Beobachtungstipp: Totale Mondfinsternis am 27. Juli

Das längste lunare Schattenspiel des Jahrhunderts

von Stefan Oldenburg
6 Minuten
Der blutrote Mond während seines Kernschattendurchlaufs. 28. September 2015.

Ein Dorf in Thüringen ist derzeit in Aufruhr. Der Betreiber einer Privatsternwarte hat im April auf Facebook für den Abend des 27. Juli 2018 eine Veranstaltung angekündigt – und eine nahezu tsunamiähnliche Resonanz erfahren: Eine dreiviertel Million Menschen sind an dem Event interessiert und mehr als 100000 haben ihr Kommen nach Rotheul zugesagt. Das sind stolze Zahlen für einen 263-Seelen-Ort.

Geladen sind die vielen Menschen, um das Eintauchen des Mondes in den Kernschatten der Erde zu verfolgen. Sonne, Erde und Mond stehen in dieser Nacht in einer Linie. Freilich braucht man nicht an die thüringisch-bayerische Grenze zu reisen, da diese totale Mondfinsternis von weiten Teilen Europas aus gut zu beobachten ist.

Screenshot der Facebook-Veranstaltung der Sternwarte Rotheul zur totalen Mondfinsternis.
Einladung zur Facebook-Veranstaltung der Sternwarte Rotheul. Screenshot vom 22. Juli 2018.

Der Betreiber der Sternwarte in Rotheul nahm die vielen Anmeldungen zum Anlass, Anfang Juli über Facebook bei seinen „Teilnehmern“ nachzufragen, wer denn tatsächlich am 27. Juli nach Rotheul kommen möchte. Immerhin 300 sagten ihm fest zu, die Reise Ende dieser Woche antreten zu wollen.

Mit 103 Minuten und 30 Sekunden ist dieses Himmelsschauspiel die längste totale Mondfinsternis dieses Jahrhunderts! Eine mit 106 Minuten noch längere Mondfinsternis werden wohl nur wenige von uns erleben: Sie wird am 9. Juni 2123 stattfinden. Zwei Faktoren bedingen die außergewöhnliche Länge dieser Mondfinsternis: Zum einen durchwandert der Mond den Kernschatten der Erde diesmal recht zentral, zum anderen wird der Mond am Freitag bei einer Entfernung von 404000 Kilometern knapp seinen erdfernsten Bahnpunkt durchlaufen. Damit erscheint die Mondscheibe relativ klein und passt damit 2,6 Mal in den Kernschatten der Erde. Das ist aufgrund der Bahngeometrie des Mondes nicht bei jeder Mondfinsternis der Fall.

Eigene Grafik des Mondfinsternisverlaufs am 27. Juli 2018.
Verlauf der Totalen Mondfinsternis am Abend des 27. Juli 2018.

Der Vollmond geht am Abend des 27. Juli gegen 21:40 Uhr MESZ über dem Südosthorizont am noch recht hellen Abendhimmel auf (die Zeitangaben beziehen sich auf Frankfurt/Main). Zu diesem Zeitpunkt steht der Erdtrabant bereits im Halbschatten der Erde. Während er am Horizont langsam höher klettert, wandert er immer weiter in den Kernschatten der Erde. Ab 21:30 Uhr MESZ, dem sogenannten 3. Kontakt, ist der Mond für mehr als anderthalb Stunden in ihn eingetaucht.

Die Mitte der Verfinsterung wird gegen 22:21 Uhr MESZ erreicht sein. Die Erdatmosphäre streut während der Finsternis das Licht der Sonne und taucht den Mond in dunkles Rot, während er den Kernschatten der Erde durchquert.

Totale Mondfinsternis am 28. September 2015, Mond im Kernschatten der Erde.
Totale Mondfinsternis am 28. September 2015, Mond im Kernschatten der Erde.

Ab 23:13 Uhr MESZ verlässt er den Kernschatten der Erde und wird nun zusehend heller und grauer. Um 0:19 Uhr MESZ wird der Erdtrabant vollständig in den Halbschatten der Erde eingetreten sein, den er um 1:28 Uhr MESZ endgültig durchwandert haben wird.

Bei dieser Mondfinsternis ist es ratsam, rechtzeitig einen geeigneten Beobachtungsstandort zu suchen, der freie Sicht zum Südosthorizont bietet. Im Südosten Europas geht die Sonne eher unter und der Mond geht früher auf. Je weiter nordwestlich der Beobachtungsort liegt, desto länger dauert die Dämmerung und desto später geht der Mond auf. Dennoch wird es auch vom Emsland aus möglich sein, diese totale Mondfinsternis zu genießen, nur eben unter noch hellerem Himmel als etwa in Österreich.

Spannende Mondperspektive

49 Jahre nach der Landung der ersten beiden Menschen auf dem Mond ist die Vorstellung spannend, wie sich dieses kosmische Schattenspiel einem Astronauten aus Mondperspektive darstellen würde. Von dort aus betrachtet würde sich die Erde vor die Sonne schieben, und er würde eine spektakuläre und sehr lange Sonnenfinsternis erleben. Die Erde erscheint vom Mond aus viermal größer als die Sonne, und da der Mond bei dieser Finsternis vollständig in den Erdschatten eingetaucht sein wird, könnte sich ein Astronaut einen beliebigen Beobachtungsort auf der erdzugewandten Seite des Erdtrabanten aussuchen. Die dünne Erdatmosphäre erschiene ihm während des Kernschattendurchlaufs wie ein roter und nicht scharf abgegrenzter Saum.

