dem Weg nach Hause bekam ich Schüttelfrost. Ich rief meine Mutter an und sagte: „Mama, bitte mach einen Großeinkauf für mich, ich begebe mich erstmal in Quarantäne.“ Als ich nach Hause kam, standen zwei große Einkaufstüten auf der Fußmatte. Ich ging in die Wohnung, machte die Tür zu – und die nächsten drei Wochen nicht mehr auf.
"Viel schlimmer sind die Konsequenzen, die Corona für mein soziales Leben hat"
In den Tagen danach bekam ich die typischen Symptome: Husten, Fieber, Geruchs- und Geschmacksverlust, Kopf- und Gliederschmerzen. Aber ich hatte nicht das Gefühl, sterbenskrank zu sein. Ein Freund von mir ist Arzt. Er hat mich alle zwei Tage angerufen. Er machte sich Sorgen, weil ich etwas Atemnot hatte. Das war aber alles nicht so schlimm.
Viel schlimmer sind die Konsequenzen, die Corona für mein soziales Leben hat. Ich habe einen kleinen Sohn. Er ist zwei Jahre alt und lebt bei seiner Mutter. Weil nicht klar war, wie lange ich ansteckend sein würde, habe ich ihn seit März nicht mehr gesehen. Ich habe ihm Karten geschrieben, Kuchen gebacken und den per Post geschickt. So habe ich versucht, Kontakt zu halten. Damit er seinen Papa nicht vergisst. Trotzdem habe ich Angst, dass er mich bald nicht mehr erkennt. Das belastet mich sehr. Viel mehr als irgendein Krankheitssymptom.

"Mir ist es wichtig, derartige Vorhaben zu unterstützen"
Überhaupt merke ich, dass Corona emotional viel mit den Menschen macht. Das Virus schafft ein neues Verhältnis zu Nähe und Distanz. Es ist ein Gefühl der „Körperlosigkeit“ entstanden, weil wir Abstand halten müssen. Auf der einen Seite wünschen wir uns Nähe. Auf der anderen Seite wissen wir nicht, wie wir uns begegnen sollen. Wie verhalte ich mich richtig? Umarmen oder nicht? Daran merke ich am meisten, wie sehr Corona meinen Alltag verändert hat. Eine simple Sache wie Nase putzen hat eine völlig neue Qualität bekommen. Was früher normal war, wird seit Corona kritisch beäugt.
Und noch eine Sache hat sich verändert: Ich habe mittlerweile an zwei medizinischen Forschungsprogrammen teilgenommen. Die wollen Antikörper herstellen, um Kranken zu helfen. Mir ist es wichtig, derartige Vorhaben zu unterstützen. Ich habe Glück gehabt. Andere nicht. Wenn ich mit meinem Blut Menschen helfen kann, die nicht gesund sind, dann mache ich das gerne.
Das Projekt wurde von der Riff freie Medien gGmbH aus Mitteln der Klaus Tschira Stiftung gefördert.
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