Der Mekong in Kambodscha – ein ökologischer Reisebericht

Noch ist der Mekong eines der arten- und fischreichsten Flusssysteme der Erde, aber wie lange noch?

26 Minuten
Der Mekong bei Sambor in Kambodscha, März 2020

πάντα ῥεῖ

Alles fließt.

(Dem griechischen Philosophen Heraklit zugeschriebenes Sprichwort)

Fangen wir mit den Einsichten an: Wenn Sie diesen Bericht gelesen haben, werden Sie wissen, dass in der Natur nachhaltig gefangener Fisch zur Herstellung weder Wasser noch Land verbraucht; dass ein brauner Fluss an sich nichts Schlechtes ist; und, dass es besser ist, Flüsse einfach frei fließen zu lassen.

Aber der Reihe nach: Im März 2020 war ich in Kambodscha. Ich reiste zu vier Orten dort: Einem See, einem überfluteten Dorf, einer Insel im Mekong, und der Hauptstadt Phnom Penh. Alle vier Orte verbindet das Wasser des Mekong, denn um den Wasserhaushalt des Mekong in Kambodscha und seine Probleme geht es in diesem Projekt.

Die Reise fand zur Trockenzeit statt; eine zweite Reise zur Regenzeit war wegen der Pandemie nicht möglich. Daher wurden alle zusätzlichen Interviews dieses Jahr online über Zoom geführt. Das Ergebnis ist dieser Bericht.

Das Wasserherz Kambodschas

Auf der National Route 52 in Kambodscha geht es in Chnok Tru nicht mehr weiter, dort beginnt der 120 Kilometer lange Tonle-Sap-See mit seinem lauwarmen, schlammig-braunen Wasser. Der Ort ist einer der Hauptumschlagplätze für Fisch und Gemüse aus der Gegend. Überall sind Boote mit Menschen, die große Plastikkörbe mit Fischen an Land tragen; andere bilden Menschenketten, um Kürbisse aus den Booten zu befördern, indem sie sich diese einander zuwerfen; Frauen und Kinder sitzen auf dem Boden und zerlegen Fische für den späteren Verkauf.

Es ist wolkenlos und gefühlt 40 Grad im Schatten heiß. Das ist ganz normal hier im März, denn wir befinden uns mitten in der Trockenzeit. Ein Betonpfahl am Rande der Straße lässt erahnen, wie anders es hier nur wenige Monate später, zur Regenzeit, aussehen wird: In etwa vier Metern Höhe wird der Pfahl blasser, so hoch steht dann das Wasser.

Das Wasser kommt dann über den Tonle-Sap-Fluss aus dem Mekong, denn dieser steigt in der Regenzeit so stark an, dass sein Wasser in Phnom Penh in den Tonle-Sap-Fluss hineindrängt; in der Trockenzeit dagegen entleert der Tonle-Sap-Fluss den See, fließt also in umgekehrter Richtung, in den Mekong hinein.

Diese weltweit einzigartige Fließumkehr lässt den Tonle-Sap-See jedes Jahr auf die fünf- bis sechsfache Fläche anschwellen, von etwa der Fläche des Saarlandes (2.500 Quadratkilometer) zu der Schleswig-Holsteins (15.000 Quadratkilometer). Die Länge des Sees nimmt dann von 120 auf 220 Kilometer zu, die Tiefe von durchschnittlich etwa einem auf mehr als neun Meter.

Schaut man sich das Ganze im Zeitraffer aus der Satellitenperspektive an, erinnert der See an ein schlagendes Wasserherz, verbunden mit dem Mekong als einer über 4.000 Kilometer langen Hauptschlagader, die im Hochland von Tibet entspringt und dann durch oder entlang der Grenze von fünf Ländern fließt, China, Myanmar, Laos, Thailand und Kambodscha, bevor sie in Vietnam ins Südchinesische Meer mündet.

Animation der Wassermengen in der Trocken- bzw. Regenzeit von 1990 bis 2020
Auf einem Zeitraffer aus der Satellitenperspektive ähnelt der Tonle-Sap-See (links oben) einem Wasserherz, das sich jedes Jahr zur Regenzeit auffüllt mit Wasser aus dem Mekong (rechts oben). Die Bilder wurden in der Trocken- bzw. Regenzeit des jeweiligen Jahres aufgenommen.
eine Karte eines Flusses [AI]
China baut gerade den 12. Staudamm im Hauptstrom des Mekong, einer mehr ist geplant; Laos hat dort 2 Dämme und plant den Bau von sieben weiteren. Kambodscha hat den Bau der ersten beiden Hauptstromdämme in Stung Treng und Sambor bis 2030 aufgeschoben.
Diese Satellitenbilder zeigen den Sesan und Srepok Fluss (rechts) mit der Staumauer des Lower Sesan II Staudammes (links) vor der Füllung des Reservoirs am 14. Februar 2017 und danach, am 1. Februar 2018.
Diese Satellitenbilder zeigen den Sesan und Srepok Fluss (rechts) mit der Staumauer des Lower Sesan II Staudammes (links) vor der Füllung des Reservoirs am 14. Februar 2017 und danach, am 1. Februar 2018.
ein Boot auf dem Wasser [AI]
Schiff, das Sand abbaut in Phnom Penh, Kambodscha im Februar 2018.
eine Baustelle mit einer Stadt im Hintergrund [AI]
Schiffe transportieren Sand zur künstlichen Koh Norea Insel in Phnom Penh am 25. November 2020.
Luftaufnahme eines Flusses mit einer Stadt und Gebäuden [AI]
Satellitenaufnahmen zwischen Februar 2020 und Juni 2021 zeigen, wie die neue Sandinsel Koh Norea langsam wächst.
Animierte Karte der Waldbedeckung in Kambodscha im Jahre 1993 und 2017.
Zwischen 1993 und 2017 verlor Kambodscha etwa ein Fünftel seines Waldes. Dies ist ein Durchschnittswert für Regenwald („evergreen“), Wälder, in denen die Bäume einen Teil des Jahres ihre Blätter verlieren („deciduous“) und einer Mischung aus beidem („mixed“). Am Tonle-Sap-See betrug der Baumverlust sogar ein Drittel, vor allem in den Auwäldern („mixed“), die auch als Unterschlupf für heranwachsende Fische dienen.
ein Fluss mit Bäumen und Büschen [AI]
Kein Boot weit und breit: Das Fischschutzgebiet der Gemeinde Phat Sanday im Tonle-Sap-See, Kambodscha, im März 2020.