Planetenparade

Das sind reine Gedankenspiele, zumal wohl noch viele Jahre vergehen werden, bis Astronauten den Erdtrabanten erneut besuchen. Wir sind auf der Erde und hoffen zur Mondfinsternis am 27. Juli auf wolkenfreien Himmel: Da sie recht lange andauert und sich dabei zudem der Nachthimmel insgesamt verdunkelt, bieten sich beste Möglichkeiten, mit einem Fernglas durch den Sternenhimmel zu streifen und unsere kosmischen Nachbarn mit eigenen Augen zu erspähen. Es zeigen sich im Laufe der Nacht Jupiter, Saturn und – mit einem Fernglas oder einem Fernrohr – sogar der Asteroid (4) Vesta (siehe Karte). Und während die helle Venus am Westhimmel langsam untergeht, steigt Mars ab der Mitte der Totalität am Südhimmel auf. Mond und Mars stehen in dieser Nacht nur rund 5,7° voneinander am Firmament entfernt.

Vor allem Mars, den wir in diesen Wochen sehr hell sehen, ist ein lohnendes Objekt. Zufällig wird unser nächster Nachbarplanet in dieser Nacht seine Oppositionsstellung erreichen. Sonne, Erde und Mars liegen aufgereiht wie eine Perlenkette. Und weil uns Mars mit rund 58 Millionen Kilometern zurzeit besonders nahe steht, ist er bereits mit bloßem Auge ein besonderer Anblick. Wer den roten Planeten mit einem Fernrohr betrachtet, kann helle und dunkle Regionen auf seiner Oberfläche erkennen.

Tabelle: Die visuellen Helligkeiten (mag) und Entfernungen vom Mond, Venus, Mars, (4) Vesta, Jupiter und Saturn in der Nacht vom 27. Auf den 28. Juli 2018:

  • Mond: –12.1 mag (0.7 mag bei Mitte der Totalität), Entfernung rund 404.000 km
  • Venus: –4.27 mag, Entfernung: 0,852 AE
  • Mars: –2.78 mag, Entfernung: 0,386 AE (57.710.000 km)
  • Asteroid (4) Vesta: 6.23 mag, Entfernung: 1,311 AE
  • Jupiter: –2.13 mag, Entfernung: 5,139 AE
  • Saturn: 0.17 mag, Entfernung: 9,181 AE

[Definition AE: Astronomische Einheit = mittlere Entfernung Sonne – Erde = rund 150 Millionen Kilometer]

Der Sternenhimmel am Abend des 27. Juli 2018. Zum Zeitpunkt der Totalität sind mehrere Planeten und Kleinplaneten leicht aufzufinden.
Der Sternenhimmel am Abend des 27. Juli 2018 zum Zeitpunkt der Mitte der Totalität um 22:21 Uhr MESZ (Karte für Frankfurt/Main). Eine wahre Planetenparade: Mars ist erst knapp über dem Horizont gestiegen. Jupiter und Saturn sind die ganze Nacht über sichtbar. Mit einem Fernrohr lässt sich (4) Vesta erspähen, der mit mehr als 500 Kilometern mittlerem Durchmesser zweitgrößte Asteroid im Asteroiden-Hauptgürtel.



Der Sternenhimmel am Abend des 27. Juli 2018 während der totalen Mondfinsternis zum Zeitpunkt des 4. Kontakts.
Der Sternenhimmel am Abend des 27. Juli 2018 zum Zeitpunkt des 4. Kontakts um 23:13 Uhr MESZ (Karte für Frankfurt/Main). Mars ist inzwischen weit genug über den Horizont gestiegen, um beobachtet werden zu können. Unser Nachbarplanet ist mit –2.78 mag heller als Jupiter – und jeder versteht, warum er der „Rote Planet“ ist.



Zum Zeitpunkt des 5. Kontakts stehen Mond und Mars nur knapp 6 Grad voneinander am Firmament.
Der Sternenhimmel am 28. Juli 2018 zum Zeitpunkt des 5. Kontakts um 00:19 Uhr MESZ (Karte für Frankfurt/Main). Mond und Mars stehen in dieser Nacht nur rund 5,7° voneinander am Firmament entfernt.

Man muss also keine Facebook-Party besuchen, um eine Finsternis wie diese zu genießen. Allein die lange Dauer der totalen Mondfinsternis legt nahe, es sich irgendwo in der freien Natur gemütlich zu machen und das Himmelsschauspiel mit eigenen Augen und einem Fernglas zu verfolgen. Selbst jene Beobachter, die ein solches kosmisches Schattenspiel zuvor nicht gesehen haben, werden feststellen, wie präzise das menschliche Auge die feinen Helligkeits- und Farbabstufungen des Mondes wahrnimmt, während er sich langsam durch den Erdschatten bewegt. Eine totale Mondfinsternis ist an sich ein Naturerlebnis der besonderen Art, die in dieser Nacht noch umrahmt ist von einer wahren Planetenparade.

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Originalbeitrag für „Die Weltraumreporter“.

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